Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ zum Bericht von Christian Frietsch am 13. September 2018 - „Müssen die Würde des Ortes wiederherstellen“: Die Synagoge muss an ihren angestammten Platz!

Baden-Baden, 24.09.2018, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leserin Gertrud Mayer Stellung zu dem goodnews4-Bericht Beate Böhlen zur Nazi-Zeit in Baden-Baden: «Wir brauchen unbedingt eine Aufarbeitung dieser Zeit» − Zum BT-Parkplatz: «Müssen die Würde des Ortes wiederherstellen».

Es gibt nur EINE Antwort auf die auf goodnews4 von Herrn Frietsch gestellte Frage: Die jüdische Synagoge muss an ihrem angestammten Platz wieder aufgebaut werden! Es mag zwar jeder Bürger in Baden-Baden nach seiner Façon selig werden, aber ohne andere zu verdrängen.

Zur Frage: Was wäre, wenn die staatlichen Einrichtungen wieder in die Hände von Extremisten fielen? Ist das nicht seit 1945 getan und an die folgenden Generationen weitergegeben worden? Sollte die Bibel Recht behalten, dass die Sünden der Väter an Kinder und Kindeskinder weitergegeben werden?

Dazu ein Beispiel aus den weitverzweigten Familien Koelblin, Hoellischer, Hambruch, Ertl, Richters und dabei vor allem die heutige Verlegerin, Geschäftsführerin und Gesellschafterin des Badischen Tagblatts Eva Ertl, geborene Hambruch. Stimmt es, dass einem On-dit zufolge, Oberbürgermeisterin Mergen und der Gemeinderat mit seinen Ausschüssen nur ausführen und beschließen darf, was von der «Ancienne Dame» vorher abgesegnet ist? Und auch was sonst noch alles durch die Gefolgschaft in der Stadtverwaltung geschieht? Wahrscheinlich übersteigt das die Vorstellungskraft des einzelnen Bürgers!

Uns bleibt ein weiterer Blick auf den 1970 verstorbenen Ehemann Dr. med. Otto Heinz Ertl, der nach seinem plötzlichen Auftauchen 1950 in Baden-Baden bald zu den sogenannten Honoratioren in Baden-Baden gehörte. Das Clubhaus des TC Rot-Weiss wurde vom Stadtbauamt 1954 entworfen, sogar die neue Tennishalle des Clubs Rot-Weiß wurde nach ihm benannt. Später, 2008, hat OB Gerstner bei einem Verbindungsbau zu einer weiteren Halle für die Übernahme der Baukosten durch die Stadt gesorgt, der dann in Erbpacht vergeben wurde.

In der Rückschau: 1951 boten die französischen Besatzer freundschaftlich ihre Tennisplätze und gemeinsame Turniere an und zwar dem späteren Präsidenten des Tennisclubs Rot-Weiß Dr. Otto Heinz Ertl sowie − unter anderen − den Herren Dr. Eugen Hartmann und Robert Göller.

Man kannte sich schon länger. Wohnten doch die Familie des Dr. Hartmann und Dr. Otto Heinz Ertl in der Ebersteinstraße 28 (der heutigen Lilienmattstr.) im gleichen Haus. Der andere Sportsfreund Robert Göller, war wie Werner Hambruch Verleger. Wie der goodnews4-Leser Krause vor kurzem schilderte, ist die Familie Göller heute in 3. Generation im Verlagswesen tätig, und es gab eine Verschmelzung der Göller Firma mit der früheren Hofdruckerei Koelblin KG.

Dr. Eugen Hartmann war Zahnarzt in der Sophienstraße und auch Mitglied des Rotary Clubs. Dabei erhebt sich die Frage, wie haben sich denn die Rotarier gegenüber ihren jüdischen Mitgliedern nach 1933 verhalten? Dr. Hartmanns Ehefrau, bzw. seine Witwe Hilde lebt heute noch hochbetagt mit 105 Jahren in Lichtental. Folglich ist sie es, die als letzte Überlebende und Zeitzeugin gemeinsam mit Eva Ertl, geborene Hambruch, Auskunft geben können über das männliche Trio Dr. Ertl, Dr. Hartmann und Herrn Göller. Beide Damen können Licht in das Dunkel von 1945 bis 1950 bringen, wenn sie wirklich an der Wahrheit der Geschichte interessiert wären − oder?

Ab 1947 gründeten sich die diversen badischen Tennisverbände. Der badische Tennisverband-Süd hatte als ersten Präsidenten Dr. Otto Heinz Ertl von 1961 bis 1971. Allerdings war er bereits 1970 gestorben − aber ein 10-jähriges Jubiläum lässt man sich schließlich nicht entgehen. Parallel dazu lief ab 1950 die Organisation des bürgerlichen Sports: der Deutsche Sportbund (DSB) wurde gegründet und sein erster Präsident war Willi Daume (1913 bis 1996). Damit stand der DSB auch personell ganz in der Folge des Nationalsozialismus.

Daumes Laufbahn als «Multi-Funktionär» begann somit 1950. Er war alter und überzeugter Nazi und verstand es, die alte Garde der Mitarbeiter des NS-Sports im neuen westdeutschen Sport weiter zu beschäftigen, um schnell handlungsfähig zu sein. 1956 wurde er in das Internationale Olympische Komitee berufen. Auch Baden-Baden konnte sich mit ihm schmücken. Der Olympische Kongress 1981 beschloss, die Amateur-Bestimmungen abzuschaffen. Das war also das gesellschaftliche und geistige Umfeld des Dr. Otto Heinz Ertl, als Vertreter der Sportjugend dem Vorstand des DSB angehörte. Warum eigentlich?

Passte er also in die Verleger- und Zeitungsfamilie des Badischen Tagblatts? Wenn Werner Hambruch schon kein Nachfolger-Sohn geboren wurde, sondern «nur» (?) zwei Töchter, so war ein Schwiegersohn mit dem «richtigen» Stallgeruch doch genehm, oder? Schließlich bezog Werner Hambruch seine Angestellten und Mitarbeiter vom Reichsleiter der NSDAP Robert Ley (1890-1945), dem Leiter des Einheitsverbandes Deutsche Arbeitsfront (DAF) und war somit Führer seiner Gefolgschaft. 1933 wurde das «Aktionskomitee zum Schutze der deutschen Arbeit» gegründet, dessen Aufgabe die Auflösung und Übernahme der Gewerkschaften war. Wenig später wurde es in die deutsche Arbeitsfront (DAF) überführt, deren Leiter Robert Ley bis 1945 war.

Das Badische Tagblatt war gleichgeschaltet und Mitglied der Reichsschrifttumskammer. Robert Leys Charakter lässt sich beschreiben mit einer Rede, die er am 2. Juni 1942 in den Berliner Siemens-Werken hielt: «Juda wird und muss fallen. Juda wird und muss vernichtet werden. Das ist unser heiliger Glaube.» Das zum Umfeld von Dr. Ertl und seiner angeheirateten Familie. Aber: Das Leben im Nationalsozialismus war nicht «alternativlos». Jeder Deutsche hatte die Entscheidung zwischen Gut und Böse.

Es gab keinen Neuanfang nach 1945. Die alten Köpfe führten weiter in die neue Zeit, oder taten sie nur so? Wer von der noch Lebenden bringt endlich Licht in das Dunkel? Oder kann man ihnen moralisch nicht beikommen?

Gertrud Mayer
Baden-Baden


Wenn Sie auch einen Leserbrief an die Redaktion senden möchten, nutzen Sie bitte diese E-Mail-Adresse: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

In Ausnahmefällen veröffentlicht goodnews4.de Leserbriefe auch unter einem Pseudonym. Die tatsächliche Identität des Verfassers ist goodnews4.de in jedem Fall bekannt.

PDF «Spielregeln» für Leserbriefe an goodnews4.de


Zurück zur Startseite und zu den weiteren aktuellen Meldungen.