Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung" - Zur Synagogen-Diskussion "Baden-Baden liest und schweigt" - „Und sie schämten sich nicht?!“

Baden-Baden, 25.06.2018, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leser Kurt Krause Stellung zu dem goodnews4-Bericht Baden-Baden liest zur Vergangenheit und schweigt zur Gegenwart − Ruben Schuster zum Stopp des Synagogen-Projektes Fürstenbergallee: «Ein gutes Zeichen».

Seit einigen Monaten finden Lesungen aus Gerhard Durlachers Buch «Ertrinken» statt. Stadtbibliothek und Volkshochschule machen mit. Die Lokalzeitung Badisches Tagblatt berichtet darüber. Selbst geringste Zuhörerzahlen von weniger als zehn schrecken das BT nicht ab, ausführliche Artikel zu bringen. Warum wohl?

Die Eigentümerinnen des Badischen Tagblatts sind die Töchter von Werner Hambruch, die Damen Eva Ertl und Yvonne Hambruch-Piesker. Sie sind die Eigentümerinnen von Grundstücken an der Sophienstraße und der Stephanienstraße. Dazu gehört auch das ehemalige Synagogengrundstück in der Stephanienstr. 5, welches sie an ihre Firma, das Badische Tagblatt, als Parkplatz vermietet haben.

Seit vielen Monaten schwelt unter Baden-Badener Bürgern, dem Initiativkreis Synagoge und goodnews4 eine Diskussion über die profane Nutzung des Synagogengrundstücks in der Stephanienstr. 5 als Parkplatz. «Warum ist immer noch nicht geklärt, dass der Neubau der Synagoge am angestammten Platz erfolgen soll?» ist eine häufig gestellte Frage. Nun, der Parkplatz gehört den Erben des verstorbenen Zeitungsverlegers des BT, Werner Hambruch, also den Damen Eva Ertl und Yvonne Hambruch-Piesker. Später dann wohl der Tochter Xenia Richter. Sollten sie sich − wie viele andere Menschen in Baden-Baden − für etwas schämen, was ihnen per Erbschaft zugefallen ist?

Es ist daher kein Wunder, dass die Redaktion des BT immer wieder aufs Neue bemüht ist, über die Juden in Baden-Baden während der Nazi-Zeit zu schreiben. Muss damit etwa die Verlegerfamilie vom Odium der Nutznießung ehemals jüdischen sakralen Eigentums oder Schlimmerem, bisher noch nicht Ausgesprochenem, reingewaschen werden?

Aber zurück zum Durlacher-Buch. Schon der Titel der Veranstaltungsreihe lässt aufhorchen: offensichtlich können auch Baden-Badener alles, außer Hochdeutsch. Baden-Baden liest EIN Buch. Wird ein Exemplar des Buches immer wieder weiter gereicht, wenn jemand anderes aus ihm liest? Es sollte wohl eher heißen: Baden-Baden liest DAS Buch!

Es ist natürlich lobenswert, wenn heute, nachdem es nach 1933 in allen badischen Haushalten neben der Bibel auch Adolf Hitlers «Mein Kampf» noch gab, nun der Trend zum Dritt-Buch einsetzt. Oder kann man das Ganze auch als Vernebelungsaktion betrachten? Geht es den Initiatoren und ihren publizistischen Wegbegleitern gar nicht um Durlachers «Ertrinken»? Dient das etwa der Ablenkung von der Tatsache, dass es insbesondere seit April 1933 Bücherlisten gab, in denen fast alle Autoren von Rang und Namen genannt wurden, deren Bücher dann am 8. Mai 1933 auf den Scheiterhaufen verbrannten? Schon 100 Jahre zuvor hatte Heinrich Heine geschrieben: «Ein Land, in dem man Bücher verbrennt, verbrennt man irgendwann auch Menschen.» Welch eine Prophezeiung, die dann in Ausschwitz und anderen Vernichtungslagern Wirklichkeit wurde!

Die «Schwarze Liste» des Bibliothekars Dr. Herrmann umfasste Autoren aus den Bereichen «Schöne Literatur, Geschichte, Kunst, Politik und Staatswissenschaften, Literaturgeschichte, Religion, Philosophie und Pädagogik». Auf der «Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums» fanden sich schließlich 12.400 Titel und das Gesamtwerk von 149 Autoren. Nach 1945 gab es keine Wiederbelebung dieser ausgelöschten Periode deutschen Geistes, bis Jürgen Serke 1977 «Die verbrannten Dichter» schrieb.

Durlacher zu lesen oder vorzulesen ist sicher besser als gar nicht zu lesen. Aber wie wäre es denn mal mit Issac Babel, Berthold Brecht, Alfred Döblin, Kasimir Edschmid, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank, Ernst Gläser, Walter Hasenclever, Erich Kästner, Hermann Kesten, Irmgard Keun, Heinrich Mann, Klaus Mann, Robert Neumann, Gustav Regler, Erich Maria Remarque, Arthur Schnitzler, Anna Seghers, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Jakob Wassermann, Franz Werfel, Stefan Zweig, um nur einige wenige zu nennen?

Aber warum immer nur von den Opfern reden oder schreiben? Warum nicht auch einmal von den Tätern? Die Stadt- und Volksbüchereien waren 1933 dazu angehalten, ihre Bestände selbst zu «säubern» und die Bücher freiwillig zur Verbrennung zu übergeben. An den Universitäten erhielten die Studenten wie in Heidelberg Unterstützung von ihren Professoren und Rektoren. Wie aber sah es 1933 und in den folgenden Jahren in Baden-Baden aus? Was hat denn die hiesige Stadt-Bibliothek an «undeutschem» Schrifttum ausgesondert, als «nicht verleihbar» klassifiziert und dann nach dem Ende der Nazi-Zeit nie wieder angeschafft? Hat das Badische Tagblatt damals auch so freudig erregt und ausführlich über die Vernichtung der Literatur berichtet, wie das andernorts im Reich der Fall war?

«In Baden-Baden ist kein Platz für Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus» und «Wir wollen nie wieder ein Land der Blinden, Stummen und Tauben sein» wurde bei einer Lesung von Durlachers Buch, zu dem seine Witwe und seine Töchter angereist waren, postuliert. Wie sinnig, dass man als Ort der Lesung ausgerechnet das Richard-Wagner-Gymnasium gewählt hatte, ohne zu bedenken, dass dieser Komponist zu seiner Zeit auch ein antisemitischer Schriftsteller ersten Ranges war. Seine Witwe Cosima war mit Adolf Hitler befreundet, für ihre Kinder war der «Führer» Onkel Wolf, und sie glaubte bis zu ihrem Tod an den «Endsieg».

Das Motto «Trotzdem leben» soll nach OB Mergen «die Richtung anzeigen, in die man gehen» müsse. Bevor man ganz orientierungslos ist, empfiehlt sich eher das Motto von Ernst Toller: «Hoppla, wir leben noch!» Sie sollte besser einen neuen, gangbaren Lebensweg bis 2030 empfehlen und auch für sich selbst finden. Die Kollektivscham gibt es nicht. Aber: sollten die Nachkommen aller «Kriegsgewinnler» sich nicht endlich schämen, das Erbe dieser Väter angenommen, genutzt und vermehrt zu haben zu haben?

Der Kampf um das Synagogengrundstück ist keine juristische Frage, sondern eine moralische!

Kurt Krause
Baden-Baden


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