Diskussion über neuen Synagogen-Standort

Rabbi Walter Rothschild meldet sich zu Wort - „Nur damit Architekten noch mehr nutzlose Wettbewerbe gewinnen können“

Baden-Baden, 21.02.2018, Bericht: Redaktion Wie dringend notwendig eine öffentliche Diskussion um den Synagogenstandort in Baden-Baden ist, zeigt eine Stellungnahme von Rabbi Walter Rothschild.

Er weist auf die Struktur der Israelitischen Kultusgemeinde Baden-Baden mit inzwischen 720 Mitbürgern hin und bezweifelt, ob denn eine große Synagoge und Infrastruktur überhaupt notwendig ist. Die Baden-Badener jüdische Gemeinde schrumpfe und werde weiter schrumpfen, da der Anteil alter Menschen den der Jungen weit übertreffe.

Die von Walter Rothschild angeführten Argumente würden eher für die Beibehaltung der kleinen Lösung in der Werderstraße sprechen. Klar wird, dass die öffentliche Diskussion fehlt und die Argumente für die richtige zukunftsfähige Entscheidung noch lange nicht ausgetauscht sind.

Stellungnahme von Rabbi Walter Rothschild im Wortlaut:

Schalom,

Ich interessiere mich für die Ereignisse in Baden-Baden, weil mein Grossvater Landgerichtsrat a.D. Walter Rothschild wohnte dort von ca. 1933 bis November 1938, mein Vater Edgar Rothschild hat den Gymnasium dort besucht und mein Onkel Dr. Artur Flehinger war damals Vorsitzende der Gemeinde. Ich habe den Stadt mehrmals besucht. Nach den Statistik des Zentralwohlfartstelle (siehe www.zwst.org − Seiten 7 & 8) gab es in 1989 genau 32 Juden in dieser Gemeinde und in 2016 gab es 720. Es ist also klar, der alte Infrastruktur ist nicht mehr passend.

ABER − als ein Rabbiner in Deutschland seit 1998 und ehemaliger Vorstandsmitglied der Union progessiver Juden Deutschlands, möchte ich sagen: Es besteht der Gefahr, dieser Diskussion wird nur emotionell vorgetragen und nicht rationell. Was Deutschland heutzutage NICHT braucht ist noch mehr teueren «Prestige-Synagogen», wie in Aachen, Bochum, München usw. Diese würden immer von Leute gefordert die selber nie dort beten, aber denken, «es soll etwas schönes geben». Manchmal sind diese sogar nicht-jüdische aber gut-meinende idealistische Menschen. Diese moderne Synagogen sind häufig schwer mit den öffentlichen Verkehr zu erreichen, sind schwer zu unterhalten (sogar um eine Glühbirne zu wechseln!), schwer und teuer zu heizen.... die haben schlechten Akustik, sind inflexibel mit Bänke und mit Frauenempor, und sind einfach unbrauchbar. Von Sicherheitsrisiken nicht zu sprechen....

Nach den gleichen Statistik sind von diesen 720 Mitglieder (339 Männer, 381 Frauen) 268 schon 61 Jahre alt oder älter. Nur 71 sind zwischen 0 und 18. Die Gemeinde schrumpft und wird weiter schrumpfen. In den ganzen IRG Baden gibt es 5.383 Mitglieder, von den 2.393 über 61 sind. Fast die Hälfte! Grosse Gebäude sind nicht mehr nötig. Gemeinden heutzutage brauchen Seniorenheime und Pflegeheime (und leider Friedhöfe), sie brauchen Rabbiner und Sozialarbeiter, sie brauchen multi-zweck flexibler Räumlichkeiten wo ältere Menschen für einen Café treffen können, Räume die auch für Unterricht und Jugendtreffen und, ja, für Gottedienste benutzt werden können − aber gross und pompös sollen solche Gemeindezentra nicht sein und sie können, meiner Meinung nach, auch gemietet oder gepachtet sein, sie müssen nicht immer neu gebaut werden, nur damit Architekten noch mehr nutzlose Wettbewerben gewinnen können. Die Idee, man kann eine kleine Gemeinde von Zuwanderer wieder «in der Mitte der Gesellschaft» bringen, nur indem man ein Car-Park nur aus nostalgische oder «historische» Gründe wieder für eine Gebäude nutzt, wobei weder die gegenwärtige Nutzer noch die Gemeindemitglieder dann ein Car Park zur Verfügung haben werden, halte ich schlichtweg für falsch.

Also, ich wünsche die Gemeinde − nach den Turbulenzen der letzten Jahren − viel Erfolg, aber auch eine Zukunft ohne Bauschulden, ohne Sorgen über Dachreparaturen, Heizkosten, und ohne den Last der Träume der Menschen die selber nie dorthin gehen werden, denken aber, sie wissen am besten was eine Gemeinde oder ein Stadt wirklich braucht.....

Schalom,
Rabbiner Dr. Walter Rothschild
(Landesrabbiner von Schleswig-Holstein a.D.)


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