„Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel“ im LA8

LA8-Direktor Matthias Winzen schlägt Bogen zur "heute-show" - "Was in dieser zwangsharmonischen Biedermeierwelt nicht stimmt"

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goodnews4-VIDEO-Interview von Nadja Milke mit Matthias Winzen

Baden-Baden, 26.03.2018, 00:00 Uhr, Bericht: Christian Frietsch «Im Grunde genommen wird in der Bilderwelt von Krähwinkel gezeigt, was alles in dieser zwangsharmonischen Biedermeierwelt nicht stimmt», erhellt Matthias Winzen die Hintergründe der zur Sozialkritik stimulierenden neuen Ausstellung im Museum LA8. Und durchaus drängen sich Parallelen auf zu unseren Tagen des frühen 21. Jahrhunderts.

Zu dem selbstkritischen Medium des 19. Jahrhunderts beschreibt Matthias Winzen die Kulisse: «Die Bürger sitzen da in ihrer biedermeierlichen Stube und plötzlich müssen sie lachen. Sie lachen eigentlich auch über sich selber und das ist ja auch ein Fortschritt. Daran zeigt sich ja auch diese Mischung aus Unterhaltung, Orientierung, Nachricht. Was wir hier zeigen, ist also das Internet des Biedermeier.» Mit den Spott-Grafiken «Krähwinkel» geht eigentlich so etwas los wie Bilderkonsum, schlägt der Museumsdirektor den Bogen zu unserer Zeit der Bilderfluten. «Zum Beispiel wird ja regelmäßig von vielen Leuten die ‘heute-show’ geguckt», sieht Matthias Winzen uns nur getrennt durch die Form von Spott und Selbstkritik auf die zeitgenössische Gesellschaftsordnung. «Also diese Art von Orientierung, Spott, Witz, das fängt eigentlich zu der Zeit an, wo sich in Deutschland überhaupt ein Bürgertum bildet», macht er auch den Reiz deutlich, sich mit dieser Ausstellung zu befassen, um die Anfänge der Freiheiten des deutschen Bürgertums zu erkunden.

Zu sehen ist die Ausstellung «Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel» bis zum 2. September 2018 im Museum LA8 in der Lichtentaler Allee in Baden-Baden. Mehr: www.la8.de.


Abschrift des goodnews4-VIDEO-Interviews mit Matthias Winzen:

goodnews4: «Das absurde Treiben der anständigen Bürger in Krähwinkel.» Das hört sich an wie eine frivole Geschichte von Kafka vielleicht. Das ist aber die neue Ausstellung hier im Museum LA 8. Was gibt es denn zu sehen an frivolem, geheimnisvollem oder vielleicht auch etwas ganz anderem?

Matthias Winzen: Wir sehen eigentlich die Innenwelt der Biedermeierzeit. Biedermeier gilt als ganz harmonisch. Der Bürger zieht sich ins Private zurück. Der wird zu einer Art unpolitisches Kind. Alles schön harmonisch, behagliche Möbel und mittendrin gibt es plötzlich diesen Humor. «Krähwinkel» ist eine ausgedachte Stadt. Da sind die Leute alle ein bisschen seltsam und im Grunde genommen wird in der Bilderwelt von Krähwinkel gezeigt, was alles in dieser zwangsharmonischen Biedermeierwelt nicht stimmt: Schlaue Sprüche, erwachsenes Großgetue, Militärgerede. Also zum Beispiel: Ein General übergibt sich. Das hört sich sozusagen nach dem Ende eines militärischen Manövers an, wichtigtuerische Sprache, und die Bilder aus Krähwinkel nehmen das immer kindlich wörtlich. Wenn ein General sich übergibt, dann kotzt er. Mit einer kindlichen Logik wird die Abstraktheit der angeblich vernünftigen, angepassten Erwachsenensprache extra nicht verstanden. Daraus entsteht der Witz und daraus entsteht auch das Lachen, das anarchische Lachen. Das heißt, der Wirtschaftsbürger wird politisch zwangsverkindet und das kehrt wieder als scheinkindlicher Humor. Das war für die Zensur der damaligen Zeit kaum zu fassen, weil das spielt im Bildlichen. Das ist die Vieldeutigkeit des Bildlichen und deshalb müssen wir da eigentlich heute noch drüber lachen.

goodnews4: Nennen Sie mal noch ein paar Beispiele, wie eben der General, der sich übergibt. Wo ist denn der Spott am größten hier in der Ausstellung?

Matthias Winzen: Viele Blätter nehmen die alten Totsündentraditionen auf und auch die Sprichwörter, die Tugendsprichworte, die überhaupt in der Biedermeierzeit nochmal eine ganz große Konjektur haben, und verdrehen die in diesem mutwilligen, scheinbar kindlichen Missverstehen. Ganz viele Blätter handeln auch vom Alltagsleben, also Handel und Wirtschaft. Beispiel: Eine Dame bricht bei der Bezahlung ihrer Rechnung ab. Was sehen wir dann? Eine Frau, die in der Mitte durchgebrochen ist. Also ein durchaus brachialer Humor, der aber befreiend ist, der auch diese biedermeierliche Idylle von innen aufknackt und öffnet, und wir können uns das wirklich vorstellen: Die Bürger sitzen dann in ihrer biedermeierlichen Stube und plötzlich müssen sie lachen. Sie lachen eigentlich auch über sich selber und das ist ja auch ein Fortschritt. Daran zeigt sich ja auch diese Mischung aus Unterhaltung, Orientierung, Nachricht. Was wir hier zeigen, ist also das Internet des Biedermeier.

goodnews4: Apropos Internet: Was weiß man denn über die Nutzung und Verbreitungsart dieser Grafiken. Wurden diese sich an der Bar, am Arbeitsplatz oder Zuhause in der Stube gezeigt und in welcher Form wurden sie verbreitet?

Matthias Winzen: Mit Krähwinkel geht eigentlich so etwas los wie Bilderkonsum, also das sind jetzt nicht mehr Kultbilder für die Kirche oder Verehrungsbilder für irgendeinen Fürsten, sondern die Bürger können sich das kaufen, das heißt, die gehen dann in Buchhandlungen, diese Drucke werden vertrieben und man kann die sammeln. Es ist also ein richtiger Bilderkonsum, wenn wir heute verstehen wollen, deshalb auch Stichwort Internet, Bilder konsumieren, wenn wir sehen wollen wo kommt das her, landen wir relativ schnell in Krähwinkel.

goodnews4: Was wäre denn das heutige Krähwinkel in unserer Internetzeit?

Matthias Winzen: Zum Beispiel wird ja sehr regelmäßig von vielen Leuten die «heute-show» geguckt. Also diese Art von Orientierung, Spott, Witz. Das fängt eigentlich zu der Zeit an, wo sich in Deutschland überhaupt ein Bürgertum bildet. Das ist eigentlich die Phase der Biedermeierzeit, die ja nun auch eine widersprüchliche Zeit ist. Das ist ja auch zugleich die Vormärzzeit und eigentlich sprechen die Krähwinkel-Bilder viel mehr von den Widersprüchen der Zeit, als diese schönen harmonischen Biedermeierbilder, die wir heute so lieben. Die sprechen eigentlich nicht so sehr von den Widersprüchen der Zeit.

goodnews4: Wir leben ja heute in einer Welt, in der das Smartphone sozusagen an unserer Hand festklebt. Mit was sind denn die Bilder aus Krähwinkel vergleichbar? Mit dem Spott über die Mächtigen?

Matthias Winzen: Ja, ganz sicher. Also die Hauptzielscheibe sozusagen ist das Militär. Das ist ja auch die historische Erfahrung dieser Zeit, die napoleonischen Kriege, dann Hohenzollern, also Preußen, dominiert die deutschen Kleinstaaten, also die alten Zöpfe, über die sich übrigens auch Heinrich Heine lustig macht, der auch Krähwinkel dichterisch thematisiert. Also die alten Zöpfe, das ist ja Militärkleidung, das kommt oft vor. Es kommen auch die Konflikte der neuen Kleinfamilie, die sich in der Zeit bildet, vor. Also, was alles zwischen Mann und Frau passiert, wenn die jetzt ihre wunderbar kleinen behaglichen Wohnungen bewohnen. Da kommt es ja manchmal auch zu Auseinandersetzungen, die gar nicht so harmonisch vorgesehen waren.

goodnews4: Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Nadja Milke für goodnews4.de

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