Mendelssohn und Bruckner im Festspielhaus

Ein Abend in Moll? Mitnichten! – Frank Peter Zimmermanns Stradivari sang Mendelssohn – Sächsische Staatskapelle Dresden ließ „jugendlichen“, leider viel zu lautstarken Bruckner erklingen

Ein Abend in Moll? Mitnichten! – Frank Peter Zimmermanns Stradivari sang Mendelssohn – Sächsische Staatskapelle Dresden ließ „jugendlichen“, leider viel zu lautstarken Bruckner erklingen
Ausnahmegeiger Frank Peter Zimmermann. Foto: Harald Hoffmann

Baden-Baden, 04.02.2019, Bericht: Inga Dönges Frank Peter Zimmermann ein Ausnahmegeiger mit seiner Ausnahmevioline, der «Lady Inchiquin» von Stradivari, die einst von Fritz Kreisler gespielt wurde und später Eigentum der West LB in Düsseldorf war.

Sie wurde im Rahmen eines Sponsor-Vertrages Zimmermann zur Verfügung gestellt. Das war dann die «große Liebe» zwischen beiden und ließ wundervolle Musik erklingen.

2012 wurde die Bank insolvent und musste ihr Eigentum veräußern. So stand also plötzlich ein Spitzengeiger ohne «sein» Instrument da − eine künstlerische Katastrophe. Es gab ein «Happy End», die «Lady» kam wieder in den Arm von Frank Peter Zimmermann durch das Land NRW, das eine Reihe der Kulturgüter aus dem Bestand der West LB/Portigon erwarb. So die Vorgeschichte des heutigen Konzertes. Zimmermann wurde 1965 in Duisburg geboren, erlernte das Violinspiel bei seiner Mutter ab dem Alter von 5 Jahren, um mit 10 Jahren Schüler der Folkwang-Schule in Essen zu werden.

Es erklang das dreisätzige Konzert für Violine und Orchester e-Moll Opus 64, entstanden 1844, von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), ein Glanzlicht der deutschen Romantik. Die Innigkeit und ergreifende Melodik erheben es zu den bedeutendsten Werken der Violinen-Literatur − und auch zu den schwierigsten. Der Blick auf die Noten der Partitur lässt schwindlig werden. Alles ist enthalten: atemlose Arpeggien. Doppelgriffe, Piccicati, Triller und Flageolett hält man eigentlich für unmöglich. Das stufenlose Crescendo vom Pianissimo (PP) zum forte und wieder zurück sind mustergültig − wobei der Rückweg die größere Schwierigkeit in sich birgt. Die Töne behalten bis zum letzten Verklingen ihre Intensität. Also ein wahres Wunder!

Der 1. Satz Allegro molto appassionato beginnt mit einer kantablen Melodie des Solisten zur Streicherbegleitung. Sie öffnet die Herzen der Hörer. man möchte mitsummen. Ein zweites Thema der Klarinetten und Flöten schließt sich an, bringt das Romantische zum Ausdruck. Die Durchführung endet in einer Kadenz, gemeistert mit Leichtigkeit und Virtuosität. Die Kantilene des 2. Satzes ist zart und ausdrucksvoll und endet in dem für den Komponisten typischen elfenhaften Ton. Die Soli der Violine waren ein unübertrefflicher Hochgenuss, wurden aber vom Orchester lautstark zugedeckt, die Holzbläser ausgenommen. Mag der Dirigent Christian Thielemann diesen Komponisten nicht?

Frank Peter Zimmermann gab nach großem Applaus eine Zugabe: Béla Bartók Solo-Sonate für Violine, 1944 in New York durch Yehudi Menuhin uraufgeführt. Er spielte hier den 3. Satz «Melodia», was offensichtlich eine Hommage an Bach war. Dieser 3. Satz kann als da-capo-Arie bezeichnet werden und endet im Kontrast dazu mit Doppelgriffen, Akkorden und Tremoli und schließt mit Vogelrufen. So wurden die Zuhörer in die Pause entlassen und machten sich Gedanken über die für sie hörbare Aversion des Dirigenten und seines Orchesters (?) gegen Mendelssohn Bartholdi.

Felix Mendelssohn Bartholdi wurde 1808 in Hamburg geboren, ein Enkel des Philosophen Moses Mendelssohn (1729 – 1786). Der Vater ließ sich mit seiner Familie in Berlin als Bankier nieder und konvertierte zum Protestantismus. Man kommt einfach nicht an Richard Wagner vorbei und seiner Schrift «Das Judentum in der Musik», Kapitel: Felix Mendelssohn Bartholdi: «Gemeinschaftlich mit uns Mensch werden, heißt für den Juden aber zuallernächst so viel als aufhören, Jude zu sein. Aber bedenkt, daß nur eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluch sein kann: Ahasver, der Untergang!»

Eine unwürdige Klassifizierung der Juden und der jüdischen Künstler. Anton Bruckner (1824-1896) geriet, da er Wagners Persönlichkeit auf dem Feld der Musik verehrte, in das Schussfeld der Wagner-Gegner. Diese ernannten ihn zum «Wagnerianer», ohne sich die Mühe zu nehmen, Bruckners Musik zu analysieren. Man berief sich auf Brahms − allerdings gegen dessen Willen. Wagnerianer und Brahmsianer lieferten sich Wort-Schlachten, jenseits der guten Sitten. Der ständig Angegriffene war Bruckner, wenn man Wagner nicht treffen konnte.

Nach der Pause im Konzert dann Anton Bruckner Symphonie Nr. 2 c-Moll, als Neu-Edition der Nowak-Fassung (1877) von William Carragan, 4 Sätze, komponiert 1872 − erste Aufführung in Wien 1873. Die Komposition wurde den Wiener Symphonikern eingereicht, die sie als «nicht aufführbar» bezeichneten. Daraufhin engagierte und bezahlte Bruckner selbst ein Orchester. In diesem Werk sind die Abschnitte durch Generalpausen voneinander abgetrennt, was ihr bei geistreichen Kritikern die Bezeichnung «Pausen-Symphonie» eintrug. Die Generalpause ist das Mittel, Spannung aufzubauen, eine Fallhöhe herzustellen. Davon war hier nichts zu hören. Es war einfach eine Pause, und dann ging es weiter. Erstaunlich, dass die Spieldauer der Symphonie statt der üblichen 50 Minuten eine Stunde brauchte. An den Pausen lag es jedenfalls nicht.

Die Celli leiteten den 1. Satz ein, dann nach einer Generalpause ein lyrisches Thema und nach einer weiteren Pause ein Zitat der g-Moll Fuge von Johann Sebastian Bach. Im nächsten Satz ein Zitat aus dem Benedictus der f-Moll Messe. Das Scherzo ist elegant und geschliffen, das Trio idyllisch und weich. Im Finale erklingt nach einer Pause (!) ein Bruchstück aus dem Kyrie der f-Moll-Messe. Bruckner blieb sich und seinem Kompositionsstil treu. Er war ein Mensch voll Demut, so wie er auch seinem Beruf als Lehrer und Organist in Steyr treublieb.

Viele Feinheiten dieser Symphonie waren nicht zu hören, selbst wenn man auf sie wartete, weil man sie kannte und schätzte. Mit wenigen Ausnahmen der Bläsersoli gab es eine Lautstärke, die man nicht allein dem Orchester anlasten möchte. Schließlich stand vorn der Dirigent, ihr Generalmusikdirektor, Christian Thielemann. Geboren 1959 in West-Berlin, nahm Klavierunterricht und studierte Bratsche, wurde dann gleich Assistent bei Herbert von Karajan. Was das Dirigieren angeht, ist er Autodidakt. Das fiel schon beim Sehen (!) auf. Ob er statt an Bruckner an Wagner dachte, entzieht sich dem Wissen - aber es hörte sich so an.

Das musikalische Glück des Abends waren Frank Peter Zimmermann und seine «Lady Inchiquin», Mendelssohn und Bartók. Die 2. Symphonie von Anton Bruckner erschließt sich dem Hörer eher bei Günter Wand oder Herbert Blomstedt. Aber so war sie nur die Interpretation von den Dresdnern und ihrem Chef. Schade!


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