Eine Hommage an Sergei Prokofjew

Mariinsky Ballett im Festspielhaus Baden-Baden - Dance Revolution à la Russe

Mariinsky Ballett im Festspielhaus Baden-Baden - Dance Revolution à la Russe
„Der verlorene Sohn“ - Ballett in drei Szenen im Festspielhaus Baden-Baden. Foto: Natasha Razina

Baden-Baden, 24.12.2018, Bericht: Inga Dönges Eine Hommage an Sergei Prokofjew, den Komponisten, der eine Entwicklung vom Expressionismus zum Neo-Klassizismus bis hin zur Atonalität und harten Dissonanzen nahm.

Sergei Prokofjew wurde 1891 in Sonzovka/Jekaterinoslav, dem heutigen Dnipro in der Ukraine geboren. Er begann mit dem Klavierunterricht, um von 1904 bis 1914 am Konservatorium in St. Petersburg zu studieren. 1918 verließ er Russland und lebte dann bis 1933 in den USA und Europa, vor allem in Paris. 1948 wurde er zweimal wegen seiner «formalistischen» Musik vom Zentralkomitee der sowjetischen kommunistischen Partei gemaßregelt. Er starb 1953 in Moskau. Sein Vermächtnis: «Ich bin überzeugt, dass der Komponist … berufen ist, der Menschheit und den Völkern zu dienen.»

Prokofjews Werke beeindrucken durch ihre Vollkommenheit und klassische Formgestaltung sowie ihre bildhafte Ausdruckskraft. Seine musikalische Sprache ist hier für den Tanz komponiert. 1929 schreibt Prokofjew das Ballett «Der verlorene Sohn», Choreographie George Balanchine. Die Uraufführung fand im selben Jahr in Paris mit großem Erfolg statt, dann erst 2001 im Mariinsky Theater, St. Petersburg. Der Choreograph Balanchine schuf die Verbindung zwischen Eleganz und Professionalismus. «Die philosophische Methode ist die absolute Norm choreographischer Produktion. Die großen neuen Ergänzungen zum Vokabular des zeitgenössischen klassischen Tanzes kommen aus der Musik.» Er warnt seine Studenten und Tänzer:«Vergesst die Schritte, sie bringen sich von selbst in Erinnerung. Versucht seinen Geist [des Stückes] wiederzugeben.»

«Prodigal Son», «Der verlorene Sohn» − Ballett in drei Szenen. Das Thema hat nicht nur biblischen Ursprung, sondern findet sich in der Weltkulturgeschichte immer wieder. Für Prokofjew hat es auch autobiographische Züge. Diese Geschichte ist einfach erzählt. Alexander Sergeev, der Sohn, verlässt den Vater und seine beiden Schwestern, um hinaus in die Welt zu gehen. Er gerät in verbrecherische Gesellschaft, erliegt einer rassigen Verführerin (Ekaterina Kondaurova).

Die Melodie ist gesanglich und erlesen. Eine kämpferische Aktivität vermittelt sich durch energische Rhythmen. Der Pas de deux der Sirenen und des Sohnes (der keinen Namen trägt − also einen Typus verkörpert) entspricht der Musik: Adagio − Allegretto und steigert sich mit dem Corps de ballet zum Allegro fastoso, zum Presto.

Der verlorene Sohn macht sich auf die Suche nach seiner Heimat und wird vom Vater (Soslan Kulaev) wieder aufgenommen, er verzeiht ihm. Eine berührende Schlussszene: der alte Vater nimmt den zurückgekehrten Sohn in die Arme und hüllt ihn mit seinem weiten Mantel ein. Der Tanzstil ist für heutige «Ballettaugen» ungewöhnlich − expressionistisch und damit seiner Zeit voraus. Dabei werden trotzdem alle klassischen Figuren getanzt. Exakte Gleichheit der Bewegung von Armen und Beinen im Corps de ballet − fast alle Tänzer kommen als Absolventen der berühmten Waganowa-Akademie. Die Bühnenbilder waren wie immer beim Mariinsky-Ballett schlicht und ließen den Tänzern Raum. Bemalte Vorhänge heben und senken sich, der kleine hölzerne Gartenzaun reicht als Requisite für die Handlung. Die Ausstattung und Kostüme waren im Entwurf von Georges Rouault und Vera Sudeikina.

Nach der Pause dann die jüngeren Choreographen, die «jungen Wilden», die notwendig sind, um die Künste weiter in die Zukunft zu bringen: es sind hier Maxim Petrov und Anton Pimonov − beide «Eigengewächse» des Mariinsky Balletts. Beginnend mit der «Russischen Ouvertüre», op. 72 von 1936. Ballett in einem Akt. Choreographie Maxim Petrov, Kostüme Tatiana Noginova, das Licht von Konstantin Binkin war das Bühnenbild. Uraufführung 2016 im Mariinsky Theater, St. Petersburg. Prokofjew war 1936 gerade nach Russland heimgekehrt und schwelgt in Motiven aus Volkstänzen, romantischen Liedern und liturgischen Gesängen.

Diese Musik lässt die Tänzer − auf der Spitze − mit Sprüngen und Pirouetten und allen Figuren des klassischen Balletts zu einem wilden Fest tanzen. Ungewöhnlich: es gibt zwei Paare, die jeweils nicht nur große Pas de deux’s tanzen, sondern dabei Partnerwechsel vollziehen: Yekaterina Ivannikova − Roman Belyakov und Yekaterina Osmolkina − Xander Parish. Der Solist ist Andrei Arseniev und tanzt, springt, dreht und wirbelt zwischen den Paaren und dem Corps de ballet. Staunend sah man ein Pas de quatre und Pas de deux’s des Corps de ballet einen Kreis bilden. Es ist pralles, humorvolles, dörfliches Leben. Der Solist ist der Spaßmacher ohne Namen und steigert die fröhlich-freudige Stimmung. Maxim Petrov ist ein Stück mit «Sahnehäubchen» gelungen!

Wieder ein nahezu fliegender Wechsel, ermöglicht durch die gemalten Bühnenbilder, die einfach hinauf- und heruntergezogen werden. Das Violinkonzert Nr. 2 in g-Moll op. 63 − Ballett in einem Akt. Choreographie Anton Pimonov. Uraufführung 2016, Mariinsky Theater, St. Petersburg, entstanden 1935. Es gib wieder zwei Paare: Kristina Shapran − Andrei Yermakov und Nadezhda Batoeva − Alexei Timofeyev und das große, sehr exakte Corps de ballet. Man spürt, dass Tanz eine Möglichkeit ist, Musik auszudrücken und seine Erfüllung darin zu finden. Faszinierend, wie die Gegensätze gemeistert werden: die Musik umfasst Dissonanzen, sie werden klassisch getanzt, und es entsteht eine schlüssige Einheit. Man ist versucht, an Hegel zu denken, der aus These und Antithese die Synthese formt.

Olga Volkova spielt die Solo-Violine und schmeichelt dem Ohr. Die Tänzer dürfen auf ihren hervorragenden Legato-Bögen tanzen! Das Violinkonzert bietet alles: es beginnt mit einem volksliedhaften russischen Thema kombiniert mit einem lyrischen. Es folgt die großangelegte Serenade, die kantabel und tänzerisch ist. Das Finale ist wie ein Feuer, voll tänzerischer Impulse und sehr anspruchsvoll.

Anton Pimonov folgt und ehrt George Balanchine, dessen Maxime ist: «Das Theater ist der Ort, wo das Widersinnige immer möglich ist.» Getragen werden die Tänzer auf dem Klangteppich des Mariinsky Orchesters unter seinem Dirigenten und Intendanten Valery Gergiev. Die Namen bürgen für Qualität und außerordentliche Kunst. Man möchte sie alle nicht missen! Sie zählen zwar nicht zu den sog. «Big Five», sind jenen aber ebenbürtig, wenn man die Wärme und Sicherheit spürt, die die Musiker verströmen. Ein großer Abend! Der Beifall wollte kein Ende nehmen für die Verbindung zwischen Sergei Prokofjew, dem Mariinsky Orchester und dem Ballett: Bravo für diese Leistung!


Zurück zur Startseite und zu den weiteren aktuellen Meldungen.