Gastkommentar

Am Freitag in Baden-Baden – Der tosende Beifall erfasste das Haus – Gastkommentar von Inga Dönges

Am Freitag in Baden-Baden – Der tosende Beifall erfasste das Haus – Gastkommentar von Inga Dönges
Foto: Lars Sanden

Bild Inga Dönges Gastkommentar von Inga Dönges
01.12.2025, 00:00 Uhr



Baden-Baden «Und jedermann erwartet sich ein Fest», so Johann Wolfgang Goethe im Faust I, Vorspiel auf dem Theater. Der Direktor fügt hinzu: «Ich wünsche sehr der Menge zu behagen, besonders weil sie lebt und leben lässt.»Das Publikum am heutigen Abend seufzte zum Schluss: „Es war wie früher, eben ein Genuss!»

Dem Anlass entsprechend trugen die Herren dunklen Anzug und Weste, die Damen das festliche kleine Schwarze, die große Bühne ein Halbkreis für das riesige Orchester, eingerahmt von zwei Blumenarrangements. Die Musiker in Frack und Abendkleid, der Dirigent im schwarzen Gehrock. Somit das äußere Gesamtkunstwerk und der Rahmen für große Musik: Form und Inhalt passten zusammen.

Die Größe der Musik wurde gefeiert und begann mit dem Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104 von Antonin Dvořák (1841 - 1904). Sein Weg vom einfachen Gastwirtssohn und Dorfmusikanten zum weltweit gefeierten tschechischen Nationalkomponisten war weit. Erst im Alter von 40 Jahren gelang ihm der internationale Durchbruch, nicht zuletzt durch die Förderung seines Freundes Johannes Brahms. 1892 erhielt er einen Ruf nach New York als Direktor des Nationalen Konservatoriums. Drei Jahre blieb er dort und hatte immer Sehnsucht nach der vertrauten böhmischen Heimat. 1893 komponierte er die Sinfonie «Aus der neuen Welt». Dann das Konzert für Violoncello und Orchester op.104, eines der wichtigsten Stücke der romantischen Konzertliteratur. Für den Cellisten immerwährende Prüfung und letztlich Jubelstück, sofern ihm alles gelingt. Gautier Capuçon gelang es! Man hörte förmlich die berühmte Stecknadel fallen, so berührte sein Spiel des Publikum. 1981 in Chambéry geboren als jüngerer Bruder des Violinisten Renault Capuçon, durchlief er nach seiner Ausbildung in Paris eine glanzvolle Karriere mit nahezu allen berühmten Orchestern und Dirigenten. Er spielte das Cello L’ambassadeur von Matteo Goffriler aus dem Jahre 1701. Nur ein Genie wie er kann das alte Instrument zum Klingen und Singen bringen. Und das schaffte Gautier Capuçon, und der Bogen bereitete mit seinem Herrn himmlische Töne. Die Tessitura dieses Instruments ist immens, von ganz tief bis hoch oben. Das alles ist ein kleines Wunder denn: Dvořákhegte eine ziemliche Abneigung gegen dieses Instrument, «weil das Cello unten brummt und oben schreit». Welch ein Glück für die Nachwelt, dass er 1895 das Cello-Konzert komponierte und uns erlaubt, dies einfach zu genießen und uns bis tief ins Herz hinein daran zu erfreuen.

 

Der 1. Satz beginnt mit zwei Themen: ein kühnes großes und ein lyrisches Thema. Im Verlauf sind es immer wieder zwei Instrumente, die sich umarmen, um dann wieder auseinanderzugehen, so z.B. ein feines «Gespräch» mit der Violine der Konzertmeisterin, geschmückt mit einem langenblonden Pferdeschwanz. Cello und Violine sind im Duo miteinander verbunden. Der 2. Satz - ein großer lyrischer Fluss. Das Englischhorn stimmt einen wehmütigen Gesang mit indianischer Melodik an. Im pathetischen Mittelteil klingt wieder das Heimweh durch, um im 3. Satz ein Bild von der Heimat jenseits des Meeres zu zeichnen. Das Finale ist von der Freude über die bevorstehende Heimkehr erfüllt. Der tosende Beifall erfasste das Haus und man erklatschte eine Zugabe: Das von Capuçon für Cello arrangierte «Lasst mich allein» op. 82 von Antonin Dvořák aus den vier Liedern.

Nach der Pause dann der große „Brocken“. Das Cello-Konzert mit seiner Dramatik war Einstimmung auf dem Weg von der Romantik in Richtung auf das Neue, das Große was nun eingeläutet wurde und sich über die nächste Zeit zu einem Mahler-Zyklus vollenden soll. Gustav Mahler wurde am 7.Juli 1860 in Kalitsch, einem weit abgelegenen Dorf zwischen Böhmen und Mähren geboren, inmitten des jüdischen Kleinbürgertums von Deutschen und Tschechen, beide Teile wie durch eine unsichtbare Wand getrennt. Assimilation war den Juden in den westlichen Teilen des habsburgischen Vielvölkerstaates eher möglich als im Osten. Mahler fühlte sich zu den Liedern und Tänzen der tschechischen Bevölkerung hingezogen, wie auch zu den Märschen des österreichischen Militärs. Die nächsten Stationen waren für ihn Prag und Wien, durch freundschaftliche Beziehungen zu Anton Bruckner. Dort fühlte er sich zum Komponisten berufen, aber er musste bis Juli 1885 die Stelle eines zweiten Kapellmeisters am Hoftheater in Kassel annehmen. Hier entstandenen Teile der 1. Sinfonie in D-Dur. 1889 wurde Mahler Operndirektor an der königlichen Oper in Budapest- Im gleichen Jahr die Uraufführung der 1. Sinfonie: ein Fiasko! Der mächtige Wiener Kritiker Eduard Hanslick schrieb aber dazu eine wohlwollende Rezension. 1902 heiratete Mahler Alma Schindler. Er gehörte zu jenen Musikern, die den Typus des «Inszenierungs-Dirigenten» geschaffen haben. Das «in Szene setzen» einer Oper wird zur eigenständigen künstlerischen Leistung. Die Inszenierung wird zur Interpretation. 1897 trat Mahler zum Katholizismus über, eine Konzession an die gesellschaftlichen Verhaltensregeln. Der 1. Sinfonie hatte Maler den Gesamttitel «Der Titan» gegeben. Er bezieht sich damit auf Jean Pauls Dichtung. Jean Pauls Gedanke war «eine sich selbst zerstörende geniale Natur darzustellen». Gespaltene Psychen, Wahnsinn und Selbsttötung begleiteten ihn. Mahler: «Das Komponieren ist wie ein Spiel mit Bausteinen, wobei aus denselben Steinen immer ein neues Gebäude entsteht. Die Steine aber liegen von der Jugend an, die allein zum Sammeln und Aufnehmen bestimmt ist, alle schon fix und fertig da.»

Der erste der großen Wunderhorn Vokalzyklen Mahlers, die «Lieder eines fahrenden Gesellen» entstanden 1884 in Kassel,und zwei der Gesellenlieder gingen thematisch in die zur gleichen Zeit skizzierte 1. Sinfonie ein. Ihr Kopfsatz ist langsam schleppend, im Anfang sehr gemächlich. So wird nach Anweisung musiziert: ein Pianissimo von so vielen Streichen gerät dem Dirigenten und seinem Orchester. Würde man nicht die sich gleichmäßig bewegenden Bögen der Violinen sehen, hielte man es nicht für möglich. Paavo Järvi lässt kammermusikalisch spielen, und dabei ist es ein riesiges Orchester, u.a. mit allein acht Kontrabässen, die unüblich auf der linken Seite gesetzt sind. Die dominierende Figur des 1. Satzes ist das «Naturmotiv» der fallenden Quarte. Es tritt in den folgenden Sätzen immer wieder auf. Im 3.Satz die Trauermarsch-Paukenschläge der Einleitung und des Epilogs und im Finale der choralartige Hymnus der Schlussapotheose.

Dieses Programm war als Huldigung an Jean Paul gedacht, des von Mahler hoch verehrten Dichters. Aber schon bei der vierten Aufführung 1896 in Berlin wurde der Titel «Titan» nicht mehr ausgedruckt. «Es ist irrelevant was dargestellt wird, es kommt nur auf die Stimmung an.» Die Druckfassung von 1899 figurierte dann schlicht als «Symphonie Nr. 1 in D-Dur» und wies zudem erhebliche Veränderungen auf. Da erhebt sich für den Hörer die Frage, welche Fassung heute Abend gespielt wurde. Aber das ist eigentlich nicht wichtig. Diese Musik ging zu Herzen und nahm für sich ein. Zu verdanken ist dieses Konzert dem Tonhalle-Orchester Zürich. Es wurde 1868 gegründet und zog 1895 in die neue Tonhalle Zürich. Das Orchester besteht heute aus rund 100 Musikern und gehört sicher mit zur Weltklasse. Seit 2019 ist Paavo Järvi Chef-Dirigent. Er wurde am 30 Dezember 1962 in Tallinn /Estland geboren. Ausgebildet unter anderem auch am Los Angeles Philharmonic Institute bei Leonard Bernstein. Man sieht es seinem Dirigat an, die Musik reißt ihn zu kleinen tänzerischen Bewegungen mit. Sein Dirigierstil ist klar mit sparsamen Gesten. Diese sind oft kreisförmig und künden dann das klassisch-prägnante Abschlagen an. Ein Dirigat, das die Musik klar über die Rampe ins Auditorium bringt. Großer Beifall für dieses musikalische Fest, das man erwartet hatte und eingetreten ist. Die Hoffnung auf mehr Konzerte dieser Art stirbt bekanntlich zuletzt.




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