Gastkommentar

Baden-Baden feierte Brahms-Tage – „Hosianna und kreuzigt ihn!“ – Gastkommentar von Inga Dönges

Baden-Baden feierte Brahms-Tage – „Hosianna und kreuzigt ihn!“ – Gastkommentar von Inga Dönges
Foto: Manolo Press / Michael Bode

Bild Inga Dönges Kommentar von Inga Dönges
27.09.2021, 00:00 Uhr



Baden-Baden Johannes Brahms (1833-1897) und Anton Bruckner (1824–1896) in Wien: «Hosianna und kreuzigt ihn!» So der Tenor der Wiener Presse dieser Zeit, verkörpert im Namen Eduard Hanslick (1825-1904).

Ursprünglich Jurist begann er früh publizistisch über Musik zu schreiben und wurde seit 1864 der einflussreichste Kritiker der Wiener «Neuen Freien Presse». Er entfachte leidenschaftliche Parteikämpfe u.a. über Brahms und Bruckner. Wagner verewigte ihn als Urbild des Beckmessers: «Hans Lick».

Johannes Brahms war der «Norddeutsche», in Hamburg geboren, nach Wien übergesiedelt, wo er rasch bekannt wurde. Er lebte viel auf Reisen, verdiente seinen Lebensunterhalt mit Konzerten. Die Sommermonate verbrachte er gern in Baden-Baden, goutierte den mondänen Trubel, war häufiger Gast im Hause Clara Schumanns, seiner großen unerfüllten Liebe. Er begegnete u.a. Iwan Turgenjew, Rubinstein und auch dem grünen Tisch der Spielbank. Dabei war er immer verliebt, ohne eine feste Beziehung zu finden.

Im Gegensatz zu den «Neudeutschen», die von der Tonart fort zur Chromatik streben, findet er zurück zu den alten Kirchentönen. Durch rhythmische Verschiebung und Synkope bleibt der Fluss der Musik erhalten. Brahms bringt es zu einzigartiger Vollkommenheit, hier im 1. Klavierkonzert d-Moll op. 15. Igor Levit, Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker musizieren es famos.

Der Pianist Igor Levit, geboren 1987 in Gorki, 1995 mit seiner Familie als jüdische Kontingentflüchtlinge nach Deutschland gekommen, wo er seine Ausbildung bekommt, um dann eine fulminante Karriere zu beginnen. Valery Gergiev, geboren 1953 in Moskau, ist dem Festspielhaus zugetan, rettete es vor mehr als 20 Jahren vor dem Ruin und hat einen festen Platz in den «musikalischen Herzen» der Festspielhausbesucher. Er ist seit 2015 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, die seit 125 Jahren bestehen, eines der besten deutschen Orchester.

 

Die Uraufführung des Konzerts war 1859 in Hannover unter der Leitung Joseph Joachims. Es fiel schlichtweg beim Publikum und der Presse durch und war ein schwerer Rückschlag für Brahms. Die Interpretationsgeschichte hat sich im Laufe der Zeit immer wieder geändert, vor allem das Tempo des 1. Satzes, dem Maestoso. Die originale Metronom-Angabe im Autograph lautet: punktierte Halbe = 58. So gibt es die Ausführung in knapp 17 Minuten, die Künstler am Abend nahmen die Hürde in 21 Minuten, was ein «Wohlfühltempo» war. Igor Levit ist eins mit seinem Flügel. Die Läufe und Akkorde lassen seine Hände und Finger über die Tastatur fliegen Er macht sparsam Gebrauch von den Pedalen, sein linker Fuß klopft mit. Orchester und Pianist musizieren auf einem Atem und Valery Gergiev führt alles mit seinen Händen – und das ohne Taktstock. Man kann es wie ein Fingerballett sehen!

Der zweite Satz, das Adagio wird häufig als eine Huldigung an Robert Schumann gesehen. Man kann nicht in das Herz von Johannes Brahms sehen, ob dahinter nicht eher tiefe Bitterkeit steckt. Der 3. Satz, ein Sonatenrondo, könnte als Vorbild Beethovens c-Moll-Konzert haben. Aber das sind Spekulationen der Nachgeborenen. Wir kennen die Gedanken und Gefühle des Komponisten nicht wirklich, auch wenn die Tendenz zur großen symphonischen Form unverkennbar ist. Vieles klang heiter und hatte keinen Moll-Charakter.

Natürlich beschenkte Igor Levit das begeisterte Publikum mit einer Zugabe: Robert Schumann, Kinderszenen op. 15. Er spielte das vorletzte Stück der Miniaturen: «Kind im Einschlummern». Dies war musikalische Poesie, so zart und leise, holte die Zuhörer vom vorherigen «Maestoso» in eine andere Wirklichkeit und zeigte die außerordentlichen Fähigkeiten dieses so unprätentiösen Pianisten.

Anton Bruckners Kompositionen sind zweigeteilt: zwischen der Faszination durch Richard Wagner, er übernimmt aber auch die «neudeutsche» Ästhetik. «Musik solle schildern, anstatt aus ihren eigenen Gesetzen zu wachsen.» Anton Bruckner war ländlicher Herkunft bei Linz und wurde zum Kirchenmusiker, das Orgelspiel stand ihm am nächsten. In Wien wurde er von den Wagnerianern gegen Brahms auf den Schild gehoben. Aber er hatte mit Wagner und den «Neudeutschen» nichts zu tun, wie auch nicht mit deren Antipoden Brahms. Dieser nannte seine Musik «Symphonische Riesenschlangen».

Der große und weise Dirigent Günter Wand setzt den Maßstab für das Verstehen und Fühlen von Anton Bruckner: Sein Werk ist «etwas wie die Widerspiegelung einer kosmischen Ordnung in dieser Musik. Was ich versuche ist … diese Widerspiegelung göttlicher Ordnung … deutlich zu machen. Bruckners untrügliches Gefühl für die Abhängigkeit von Zeit und Raum ist der Mörtel, der das Urgestein, aus dem seine symphonischen Kathedralen errichtet sind, zusammenhält.»

Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 6 A-Dur WAB 106. Die 6. Symphonie ist die ruhigste und abgeklärteste. Eine gewisse Heiterkeit durchzieht das ganze Werk. Er selbst nennt sie die «Lyrische». Er hatte sich wieder einmal (hoffnungslos) verliebt in sein Mariechen, der Braut in Oberammergau. Die Symphonie war sein Brautgeschenk, ausgedrückt mit sehnsüchtigen Hornweisen. Im 1. Satz, dem Maestoso, haben die Bässe die bedeutsame Rolle. Im 2. Satz, dem Adagio, die Streicher und die Oboe. Das Scherzo des 3. Satzes bestimmen die Holzbläser mit klopfenden Bassschlägen. Das Trio des 4. Satzes: Streicherpizzicati, denen die Hörner im gleichartigen Rhythmus antworten. Das Finale enthält das Motiv der Oboe, die Geigen über dem Tremolo der Bratschen.

Hier muss mit höchstem Lob festgestellt werden: die Brillanz der Streicher, die Hörner pianissimo ohne jeden «Kiekser», die Holzbläser – einfach jede Instrumentengruppe: Chapeau. Und Gergiev dirigierte diese großen Wellen und brachte mit seinen Fermaten immer wieder eine Rhythmusänderung und ließ den Zuhörer in der Spannung. Einfach «überirdisch»! Hier hätte es für Bruckner überschäumendes Lob gegeben. Aber 1886 wurde er von Kaiser Franz Josef in Audienz empfangen, trug die Uniform eines Ritters des Franz-Joseph-Ordens. Hinterher berichtete er einem Freund: «Wia er gesagt hat, es wäre mir eine Freude, Ihnen einen Wusch zu erfüllen … Majestät, verbieten’s allergnädigst dem Hanslick, daß er schlecht über mi schreibt».

Wir schließen uns an: Für beide, Brahms und Bruckner, ein Hosianna und die Palmen!


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