Aus dem Rathaus Gernsbach
Das kleine Gernsbach mit einer großen Geschichte – Eduard Bolin, der Juwelier des Zaren – „Gesprochen wurde im Hause Französisch, Englisch, Russisch, Deutsch und Italienisch“
Gernsbach, 11.04.2020, Bericht: Rathaus Am oberen Ende des evangelischen Friedhofs in Gernsbach befindet sich ein imposantes Grabmal: die Ruhestätte der aus St. Petersburg gebürtigen Familie von Bolin.
Dort ist auch Eduard von Bolin begraben, Hofjuwelier des letzten Zaren Nikolaus II. In Gernsbach führte von Bolin 30 Jahre lang ein ungemein gastfreundliches Haus, das zu manchen Anekdoten Anlass gab. Eine Serie aus dem Stadtarchiv in Gernsbach.
Es war sicher auch die Nähe zu Baden-Baden, die 1896 den Ausschlag dafür gab, dass Eduard Bolin (die Erhebung in den russischen Adelsstand erfolgte erst 1912) das Gut Vrohmberg oberhalb der Loffenauer Straße zunächst als Sommersitz erwarb. Bemerkenswert bleibt gleichwohl, dass der 1842 geborene Juwelier sich gerade für Gernsbach entschied. Vielleicht schätzte der Großstädter aus St. Petersburg den ländlichen Charakter einer «der schönsten und ruhigsten Sommerfrischen des Schwarzwaldes», wie Gernsbach sich seinerzeit als Kurort pries.
Am Geld kann es jedenfalls nicht gelegen haben, dass er der Murg statt der Oos den Vorzug gab, denn Bolins Privatvermögen wurde auf 50 Millionen Goldmark geschätzt, ein «Superreicher» nach heutigen Maßstäben. So reiste er mit seiner achtköpfigen Familie jeden Frühsommer auch im eigenen Salonwagen nach Gernsbach. Die vom Vorbesitzer Ottokar Martinsen erbaute Villa ließ er auf 45 Zimmer nahezu verdoppeln.
Bolins Gastfreundschaft war legendär. Der Tisch war stets für mindestens zwanzig Personen gedeckt. «Das Sprachgewirr im Hause Bolin war ungeheuer», heißt es in den Erinnerungen von Klaus Hoesch. Gesprochen wurde im Hause Französisch, Englisch, Russisch, Deutsch und Italienisch. Neben russischen Aristokraten war auch Gernsbachs «Hautevolee» regelmäßig zu Gast, so wie der junge evangelische Pfarrverweser, den die Mutter von Frau von Bolin zum Walzertanzen in ihr Zimmer entführte.
Beim Kriegsausbruch 1914 bürgte Felix Hoesch für den Sohn Bolins, damit dieser nicht als «feindlicher Ausländer» interniert wurde. Eduard von Bolin hielt sich zu dieser Zeit in Russland auf. Nach der Oktoberrevolution gelang ihm und seiner jüngsten Tochter die Flucht nach Deutschland mithilfe einer Rotkreuzschwester. Dank den ins Kleiderfutter eingenähten Preziosen konnte er auch weiterhin ein Leben auf großem Fuße führen, wenngleich das Vermögen allmählich zusammenschmolz.
1926 starb von Bolin als Emigrant und wurde in Gernsbach beigesetzt. Die Familie verarmte in der Weltwirtschaftskrise. Die Villa diente in der NS-Zeit als Müttergenesungsheim und wurde 1959 abgerissen.
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