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Ein Gedicht zum Wochenende – „Mai“ von Johann Wolfgang von Goethe

Ein Gedicht zum Wochenende – „Mai“ von Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang Goethe. Foto: Joseph Karl Stieler, Public domain, via Wikimedia Commons

Baden-Baden, 06.05.2023, Bericht: Redaktion Diese kleine goodnews4-Serie hilft vielleicht zu erkennen, dass nichts so flüchtig ist wie die tägliche Nachricht.

Ein kleines Gedicht zur Inspiration, vielleicht auch zum Sinnieren und gelegentlich auch zum Schmunzeln. Ausgesucht von Christian Frietsch.

«Mai»

Leichte Silberwolken schweben
Durch die erst erwärmten Lüfte,
Mild, von Schimmer sanft umgeben,
Blickt die Sonne durch die Düfte;
Leise wallt und drängt die Welle
Sich am reichen Ufer hin,
Und wie reingewaschen helle,
Schwankend hin und her und hin,
Spiegelt sich das junge Grün.

Still ist Luft und Lüftchen stille;
Was bewegt mir das Gezweige?
Schwüle Liebe dieser Fülle,
Von den Bäumen durchs Gesträuche.
Nun der Blick auf einmal helle,
Sieh! der Bübchen Flatterschar,
Das bewegt und regt so schnelle,
Wie der Morgen sie gebar,
Flügelhaft sich Paar und Paar.

 

Fangen an, das Dach zu flechten –
Wer bedürfte dieser Hütte? –
Und wie Zimmrer, die gerechten,
Bank und Tischchen in der Mitte!
Und so bin ich noch verwundert,
Sonne sinkt, ich fühl es kaum;
Und nun führen aber hundert
Mir das Liebchen in den Raum,
Tag und Abend, welch ein Traum!

Johann Wolfgang von Goethe

Geboren: 28. August 1749 in Frankfurt am Main
Gestorben: 22. März 1832 in Weimar

Quelle: Goethe, J. W., Gedichte. Ausgabe letzter Hand, 1827. Lyrisches. Aus: Mai, Erstdruck 1820




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