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Ein Gedicht zum Wochenende – „Nachtgedanken“ von Heinrich Heine

Ein Gedicht zum Wochenende – „Nachtgedanken“ von Heinrich Heine
Heinrich Heine. Quelle: Moritz Daniel Oppenheim, Public domain, via Wikimedia Commons

Baden-Baden, 20.05.2023, Bericht: Redaktion Es ist vielleicht der bekannteste Text von Heinrich Heine, immer wieder zu jeder Zeit unterschiedlich gedeutet.

Heinrich Heine hatte große Sehnsucht nach Deutschland, nach seinem Düsseldorf, dies hat wohl zu diesem Gedicht geführt. Heinrich Heine lebte von 1797 bis 1856 und verdiente sein Geld als Journalist, vor allem bei der Augsburger «Allgemeine Zeitung», die zu dieser Zeit als bedeutendste deutsche Zeitung galt und für die Heine als Korrespondent aus Paris berichtete.

Diese kleine goodnews4-Serie hilft vielleicht zu erkennen, dass nichts so flüchtig ist wie die tägliche Nachricht. Ein kleines Gedicht zur Inspiration, vielleicht auch zum Sinnieren und gelegentlich auch zum Schmunzeln. Ausgesucht von Christian Frietsch.

«Nachtgedanken»

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

Die Jahre kommen und vergehn,
Seit ich die Mutter nicht gesehn;
Zwölf Jahre sind schon hingegangen;
Es wächst mein Sehnen und Verlangen.

Mein Sehnen und Verlangen wächst,
Die alte Frau hat mich behext,
Ich denke immer an die alte,
Die alte Frau, die Gott erhalte!

 

Die alte Frau hat mich so lieb,
Und in den Briefen, die sie schrieb,
Seh ich, wie ihre Hand gezittert,
Wie tief das Mutterherz erschüttert.

Die Mutter liegt mir stets im Sinn.
Zwölf lange Jahre flossen hin,
Zwölf lange Jahre sind verflossen,
Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen.

Deutschland hat ewigen Bestand,
Es ist ein kerngesundes Land;
Mit seinen Eichen, seinen Linden
Werd ich es immer wiederfinden.

Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.

Seit ich das Land verlassen hab,
So viele sanken dort ins Grab,
Die ich geliebt - wenn ich sie zähle,
So will verbluten meine Seele.

Und zählen muß ich! - Mit der Zahl
Schwillt immer höher meine Qual,
Mir ist, als wälzten sich die Leichen
Auf meine Brust. - Gottlob, sie weichen!

Gottlob, durch meine Fenster bricht
Französich heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.

Heinrich Heine

Geboren: 13. Dezember 1797, Düsseldorf
Gestorben: 17. Februar 1856, Paris, Frankreich




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