Gastkommentar

Gioachino Rossini im Festspielhaus Baden-Baden – Das Publikum: In höherem Alter und junge Leute mit Parka und Rucksack – Gastkommentar von Inga Dönges

Gioachino Rossini im Festspielhaus Baden-Baden – Das Publikum: In höherem Alter und junge Leute mit Parka und Rucksack – Gastkommentar von Inga Dönges
Aschenputtel. Foto: Michael Bode

Bild Inga Dönges Gastkommentar von Inga Dönges
18.11.2025, 00:00 Uhr



Baden-Baden Rossini sagte einst: «Mesdames er Monsieurs, es ist angerichtet! Eine Stretta jagt die andere!» Bei den Herbstfestspielen in Baden-Baden am 16. November 2025 muss dem Kurator Thomas Hengelbrock etwas schiefgelaufen sein: Die Premiere der «La Cenerentola» fand am 14. November 2025 nicht statt und wurde auf den 16. November 2025, einen Sonntagnachmittag, verschoben. Wegen «technischer Probleme» wurden dann die Zuschauer des zweiten Balkons umgesiedelt. Die Schreiberin hätte dort gesessen – war sie etwa das technische Problem?

Dann also Sonntag. Das Festspielhaus war circa nur zur Hälfte gefüllt. Das Publikum: in höherem Alter und junge Leute mit Parka und Rucksack, wie quasi von der Straße weggeholt. Die Sängerin der Premiere: Cecilia Molinari, eine etablierte italienische Mezzo-Sopranistin als Angelina, war verloren gegangen, aber: es gab Ersatz. Also zurück und alles auf «Los».

 

Im Sommer 1828 unternahm Heinrich Heine (1797 – 1856) eine Reise nach Oberitalien, schrieb den dritten Teil seiner «Reisebilder». Er nahm Stellung zu Gioachino Rossini (1792 – 1868) und dem sogenannten Rossini-Fieber in Mittel- und Südeuropa. Die Deutschen (deutschsprachigen) lehnten Rossini ab. Nestroy parodierte ihn 1833 in seiner Posse «Lumpazivagabundus» und Wagner in seinen «Meistersingern». Heine schreibt: «Dem armen, geknechteten Italien ist ja alles Sprechen verboten, und das darf nur durch Musik die Gefühle seines Herzens kundgeben. All sein Groll gegen fremde Herrschaft, seine Begeisterung für die Freiheit, sein Wahnsinn über das Gefühl der Ohnmacht, ...... all‘ dies verkappt sich in jenen Melodien, die staatsgefährlichen Triller und revolutionsnärrischen Koloraturen» sein sollten. «Trotz der enormen Popularität einer Handvoll seiner Werke kann Rossini für sich in Anspruch nehmen, der am meisten vernachlässigte und von Grund auf missverstandene der großen Komponisten des 19 Jahrhunderts zu sein.» (R. Osborne).

Rossinis Rückzug von der Opernbühne im Alter von nur 37 Jahren ist nicht mit gesundheitlichen Gründen zu erklären, zumal er noch weitere 38 Jahre lebte. In der ausgebrochenen neuen Epoche sieht er «Dampf, Ausbeutung und Barrikaden. Ein solches Vorausahnen ist nicht jedem gegeben: Gott schenkte es mir und ich ehre ihn dafür jede Stunde.»

In der Blütezeit der romantischen Oper galt Rossini als der Vollender der italienischen «Buffo» und «Seria» des Settecento, die er zum Stilgemisch «Semi-Seria» verschmolz. Die italienische Oper wurde im 18. Jahrhundert vom Geiste der Commedia dell‘arte geprägt. Heinrich Heine verspürte da das staatsgefährdende Potential revolutionärer Ränke.

Nun zum Stück: Cenerentola ist nicht das Aschenputtel aus dem Märchen. Angelina, genannt Cenerentola, ist die Stieftochter von Don Magnifico, einem verarmten Adligen und Stiefschwester von Clorinde und Tisbe, seinen ungeratenen hartherzigen Töchtern aus erster Ehe. Sie beide behandeln ihre Stiefschwester Angelina als Aschenbrödel und Magd, von irgendwoher herkommend und eben nicht so vornehm wie sie selbst. Cenerentola wird gegeben von Maria Kataeva, russische Sopranistin aus St. Petersburg. Ihre Stimme sollte lyrisch sein und vor allem mit Koloraturen perlen. Weder bei ihr, noch bei Alice Rossi (Clorinde) und Justyna Rapcz Olow (Tisbe) ist das gegeben. Sie sollten sprühen wie der Champagner aus der Flasche spritzig fließt. In der Partitur stehen Koloraturen, das heißt mit der Stimme kolorieren im Sinne von auszieren. «Die beiden Gegensätze innerhalb der Koloratur sind Lauf- und Sprungtechnik – cum grano salis umschrieben mit legato und staccato. Die Beherrschung dieses Wechsels ist die Grundlage für eine musikalisch sinnvolle, geradezu geigerische Phrasierung.» Hengelbrock ist von Haus aus Geiger, er hätte sie vielleicht leiten können. Es hätte klingen müssen wie das Abbrennen eines Feuerwerks – so wie es kürzlich hier im Festspielhaus von Cecilia Bartoli zu hören war. Bei ihr war es keine Tätigkeit mehr, sondern ein Zustand und dabei die Erdenschwere zu überwinden. Das alles gilt in Gemeinsamkeit mit dem Orchester.

Das Balthasar-Neumann-Orchester, von Thomas Hengelbrock 1995 gegründet, definiert sich damit «Werke in ihrem historischen Kontext zu betrachten und aufzuführen», mit alten historischen Instrumenten. Hier muss ein Missverständnis sein zur heutigen Opern-Aufführung. «La Cenerentola» wurde 1817 uraufgeführt und bis in die heutige Zeit gespielt. Aber bitte auch mit den Instrumenten des 19 Jahrhunderts! Das Festspielhaus schreibt mir: «Ein Meisterwerk des Belcantos, das einen erstaunt, vergnügt und bezaubert – besonders wenn es, wie stets bei Hengelbrock, neu entstaubt dem Publikum präsentiert wird.» Rossini muss nicht entstaubt werden! Vor allem: Es gibt von «La Cenerentola» 49 Textbücher und Partituren. Es wurden immer wieder Versatzstücke ausgetauscht, denn Rossini komponierte primär für seine Sänger/Darsteller. So lässt sich schwer entscheiden, welche Partitur das Original war. Große Dirigenten hatten sicher eine «richtige» Partitur. Oder sollten Abbado, Muti, Gulini, Pappano und viele mehr «Verstaubtes» dirigiert haben?

Der Balthasar-Neumann-Chor, 1991 von Hengelbrock gegründet, hier nur der Männerchor, gab eine gute Leistung. Leider war er in Kostümen, die gar nicht der höfischen Gesellschaft entsprachen. Dafür, wie auch für die Kleider der Damen war Charles de Vilmorin zuständig, bei dem die Augenweide wohl nicht Pate gestanden hat. Es geht trotzdem weiter: Don Ramiro, Prinz von Salerno will heiraten und sucht eine wohlgeratene Ehefrau. Er schickt seinen Kammerdiener Dandini auf die Suche, der sich als Bettler verkleidet. Levy Sekgapane, ein eigentlich lyrischer Tenor aus Kapstadt und Edward Nelson, ein amerikanischer Bariton, führen die Herrenriege an. Leider ist Ersterer ein lautstarker Tenor, dessen Höhe unangenehm scharf klingt und Gläser zum Zerspringen bringen könnte. Das gleichen die anderen Männerstimmen aus. Edward Nelson, der Italiener Adolfo Corrado (Alidoro) und vor allem der Georgier Misha Kiria (Don Magnifico) bleiben mit ihren Bass-Stimmen nichts schuldig. Eine Stretta nach der anderen, die abverlangten Töne in artistischer Reihenfolge, ohne zu mogeln und wegzulassen. Das war ein Genuss!

Die weitere Operngeschichte führt zum Happy End. Angelina und Don Ramiro finden zueinander und heiraten. Das Aschenputtel wird Fürstin, sie ist gütig und verzeiht und nimmt ihre bucklige Verwandtschaft mit in den Palast.

Das war Rossini – doch was sagt die Alte Musik dazu? Ihr Papst Nikolaus Harnoncourt: «Ich finde es wirklich brillant was er kann. Ich hätte gar nichts dagegen, einen guten Rossini aufzuführen, aber dass ein Komponist sein Leben lang keinen Herzenston hinkriegt, das ist merkwürdig.» Was soll man dazu sagen? De Mortiis nihil nisi bene? Nun – diese halbszenische Aufführung war wie schlechtes Schülertheater. Einige Kuben, Pappkartons ähnelnd wurden zu Türmen oder Tischen benutzt, das Light-Design – vulgo Licht – war schlicht. Es gab mal etwas blauen Himmel. Verantwortlich zeichneten dafür Vincent Huguet und Christophe Forey.

Der Vorhang fällt und alle Fragen bleiben offen. Erwartet waren Witz und Koloraturen, eben Rossini «at it‘s best». Aber es gab statt «Tournedos alla Rossini» nur faden Eintopf. Thomas Hengelbrock hatte die Zeit des19 Jahrhunderts zurückgedreht und passend gemacht für seine alte Musik. Man nennt das «historisch informiert», aber 1817 war diese hoch gelobte alte Zeit längst vorüber und die Welt der Musik weiter fortgeschritten. Was hat uns Hengelbrock da eingebrockt? Der Beifall im halb gefüllten Haus war groß – schließlich muss man bejubeln und beklatschen was man eingekauft hat, sonst wäre es ein verlorener Sonntagnachmittag gewesen. Draußen goss es in Strömen. So blieb die «Le Cenerentola» nur ein Schlag ins Wasser.




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