Große Kunst im Festspielhaus

Künstler faszinierten bei Herbstfestspielen 2018 - Iván Fischer - Sir András Schiff - Budapest Festival Orchester

Künstler faszinierten bei Herbstfestspielen 2018 - Iván Fischer - Sir András Schiff - Budapest Festival Orchester
Ein Solitär der Musik: ein singendes Orchester mit seinem Dirigenten Iván Fischer und dem Pianisten Sir András Schiff. Foto: Manolo Press - MBode

Baden-Baden, 03.12.2018, Bericht: Inga Dönges Diese Künstler faszinierten durch ein Programm, das ungewöhnlich in Zusammenstellung und Interpretation war, und den Zuhörer keinen Augenblick aus der Spannung entließ und ihn mit allen Sinnen festhielt.

Das Budapest Festival Orchester wurde 1983 von Iván Fischer und dem Pianisten Zoltán Kocsis gegründet und ist seit 1992 ein Vollzeit-Orchester mit Konzertbetrieb. Seit 2014 spielt Fischer mit Musikern des Orchesters regelmäßig in ungarischen Synagogen − verlassenen wie noch benutzten − um das Bewusstsein für jüdisches Leben und Traditionen in Ungarn aufrechtzuerhalten. Ivan Fischer wurde 1951 in Budapest in eine große Musikerfamilie geboren. Sein Bruder Ádám und der Vater Sandor sind auch bedeutende Dirigenten, die Großeltern wurden Opfer des Holocaust in Ungarn.

Fischer studierte Klavier, Geige und später Cello, um dann 1974 sein Diplom in der Dirigier-Klasse von Hans Swarowsky an der Wiener Musikakademie zu absolvieren und danach begann eine steile Karriere als Dirigent großer Orchester. Häufig zusammen mit seinem Freund und Bruder im Geiste, Sir András Schiff. Er wurde am 21 Dezember 1953 in Budapest geboren, ist Pianist und Dirigent, und erhielt mittlerweile die österreichische (1987) wie auch die britische (2001) Staatsangehörigkeit, 2014 wurde er in den englischen Ritterstand erhoben.

Es gibt keinen Superlativ um sein Können, seine Demut vor der Musik und ihrer Interpretation zu beschreiben. Die Zuhörer fühlten sicher diese Größe und Einzigartigkeit. Sein Denken ließ ihn das auch politisch umsetzen, gegen das ungarische Mediengesetz und die Einmischung der Politik in die Kultur. Unter der Orban-Regierung verfasste Schiff im Jahre 2011 mit mehreren Künstlern eine Resolution. Er teilte mit, dass er nicht mehr in Ungarn konzertieren werde und sich von antisemitischer Hetze persönlich bedroht fühle.

Das Programm dieses Abends begann mit Antonín Dvořák (1841 - 1904), dann Ludwig van Beethoven (1770 - 1827) und dann zurück zu Dvořák. Historisch war die Donau Monarchie beendet, aber ihre Musik blieb erhalten. Die Sitzordnung des Orchesters war ungewöhnlich. Sechs Kontrabässe waren eine Art Kopf in der letzten Reihe, darunter die Holz- und Blechbläser, die Celli waren vorne in der Mitte und wurden von den anderen Streichern umrahmt. Das ergab einen warmen runden Klang, wofür Ivan Fischer als Tüftler der Akustik bekannt ist.

Zuerst Antonin Dvorak: 1841 in der Nähe von Prag geboren, kam 1857 in die Orgelschule und wurde freiwilliges Mitglied als Violinist im Orchester der Cäcilien-Gesellschaft. Seinen Lebensunterhalt bestritt er als Kirchensänger, Gasthausmusikant und Bratschist einer Militärkapelle. Er begann zu komponieren − aber ohne Erfolg, bis Johannes Brahms auf ihn aufmerksam machte. 1892 wurde er nach New York an das nationale Konservatorium berufen, kehrte 1895 nach Prag heim, wo er 1904 starb.

Das Orchester bot eine einfühlsame Interpretation seiner kleineren Werke, wie die «Legende» (Fassung für Orchester von 1891), ursprünglich für Klavier zu vier Händen komponiert und dann erst orchestriert. Es handelte sich um keine programmatische Musik, sondern um Stücke, die immer von einem Mystizismus eingehüllt sind mit Süße und Spiritualität im Ausdruck. Danach aus den «Slawischen Tänzen», entstanden 1878/1887, ursprünglich wieder für Klavier zu vier Händen und erst später orchestriert. Zu hören war 46/5 in A-Dur, Allegro vivace (Skočná) − ein schneller bäuerlicher Tanz. Die Beine der Zuhörer zuckten oft unwillkürlich mit.

Und dann die Novität − das eigentlich Unmögliche: die Musiker legten die Instrumente beiseite, nahmen die Chornoten zur Hand und sangen voll Inbrunst das mährische Volkslied «Opuštěný» («Der verlassene Liebhaber»), schlicht und poetisch komponiert und dargeboten. Wo gibt es denn so etwas?!

Erst der Flügel, dann folgte Sir András Schiff, strahlte Ruhe und Freude an der Musik aus: Nur in der Ruhe, liegt die Kraft! Das durfte man erleben und sich erhören mit Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur Op. 15. Komponiert 1795, beziehungsweise die zweite Fassung 1800, uraufgeführt 1795 beziehungsweise 1800.

Die Sätze: I. Allegro con brio, II. Largo, III. Rondo, Allegro scherzando führten Beethoven und Sir András Schiff zur Vollkommenheit. Es ist eine engagierte Auseinandersetzung mit dieser von Mozart weitgehend geschaffenen Gattung. An Mozart orientiert ist der Charakter des Kopf- Satzes, einem stilisierten Marsch, dessen militärischer Eindruck mit Fanfaren und markanter Rhythmik beherrscht wird, von der Exposition bis zur Reprise. Nach der Solo-Exposition der Bläser eröffnet das Klavier mit einer deklamierenden Passage, um bis zum Ende nahezu pausenlos im Einsatz zu sein.

Sir András Schiff meistert die pianistisch-virtuosen Figurationen und geht mit diesem Feuerwerk hörbar über das Vorbild Mozarts hinaus. Hier ist der Beginn zum großen Virtuosen-Konzert des 19. Jahrhunderts. Drei eigene Solo-Kadenzen zum ersten Satz werden gesteigert und zugleich modellhaft für die Zukunft des Kadenzierens. Das poetische Largo weist neben den weich grundierenden Streichern der Klarinette eine dominierende Rolle zu.

Das siebenteilige Rondo (A-B-A-C-A-B-A) ist kunstvoll und länger, führt zu einer Coda, die durch Kadenzen, Fermaten und Verzögerungen gegliedert ist. Das alles dargeboten von einem Ausnahme Pianisten! Ruhig und gelassen sein Sitz, den Körper aufrecht, die Handrücken flach und die Finger mit ungeheuerlicher Kunstfertigkeit − das alles muss das Wissen um Beethoven sein, dass Kopf und Gefühl transportierten. Es war einfach große Kunst!

Als Zugabe: Joseph Haydn (1732 – 1809) «Der Greis» für Singstimme und Klavierbegleitung (1796), und alle Musiker sangen und Sir András Schiff begleitete: «Himmel habe Dank, ein harmonischer Gesang, war mein Lebenslauf.»

Bild Foto: Manolo Press - MBode Nach der Pause schloss sich der Ring: Antonín Dvořák Sinfonie Nr. 6 D-Dur op. 60, komponiert 1880, in Prag 1881 uraufgeführt. Vier Sätze: I. Allegro non tanto, II. Adagio, III. Scherzo (Furiant). Presto – Trio. Poco meno mosso, IV. Finale. Allegro con spirito. Der Genuss des Zuhörers war bereits das Dirigat: sparsam und doch klar, mit Ruhe und Kraft – so wie es Swarovski gelehrt hatte. Das Thema des 1. Satzes ist lyrisch, die Holzbläser tragen eine bukolische Note in den einfallsreichen Ablauf. Das folgende Adagio ist pastoral, dann das Scherzo, ein Furiant, das Finale eine Fülle von Klangbildern, die der Zuhörer kaum so schnell erfassen kann. Aber das Orchester und sein Dirigent mit Bravour!

Das alles im Festspielhaus: finanziert von Stiftern, Förderern, Freunden und dem Paten dieses Konzertes, dem gebürtigen Ungarn Prof. Dr. Péter Horváth. Allesamt keine Sponsoren, sondern Mäzene, die keine Gegenleistung erwarten, die der Welt die schönen Künste erhalten wollen. Das gibt es also noch: Geben ist seliger denn nehmen!


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