Osterfestspiele 2019
Otello-Premiere bei Osterfestspiele in Baden-Baden – Zubin Mehta galt Beifall und Liebe des Publikums – Konnte nichts aus dem Orchester herausholen, was nicht in diesem vorhanden ist
Baden-Baden, 15.04.2019, Bericht: Inga Dönges «Man entkommt seiner eigenen Bestimmungen nicht, und nach dem Gesetz der geistigen Verwandtschaft ist diese Tragödie Shakespeares für Sie vorbestimmt.» Arrigo Boito an Verdi, Dezember 1884.
Giuseppe Verdi (1813 – 1901): Otello, Oper in vier Akten, Libretto: Arrigo Boito (1842 – 1918) nach «The tragedy of Othello, the Moore of Venice» 1603 von William Shakespeare. Uraufführung 1887 im Teatro alla Scala, Mailand. Hier unter der musikalischen Leitung von Zubin Mehta und in der Inszenierung von Robert Wilson, samt Bühnenbild und Beleuchtung.
Giuseppe Verdi hatte seine Opernkarriere 1871 mit der glanzvollen Premiere der «Aida» als beendet betrachtet und damit seine «Galeerenjahre» der Oper auf Bestellung. Er lebte zurückgezogen auf seinem Gut Sant‘ Agata und verstand sich jetzt als Ackerbauer. Das italienische Melodrama der Oper war in einer Krise, ohne weitere Entwicklungen und entsprechende Kompositionen. Der Dichter und Komponist Arrigo Boito legte Verdi 1879 seinen Textentwurf nach Shakespeares «Othello» vor. Verdi erkannte die Qualität der Verse, verweigerte sich aber störrisch dem Drängen seines Verlegers Giulio Ricordi. Boitos Verse beschäftigten ihn weiter. Unter dem verschwörerischen Tarnnamen «Schokoladenprojekt» reifte «Otello» langsam, aber stetig. Ricordi schickte zwischendurch Torten mit Schokoladenfigürchen − die Füße fehlten. 1887 war die Premiere − ein Alterswerk? Aber nein! Der Maestro war auf der Höhe seines Könnens: seine Kompositionssprache wagte sich in beeindruckende Extreme.
Es gibt keinen gewaltigeren Opernbeginn als die ersten Takte des „Otello“. Das Orchester entfesselt das Höllenspektakel eines Sturms: gewaltige Klangmassen, Schreie des Entsetzens, die der Philharmonia Chor Wien unter die Haut gehend von der Bühne schleudert. Der «Löwe von San Marco», das ist Otello, der Mohr von Venedig, trotzt dem Sturm und zeigt stolz seine Pranken. Siegreich schießt Otellos «Esultate» turmhoch über die Klangwogen. Ohne Zeit zum Einsingen spurtet der Feldherr auf die Bühne. Keine Arie für ihn, keine Ouvertüre für das Orchester − Chaos bricht in das Bestehende. Kein Opernheld erlebt eine größere Fallhöhe: vom ersten Triumph über den Glauben an Jagos Lügen und Intrigen bis zum demütigenden Zusammenbruch mit dem Mord an Desdemona und einem einsamen Selbstmord und Tod.
Am Schluss steht mit Otellos «Ancora un bacio» ein melodisches Zitat des Anfangs der Liebe zu Desdemona, das vor dem Zielton und dem «o» abbricht. Den gescheiterten Helden umgibt so noch Würde und Zärtlichkeit nach dem fürchterlichen Absturz des Solo-Kontrabass in der Mordszene. Instrumentales und Vokales bleiben gleichberechtigt. So gelang die Reform der italienischen Oper und baute die Brücke in die Zukunft und den Verismo.
Wie inszenierte Robert Wilson diese geniale Verdi-Oper? Er antwortet darauf «mit seiner abstrahierende Theatersprache, in der die Bewegungen und der Ausdruck der Figuren im Raum streng formalisiert sind und Licht, Kostüm, Maske und Geste gleichberechtigt in ein Spannungsverhältnis zu Text und Musik treten.» Otello ist bei ihm kein Mohr sondern weißer Hautfarbe, also kein Mensch aus verachteter Rasse seiner Zeit. Man achtet ihn, auch wenn er ein Mohr ist. Der einzige, der diese Verletzlichkeit wittert, ist Jago, der ihn beneidet und vernichten will, um so erlittene Schmach zu rächen. «Wenn Otello kein Mohr wäre? Man könnte es versuchen - um festzustellen, dass das Stück zusammenbricht, dass es seine wesentliche Metapher verliert; um einzusehen, dass der Eifersüchtige immer ein Mohr ist.» (Max Frisch)
Das geschah in der Inszenierung: Gegen die Musik und das Wort, gegen Verdi und Boito/Shakespeare. Die Sänger standen aufgereiht an der Rampe, statisch und mit merkwürdigen Arm- und Handbewegungen in die Höhe. Duette, Terzette und mehr wurden ohne Nähe zueinander gesungen, in einer geraden Linie stehend. Einen Kuss und eine Umarmung gab es im Text, aber nicht bei den «dramatis personae». Keine Spannung zwischen ihnen, alles war beliebig. Wenn es nicht ein ernster und dramatischer Inhalt gewesen wäre, hätte man lachen müssen. Otello wirft Desdemona zu Boden in den Staub «a terra», beschimpft sie aufs Fürchterlichste und auf der Bühne: Desdemona tritt zwei Schritte zur Seite und singt über diese Demütigung. «E puoi?» Das zieht sich bis zum Schluss: Otello legt Desdemona nur zurück aufs Bett: eigentlich ist Mord durch Erwürgen vorgesehen. In Jagos Trinklied, «Bebo con me» das Cassio beeinflusst und betrunken macht, gibt es nicht das besungene Trinkgefäß. Natürlich kann man Requisiten in die Vorstellung des Zuschauers verbannen. Aber sie fehlen doch. So gibt es statt der von Verdi bewusst fehlenden Ouvertüre ein Video auf dem Vorhang: eine Elefantenkuh mit ihrem Baby, die wohl beide mitten in einer Wüste sterben. Ein trauriger Anblick - aber was hat er mit Otello, dem Löwen von San Marco, zu tun? Sollten das alles Verfremdungseffekte sein? Leider sind sie gründlich schiefgegangen, was das Publikum am Ende mit reichlichen Buhrufen für das Regie-Team quittierte. Es ist sicher nicht zu unterstellen, dass Robert Wilson seine bisherige Ernsthaftigkeit der Gedanken über Bord geworfen hat. Vielleicht war es einfach ein großes Missverständnis mit Verdis «Otello».
Stuart Skelton ist Otello. Sein Auftritt kommt bei Verdi von See, hier aus dem Untergrund der Bühne gefahren. Der «Esultate»-Ruf, der das Sinken der türkischen Flotte schildert, misslingt. Die Gesangslinie setzt sich fort mit Kieksern, heiseren Tönen, Flucht in die Kopfstimme, so dass man kein gutes Ende kommen sieht. Der italienische «tenore eroico» ist kein deutscher Heldentenor für das Wagner Fach. Da war leider schon die tragende Titelpartie verschenkt. Die statische Gestaltung an der Rampe verstärkte die fehlende Stimme.
Sein Gegenpart Jago hatte leichtes Spiel mit ihm. Vladimir Stoyanov gibt diese Partie, die zentral für die dramaturgische Schlüssigkeit der Oper ist. Bei Shakespeare gibt Jago als wichtigen Grund für seinen Hass auf Otello den Neid auf das Glück des anderen an. Boito sieht ihn als Opportunist und autoritären Charakter. Er ist ein «Linguist der Lüge», ein nahezu moderner Bösewicht. Sein gotteslästerliches «Credo» ist ein Höhepunkt der Schurkerei von Boito gedichtet, dass es bei Shakespeare nicht gibt − ein Meisterstück des Musiktheaters. Die Coda stellt die Frage «E puoi?» mit der Antwort: «Der Tod ist das Nichts, der Himmel ein faules Märchen.» Ein grelles Orchesternachspiel nimmt Jagos höhnisches Lachen vorweg. In der Partitur ist dieses nicht notiert, aber man möchte es nicht missen. Es gibt etwas «Aasiges» wie bei Mephisto. Stoyanov sang mit gepflegtem, schön klingenden Bass-Bariton und hätte noch etwas giftiger klingen können.
Sonya Yoncheva gab Desdemona, die liebende und treue Gattin des Otello, mit weißer Hautfarbe, aus adliger Familie. Sie nimmt alle verlogenen Demütigungen hin und spürt den Abschied vom Leben kommen. Das «Lied von der Weide» nimmt ihren eigenen Tod vorweg. Die todtraurige Melodie wird von der melancholischen Klangfarbe des Englischhorns begleitet. Yoncheva singt alles mit gewohnter Technik und Innigkeit, die Einschränkungen durch die momentane gesundheitliche Situation, sind verständlich.
Zubin Mehta, als Dirigent einer der ganz Großen seiner Zunft führte die Berliner Philharmoniker mit Intensität und seinem vollkommenen Wissen um Verdi und «Otello». Er konnte aber nichts aus dem Orchester herausholen, was eben nicht in diesem vorhanden ist. Viele falsche Töne, keine Italianità &-minus; sie sind eben kein Opernorchester. Zubin Mehta galt der Beifall und die Liebe des Publikums verbunden mit dem Dank, ihn noch einmal erlebt zu haben.
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