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Teil 2 Leseprobe zum Roman „Neue Welt“ von Roland Weis – „Zu ihrem zehnten Geburtstag hat der Vater ihr ein Silberkettchen geschenkt“

Teil 2 Leseprobe zum Roman „Neue Welt“ von Roland Weis – „Zu ihrem zehnten Geburtstag hat der Vater ihr ein Silberkettchen geschenkt“
Roland Weis, Autor des Romans „Die neue Welt“.

Baden-Baden, 19.11.2022, Bericht: Redaktion In der Baden-Badener Buchhandlung Straß stellte der Historiker Roland Weis seinen Roman «Die neue Welt» im goodnews4-Interview vor.

«Eroberung, Reviere dazugewinnen, Nachbarn bekämpfen, möglichst viel eigenes Territorium erobern – das zieht sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte», antwortete er zur Aktualität seines spannenden Romans, in dem ein Junge, der 1492 an der Entdeckung Amerikas durch Christopher Columbus und dann 50 Jahre lang an spanischen Eroberungszügen teilnimmt, die Hauptrolle spielt. Nun veröffentlicht goodnews4-Interview eine Serie mit Leseproben, die der Autor selbst aussuchte.

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Historiker Roland Weis zu seinem neuen Roman „Die neue Welt“ – „Nachbarn bekämpfen, möglichst viel Territorium erobern“ – „Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte“

Zu dieser zweiten Leseprobe schreibt der Autor Roland Weis: «Isabella Pinzon, die Tochter des reichen Kaufmanns und Kapitäns Martin Alonso Pinzon, ist erst zehn Jahre alt, aber schon jetzt die von der männlichen Dorfjugend in Palos angebetete Schönheitsprinzessin. Bei einem Spaziergang im Hafen fordert sie keck die Jungen heraus. Doch nicht ihr Favorit, der schöne Schreinersohn Pablo, sondern der armselige Schweinehirte Rodrigo obsiegt. Das ambivalente und im Verlauf des Romans immer wieder zu Konflikten führende Dreiecksverhältnis zwischen Isabella, Pablo und Rodrigo wird hier aufgezeigt.»

Teil 2 Leseprobe «Die neue Welt» von Roland Weis:

Zu ihrem zehnten Geburtstag hat der Vater ihr ein Silberkettchen geschenkt. Sie trägt es um den Hals. Es ist wertvoll. Echtes Silber, geschmiedet in Salamanca. Er hat es von einer seiner Kaufmannsreisen mitgebracht. Ihr teuerster Besitz. Sie löst das Kettchen vom Hals, nimmt es in ihre zierliche Hand und hält es so in die Höhe, dass alle es sehen können. Staunend weiten sich die dunklen Bubenaugen.
«Bringt es mir, taucht für mich», ruft Isabella und schleudert das Kettchen hoch hinaus ins Hafenwasser, noch ehe die Schwestern oder die Amme realisieren, was da passiert. Unablässig schaut sie diesem herausfordernd grinsenden Pablo ins Gesicht. Er soll es holen. Ihn meint sie.
Aber es ist ein halbes Dutzend Knaben, das wie von der Sehne geschnellt ins Wasser springt. Kopfüber tauchen sie ein, in einem einzigen Atemzug sind die Leiber unter der schaumig wirbelnden Oberfläche verschwunden.
Der Hafen ist nicht tief, zwölf oder fünfzehn Fuß vielleicht. Aber sein Grund ist schmutzig, schlammig, voller Unrat und Müll. Die täglichen Überreste des Fischmarktes werden dort hineingespült, die häuslichen Abfälle der Bewohner von Palos landen dort, außerdem all der Dreck und die Abwässer, die der Rio Tinto mit sich schleppt. Das Wasser ist deshalb trübe wie arabischer Tee.

 

All dies hat Isabella nicht bedacht. Donna Maria hat es noch nicht mitbekommen, wundert sich jetzt, warum alle so aufgeregt ins Hafenwasser blicken, als Catalina entsetzt stöhnt: «Was hast du getan?» Sie fasst ihre kleine Schwester bei den Schultern, schüttelt sie und schimpft: «Bist du verrückt geworden? Das Silberkettchen! Vaters Geschenk!»
«Großer Gott», flüstert auch Leonore und droht umzufallen. Schon verdreht sie die Augen. Möglicherweise ein Anfall. Isabellas Schwester leidet an der Fallsucht, Gota Coral. Sie hat epileptische Anfälle immer dann, wenn etwas Überraschendes oder Aufregendes geschieht, etwas, was nicht vorhersehbar oder planbar gewesen war. Fernanda hält sie fest.
Alle starren gebannt aufs Wasser. Isabella kommen die Tränen.
Die ersten Bubenköpfe tauchen auf. Einer, zwei, dann drei, vier. Pablo ist nicht dabei. Die Gesichter sind rot vor Anstrengung, das Haar klebt nass in den Stirnen, die Augen glänzen. Keiner hat das Kettchen. Wieviele sind überhaupt hinterher gesprungen? Mehr als eineinhalb Minuten sind vergangen.
Endlich zeichnet sich unter der Oberfläche ein Schatten ab. Da taucht er auf. Es ist Pablo. Isabella schreit seinen Namen hinaus, so groß ist ihre Anspannung. Pablo lächelt nicht. Er macht eine entschuldigende Geste. Er hat das Kettchen nicht.
«Das bedeutet Unglück», jammert Catalina. Isabella weint. Doch die Jungen, die bereits aufgetaucht sind, kommen nicht an Land. Sie schwimmen im Wasser auf der Stelle und blicken in die Tiefe.
Da bewegt sich etwas, ein Schemen erscheint unter der Wasseroberfläche. Wie ein Korken taucht er auf, heftig nach Luft schnappend, die Augen springen ihm fast aus den Höhlen. Es ist Rodrigo, der Schweinehirte.


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