Finale der Osterfestspiele in Baden-Baden

Tosender Beifall für Osterfestspiele 2019 in Baden-Baden – Giuseppe Verdi, Messa da Requiem – Zum Niederknien vor dieser Musik und ihren Interpreten!

Tosender Beifall für Osterfestspiele 2019 in Baden-Baden – Giuseppe Verdi, Messa da Requiem – Zum Niederknien vor dieser Musik und ihren Interpreten!
Foto: Monika Rittershaus

Baden-Baden, 23.04.2019, Bericht: Inga Dönges Es war Karsamstag. Karfreitag war Christus am Kreuz gestorben. Dieses Requiem für vier Solostimmen, gemischten Chor und Orchester nahm gefangen, gleich was man fühlte, zu wissen meinte oder einfach glaubte. Es ging unter die Haut und traf ins Herz.

Verdi (1813 – 1901) komponierte dieses Werk 1874, zwischen «Aida» 1871 und «Otello» 1887. Anlass war der Tod des Dichters Alessandro Manzoni 1873, den Verdi seit Jugendtagen verehrte und später als Freund persönlich kennenlernte. Die politischen Einstellungen und Ziele des Freiheitskampfes verband sie ohnehin. Nach spanischer, österreichischer und französischer Fremdherrschaft galt das Land auf dem Wiener Kongress gerade mal als ein «geographischer Begriff». Die einzelnen Provinzen waren untereinander zerstritten. Die Habsburger hielten ihre schützende Hand über weite Teile Italiens. Im 19. Jahrhundert brechen sich nationale Freiheits- und Einheitsgedanken Bahn, das Zeitalter des Risorgimento.

Verdi und Manzoni engagierten sich für die Einheit Italiens und genießen dafür Anerkennung und Verehrung. Am ersten Jahrestag von Manzonis Tod am 22. Mai 1874 fand die Uraufführung unter Verdis Leitung im Dom zu Mailand statt, wofür der Erzbischof eine Sondererlaubnis gab: die Sängerinnen mussten verschleiert hinter einem Gitter platziert werden, da den Frauen der offizielle kirchliche Raum versperrt war. Während der musikalischen Darbietung wurde eine stille Messe zelebriert, um die Musik in den kirchlichen Rahmen einzubetten. Danach wurde das Werk im Opernhaus La Scala gespielt und trat seinen Siegeszug durch ganz Europa an.

Es gab manche Kritik am opernhaften Stil der Kirchenmusik. Eduard Hanslick, der bedeutende Kritiker und Musiktheoretiker, bricht eine Lanze für Verdi und sein Requiem: da «der Componist mit der Ehrfurcht vor seiner Aufgabe die Treue gegen sich selbst bewahrte. ... Was in Verdis Requiem zu leidenschaftlich, zu sinnlich erscheinen mag, ist eben aus der Gefühlsweise seines Volkes heraus empfunden, und der Italiener hat doch ein gutes Recht, zu fragen, ob er denn mit dem lieben Gott nicht Italienisch reden dürfe?»

Und das taten auch die Sänger und der Chor: Vittoria Yeo, Sopran – Elīna Garanča, Mezzosopran – Francesco Meli, Tenor – Ildar Abdrazakov, Bass. Sie alle sind Riccardo Muti seit vielen Jahren mit Verdi-Gesang verbunden. Ihre Ausbildung entwickelte sich in Italien und führte sie hier zusammen. Alles und alle passten: ihre Stimmen in den Soli hervorragend und bewegend geführt, die Stimmfarben harmonierten. Der Chor der Bayerischen Rundfunks machte seinem Ruf alle Ehre, war Bindeglied zwischen den Sängern, samten und dramatisch.

Der Anfang: «Requiem und Kyrie», Solistenquartett und Chor, Violoncelli so leise, so pianissimo, dass man es eigentlich kaum hörte, aber es durchdrang: ein ungeahntes Spektrum gesanglicher Möglichkeiten, das vom einfachen psalmodierenden, solistischen und chorischen Sprechgesang über alle möglichen Formen des ariosen und deklamatorischen bis hin zu kunstvollen kontrapunktische Techniken reicht.

Dann das «Dies irae»: mit den Mitteln des großen Orchesterapparates, wie ihn Verdi in seinen Opern verwendete, malt die Totenmesse die Schrecken der Hölle und der ewigen Verdammnis, die der auf Erden sündige Mensch zu erwarten hat. Das «Dies irae» ist ein gewaltiges packendes Bild der Apokalypse. Hier gelingt, die tiefe innere Bewegung darzustellen, die das «Jüngste Gericht» von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle im Betrachter hervorruft. «Liber sciptus», Elina Garančas Mezzosopran schwebt mit Inbrunst über allem. Sie weiß und fühlt, was sie singt. Francesco Meli, Tenor, fällt das «Ingemisco» zu: zentrierte Tongebung, leuchtender Glanz bei dem hohen B und betörende mezza voce im «Hostias», in dem er sogar den Triller sang. Ildar Abdrazakov, Bass, sang artikuliert und klangprächtig, weich das «Tuba mirum», begleitet von der Brillanz der Trompeten, besonders der fernen Bühnentrompeten.

Riccardo Muti konnte auf ein außergewöhnliches, von ihm «gezogenes» Solisten-Quartett vertrauen – vor allem auf Vittoria Yeo. Die koreanische Sopranistin hat einen klangreichen lyrisch-dramatischen Sopran mit einer vollen, samtenen Höhe: ein Pianissimo – A in «Huic ergo», den Pianissimo- Übergang von E auf Es im «Offertorio», das hohe B im «Libera me». Das ist schlussendlich der Höhepunkt, in dem sich der Sopran gegen das Fortissimo von Chor und Orchester durchsetzt. Sie singt in eindringlicher Weise: «Libera me», «Befreie mich vom ewigen Tod», das vom vierstimmigen Chor murmelnd im Pianissimo gebetshaft wiederholt wird. Doch wieder bricht das «Dies irae» hervor und mahnt an ewigen Schrecken und Verdammnis.

Die Schrecken des Todes bleiben immer präsent. Verdis Requiem will nicht mit dem Tod versöhnen, es mahnt vielmehr zu einem besseren, bewussteren Leben, an dessen Ende der Tod, das Ende aller Dinge steht. Verdis Requiem ist eine umfangreiche Sammlung stimmlichen Wohlklangs und dramatischer Gesangskunst, eine Meisterleistung des italienischen Belcanto und einer fast grenzenlosen Emotion.

Tutti: das alles ermöglichte Riccardo Muti, der große italienische Dirigent, geboren 1941, auf der Höhe seiner Schaffenskraft, und Steigerungen sind immer noch möglich. Man mag es kaum für möglich halten, aber es ist so! Diese einzigartige Autorität übertrug sich auf die Berliner Philharmoniker. Sie spielten makellos, «wie um ihr Leben». Die Streicher waren eine untrennbare Einheit, die Holz- und Blechbläser großartig, Piccolo und Fagott ebenso. Jeder einzelne Solist, jedes Pult sei in das Glück und den Beifall des Zuhörers eingeschlossen.

Nach dem finalen «Libera me» verharrten alle. Dann gab es tosenden Beifall des internationalen, musikkundigen Publikums. Es verließ das Festspielhaus in der Gewissheit: nun kann Ostern werden!


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