Aus dem Rathaus Baden-Baden

Elf Kurstädte wollen UNESCO-Welterbe werden – „Die ‚Great Spas of Europe‘ repräsentieren das Phänomen der europäischen Kurstadt auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung“

Elf Kurstädte wollen UNESCO-Welterbe werden – „Die ‚Great Spas of Europe‘ repräsentieren das Phänomen der europäischen Kurstadt auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung“
Eine Luftaufnahme des Royal Crescent in Bath. Foto: Tony Crouch

Baden-Baden, 27.06.2020, Bericht: Rathaus Die «Great Spas of Europe», eine Gruppe von elf bedeutenden Kurstädte aus sieben europäischen Ländern, haben im Januar 2019 ihre Bewerbung als UNESCO-Welterbe eingereicht.

Das Land Baden-Württemberg und die Stadt Baden-Baden erwarten gemeinsam mit den übrigen zehn Städten nun voller Spannung die Entscheidung des Welterbekomitees, die Corona-bedingt verschoben werden musste. Die Stadt Baden-Baden veröffentlicht in Kooperation mit den Institutionen der beteiligten Autorinnen und Autoren eine Artikelserie zu den «Great Spas of Europe». Die Autoren Volkmar Eidloth, Hauptkonservator im Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg, und Isabelle Mühlstädt von der Stabsstelle Welterbebewerbung und Stadtgestaltung Baden-Baden beschreiben die Gemeinsamkeiten sowie den vielfältigen städtebaulichen und kulturhistorischen Ausprägungen der «Great Spas of Europe». Die gesamte Serie finden Interessierte unter www.baden-baden.de/unescowelterbe.

Die «Great Spas of Europe» repräsentieren zusammen das Phänomen der europäischen Kurstadt auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung vom 18. bis in das frühe 20. Jahrhundert. In diesem Artikel sollen die elf Bäderstädte zusammen als die «Great Spas of Europe» kurz vorgestellt werden, bevor sie im Herbst dieses Jahres in Einzelartikeln ausführlich beschrieben werden.

Die Entstehung der Gruppe

Die «Great Spas of Europe» verstehen sich als Exponenten des europäischen Kurwesens im langen 19. Jahrhundert und seiner internationalen Verflechtungen. Die Zusammensetzung der Serie basiert damit gleichermaßen auf der Gemeinsamkeit einer hervorgehobenen kulturgeschichtlichen Bedeutung wie auch auf den individuellen historischen Qualitäten der Städte. Dazu wurde 2010 eine Vergleichsstudie der bedeutendsten europäischen Kurstädte im Auftrag der Stadt Baden-Baden erstellt. Deren Ergebnisse diskutierte und bestätigte eine von ICOMOS Deutschland, dem Landesamt für Denkmalpflege und der Stadt Baden-Baden veranstaltete internationale Fachtagung.

Eine weitere Vergleichsstudie einer internationalen und interdisziplinären Facharbeitsgruppe folgte in den Jahren 2015/2016. Diese differenzierte zwischen europäischen Bädern mit ausschließlich regionalem Einfluss, Städten mit nationaler Bedeutung und den großen Kurstädten, die eine internationale Reputation und Anziehung genossen und verknüpfte diese Aspekte mit Fragen nach der Authentizität und Integrität der verglichenen Orte. Auf Grundlage dieser Vergleichsstudie entschied schließlich 2016 eine zwischenstaatliche Lenkungsgruppe über die Zusammensetzung der «Great Spas of Europe».

Einheit in der Vielfalt

Vergegenwärtigt man sich die quantitativ und geographisch große historische Verbreitung von Bäderstädten in Europa, wird deutlich, dass eine Kurstadt schwerlich für sich in Anspruch nehmen kann, allein das Phänomen auf der Welterbeliste zu repräsentieren. Anders eine transnationale serielle Welterbestätte, wie sie die elf «Great Spas of Europe» bilden. Nur eine Gruppe vermag das weite Spektrum europäischer Kurstädte und deren außergewöhnlichen universellen Wert (OUV) zu veranschaulichen. Dabei muss einerseits jede Stadt den Anforderungen an den gemeinsamen OUV genügen und andererseits durch individuelle Qualitäten zum Wert der Serie beitragen.

Mit der länderübergreifenden gemeinsamen Bewerbung demonstrieren die elf «Great Spas of Europe» die Einheit in der Vielfalt, wie sie den europäischen Kurstädten eigen ist.

Heilquellen als Herzstück

Unterschiedliche Thermal- und Mineralquellen bilden das Herz der «Great Spas of Europe», die sich damit auch von den meisten Seebädern und klimatischen Kurorten unterscheiden, wie sie vor allem im 19. Jahrhundert aufkamen. Für die Heilquellen wurden verschiedene Formen des therapeutischen Gebrauchs entwickelt. Neben dem Baden als der wesentlichen Form der Anwendung war es die Trink- oder Brunnenkur, für die es aus Spa, Vichy oder Karlovy Vary Belege schon aus dem frühen 16. Jahrhundert gibt. Spa ist seit dem frühen 17. Jahrhundert außerdem für seine wegweisende Rolle in der Identifizierung der Heilwirkungen von Mineralwasser bekannt. Die Badeärzte in Bath waren seit dem 1740ern Wegbereiter für die diagnostische Medizin.

Spa, Vichy, Bad Ems, Bad Kissingen, Karlovy Vary und Mariánské Lázně erlangten europaweit zudem Bekanntheit durch die Vermarktung und den Versand ihres Quellwassers. Vichy und Bad Ems vertrieben erfolgreich ihr Mineralwasser in Flaschen, als gepresste Pastillen oder in Kosmetikprodukten.

Variationen eines Stadttyps

Die Heilquellen bilden den Ausgangspunkt für die städtebauliche Entwicklung aller «Great Spas of Europe», die aber ganz unterschiedlich verlief. In Bath, Baden bei Wien, Baden-Baden oder Vichy wurden diese bereits in der Antike genutzt und darüber Siedlungen gegründet. Auch die Quellen von Spa waren wohl schon den Römern bekannt, liegen dort aber bis heute nicht in der Stadt, sondern darum herum. Bad Ems hingegen erwuchs aus einem im Mittelalter noch weit abseits von Siedlungen gelegenen sogenannten Wildbad und Karlovy Vary wurde seiner Quellen wegen im 14. Jahrhundert zur Stadt erhoben. Ihre Blütezeit erlebten die «Great Spas of Europe» vom 18. bis in das frühe 20. Jahrhundert. So wurden im 18. Jahrhundert Montecatini Terme und Spa zu Modebädern ausgebaut. Das große Vorbild lieferte die grandiose Umgestaltung von Bath zwischen 1729 und 1790 durch die beiden Architekten John Nash der Ältere und der Jüngere, derentwegen Bath heute schon auf der UNESCO-Welterbeliste verzeichnet ist. In Karlovy Vary, Baden-Baden und Bad Kissingen entstanden im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert moderne Kurviertel außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern, die vor allem der Gesellschaftskur dienten. In der gleichen Zeit entstanden Mariánské Lázně und Františkovy Lázně mehr oder weniger auf der grünen Wiese. Während Marienbad sich boomartig zu einer mondänen Kurstadt entwickelte war Františkovy Lázně auf einem strengen Rechteckraster planmäßig angelegt worden. Solche städtebauliche Regelmäßigkeit kennzeichnet auch die Stadterweiterungen Mitte des 19. Jahrhunderts unter Napoleon III. in Vichy und die «Neue» später «Protestantische Vorstadt» in Baden-Baden.

Allen «Great Spas of Europe» gemeinsam ist die signifikante Architektur europäischer Kurstädte als da wären Brunnen- und Trinkhallen, Bäderbauten, Kolonnaden und Wandelgänge, Kurhäuser, Spielkasinos, Konzerthäuser und Theater. Dazu kommen Hotels und Villen, die oft regelrechte Quartiere bilden, sowie Gotteshäuser unterschiedlichster Konfessionen und eine kurgerechte Infrastruktur. All das ist eingebettet in ein grünes städtebauliches Umfeld mit Promenaden, Parks und Gartenanlagen, die ihrerseits eine enge Verbindung mit der umgebenden, für die Kur erschlossene und ausgestattete Landschaft schaffen. Die Bandbreite der Kurarchitektur in den elf nominierten und die allein schon durch Genese und Topographie variierenden Ausprägungen des allen gleichermaßen zugrundeliegenden Ensembletyps wird in einem der folgenden Beiträge dieser Artikelserie im Spätjahr vorgestellt werden.

Internationales Profil

Geeint sind die elf «Great Spas of Europe» in ihrem Anspruch, internationale Atmosphäre besessen zu haben – und noch zu besitzen. Dies äußerte sich nicht nur in dem hohen Anteil und einer großen Vielfalt ausländischer Gäste, die sie besuchten, sondern auch in den materiellen Hinterlassenschaften dieses internationalen Publikums, das die Städte bis heute auszeichnet. Sichtbar wird er auch in bereits für das 19. Jahrhundert belegbaren Namenszusätzen wie «Weltbad», «Weltkurstadt», «Café de l'Europe», «Sommerhauptstadt Europas». Der Name des belgischen Spa steht im Englischen für Bäderorte insgesamt; das Prestige von Vichy beispielsweise äußerte sich in Namensvergleichen wie «katalonisches Vichy» für Caldes de Malavella oder in «Vichy des Kaukasus» für Borschom.


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