Aus dem Rathaus Baden-Baden

UNESCO-Entscheidung Corona-bedingt verschoben – Isabelle Mühlstädt beleuchtet vielfältige Konfessionen und ihr Erbe in Baden-Baden

UNESCO-Entscheidung Corona-bedingt verschoben – Isabelle Mühlstädt beleuchtet vielfältige Konfessionen und ihr Erbe in Baden-Baden
Die Russisch-orthodoxe Kirche - lebendiges Erbe der kulturellen Vielfalt Baden-Badens. Foto: Torben Beeg

Baden-Baden, 05.09.2020, Bericht: Rathaus Die «Great Spas of Europe», die Gruppe von elf Kurstädten aus sieben europäischen Ländern, darunter Baden-Baden, hatten im Januar 2019 ihre Bewerbung als UNESCO-Welterbe eingereicht.

Das Land Baden-Württemberg und die Stadt Baden-Baden erwarten gemeinsam mit den übrigen zehn Städten die Entscheidung des Welterbekomitees, die Corona-bedingt verschoben werden musste. Die Stadt Baden-Baden veröffentlicht in Kooperation mit den Institutionen der beteiligten Autorinnen und Autoren eine Artikelserie zu den «Great Spas of Europe». In dieser Woche beleuchtet Isabelle Mühlstädt von der Stabsstelle Welterbebewerbung und Stadtgestaltung die vielfältigen Konfessionen und ihr Erbe, die in Baden-Baden, als internationale Kurstadt vertreten waren und es noch heute sind. Die gesamte Serie finden Interessierte unter www.baden-baden.de/unescowelterbe.

Was macht die Atmosphäre einer internationalen Kurstadt aus? Das sind natürlich die internationalen Gäste und Bewohner unterschiedlichster Konfessionen und ein reiches kulturelles Angebot, doch steckt in all dem der Gedanke der interkulturellen Toleranz.

Die Gäste und Zugezogenen des 19. Jahrhunderts genossen nicht nur gemeinsam die Vorzüge einer Kurstadt, sondern tauschten auch Gedanken und Ideen der Aufklärung aus. In Baden-Baden und den «Great Spas of Europe» herrschte eine Atmosphäre, in der die starre Trennung zwischen den Klassen und Geschlechtern sich lockerte und Religionsfreiheit und mehr Gleichberechtigung praktiziert wurden.

Diese kosmopolitische Atmosphäre drückt sich am besten in der Vielzahl an Kirchen und Kapellen unterschiedlichster Konfessionen aus. Viele Dauergäste wurden zu Bewohnern mit Hauptwohnsitz in Baden-Baden. Mit den wachsenden ausländischen Gemeinden entstand das Bedürfnis nach eigenen Gotteshäusern, die ihre Existenz meist ausländischen Mäzenen verdanken.

Anglikanische Kirche

Eine Anglikanische Gemeinde gründete sich bereits 1833 in Baden-Baden. In den darauffolgenden Jahren fand in der katholischen Stiftskirche Gottesdienste durch englische Reverends statt. Bereits 1853 war die Anglikanische Gemeinde so stark angewachsen, dass der Wunsch nach einer eigenen Kirche entstand. Der Bau einer Anglikanischen Kirche folgte 1864 bis 1867 durch den Londoner Architekten Henry Wyatt. Die «All Saints Church» wurde durch Spenden der anglikanischen Kurgäste mit Unterstützung des deutschen Kaiserpaars und der englischen Königin Victoria finanziert. Stilistisch orientierte sich der Kirchenbau an englisch-normannischen Bauten. Wenige Ausstattungsstücke aus der Bauzeit sind erhalten. Die kunstvollen Glasmalereien der Firma Mayer & Co. aus München haben sich jedoch erhalten. Auch einige Grabdenkmäler der Stifter sind an der Westwand der Kirche erhalten geblieben. 1938 fanden die letzten anglikanischen Gottesdienste statt und die Kirche wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der protestantischen lutherischen Kirchengemeinde genutzt.

Russisch-orthodoxe Kirche

Für Zarin Elisabeth von Russland, vormals Prinzessin Luise von Baden, wurde ab 1815 eine orthodoxe Kapelle im Neuen Schloss eingerichtet. Nach der Hochzeit von Prinz Wilhelm von Baden mit der Nichte von Zar Alexander II Maria Maximilianowna 1863 entstand in Baden-Baden eine russische Enklave. Auf Betreiben von Prinzessin Maria Maximilianowna stellte Baden-Baden ein Grundstück für den Bau einer Russisch-orthodoxen Kirche zur Verfügung. Die Mittel für den Bau stellten die zahlreichen russischen Kurgäste zur Verfügung. Die Pläne für eine kleine russisch-orthodoxe Kirche kamen von Iwan Strom, Professor an der Akademie der Künste in St. Petersburg. Die Kirche ist dem Fest der «Verklärung des Herrn» geweiht. Der Sandsteinbau wird von einer vergoldeten zwiebelförmigen Kuppel und dem Doppelkreuz bekrönt. Auch Teile der Ausstattung gehen auf internationale Gäste und Künstler zurück. Entworfen wurde die Ausstattung von Fürst Grigorij Gagarin, dem Vizepräsidenten der Akademie der Künste in St. Petersburg während seines Aufenthalts in Baden-Baden. Das Giebelmosaik wurde von Antonio Saliati aus Venedig ausgeführt, die Fresken stammen von Franz Anton Schwarzmann aus München. Noch heute dient die russisch-orthodoxe Kirche «Verklärung Christi» der russisch-orthodoxen Gemeinde Baden-Badens.

Stourdza Kapelle

Die rumänisch-orthodoxe Stourdza-Kapelle am Michaelsberg wurde 1864 bis 1866 vom Münchener Architekten Leo von Klenze entworfen. Die Kapelle und Familienkrypta entstand im Auftrag von Mihail Stourdza (1795-1884), Prinz von Moldawien, der diese im Andenken an seinen früh verstorbenen Sohn spendete. Stilistisch ist die Stourdza-Kapelle am Stil der Renaissance orientiert. Darüber hinaus hat Klenze auch orthodoxe und nationale rumänische Schmuckformen eingefügt. Mit der Bauausführung war Klenzes Schüler Georg von Dollmann betraut. Totenmessen und Gottesdienste werden bis heute in der Kapelle gehalten und sind ein weiteres Zeugnis des lebendigen immateriellen Erbes der Stadt.

Auch auf den Baden-Badener Friedhöfen finden sich zahlreiche Grabsteine und Gräber wichtiger Persönlichkeiten unterschiedlicher Konfessionen, wie Ilarion Sergejewitsch Wassiltschikoff, Dietrich von Choltitz, Vasilij von Shukovskij, Archibald White, Marchese Philippi Ala Ponzoni, Alfred und Kurt Brenner, Adolpha Le Beau und Georg von Groddeck charakterisiert.

Synagoge

Die jüdische Gemeinde im 19. Jahrhundert in Baden-Baden war eher klein. Ein erster Betsaal war im Gasthaus Baldreit im Jahr 1867 eingerichtet worden. Eine Synagoge wurde in Baden-Baden verhältnismäßig spät errichtet in den Jahren 1898 bis 1899. Sie befand sich an der Ecke Scheinstraße/Stephanienstraße. Die Pläne lieferte Ludwig Levy, der auch zahlreiche weitere Synagogen gebaut hat. Um eine Verwechslung mit der russischen Kirche zu vermeiden und um einen nationalen Anspruch hervorzuheben, entschied man sich für neoromanische Formen. Obgleich die wenigen jüdischen Familien in Baden-Baden zur Bauzeit der neuen Synagoge eher liberal eingestellt waren, entschied man sich mit Rücksicht auf die jüdischen Kurgäste für einen eher orthodoxen Ritus.

Doch die Atmosphäre der Toleranz und die Religionsfreiheit nahm im 20. Jahrhundert eine tragische Wendung. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde Baden-Baden trotz der seit den 1920er Jahren stetig sinkenden Besucherzahlen als «Kur- und Badeort von Weltruf» tituliert. Als Aushängeschild vor den Augen der Weltöffentlichkeit durfte in Deutschland 1933 allein Baden-Baden wieder das Kasino öffnen und wird in den ersten Jahren der Rassenverfolgung als vom Ausland besuchter und beobachteter Platz gar zu einem Refugium für Juden. Dieser Schutz erwies sich in den folgenden Jahren als trügerisch. 1937 wurden Schilder mit «Juden unerwünscht» vor den Bädern und anderen Kureinrichtungen angebracht. Es folgte am 10. November während der Novemberpogrome die Zerstörung der Baden-Badener Synagoge sowie die massenhafte Deportation von Juden ab 1940.

Die «Great Spas of Europe» reflektierten im 19. Jahrhundert das Klima der Aufklärung. Die Internationalität und weltoffene Haltung zeigte sich in Baden-Baden besonders auch in der Vielfalt an Konfessionen die miteinander lebten. Die Sakralbauten sind bis auf die Synagoge erhalten und werden bis heute von Religionsgemeinschaften genutzt. Sie sind ein maßgeblicher Ausdruck des religiösen und kulturellen Lebens in den bedeutenden Kurstädten des 19. Jahrhunderts.

Mit dem außergewöhnlichen reichen Erbe des 19. Jahrhunderts als weltberühmte Kurstadt und ihrer Toleranz Andersdenkenden gegenüber, besitzt Baden-Baden eine besondere Verantwortung, dass die Gräueltaten und Verbrechen des Nationalsozialismus nicht vergessen werden.


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