Gastkommentar

Krank werden auf Rezept – Gastkommentar von Alexander Srokovskyi

Krank werden auf Rezept – Gastkommentar von Alexander Srokovskyi
Apps können eine Ergänzung zum Besuch beim Therapeuten sein, aber kein Ersatz. Foto: Archiv

Bild Alexander Srokovskyi Gastkommentar von Alexander Srokovskyi
09.04.2021, 00:00 Uhr



Baden-Baden In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt und Thomas Bippes, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.

Der Baden-Badener Alexander Srokovskyi ist DOSB Sportphysiotherapeut, Heilpraktiker für Physiotherapie und Sportosteopath.

Kommentar: Alexander Srokovskyi Aktuell gibt es zahlreiche Apps auf dem Markt, welche den Patienten suggerieren, dass durch die Nutzung ein Besuch beim Arzt oder Therapeuten ersetzt werden könne.

Die Entwickler solcher Apps sind oft sogar fachfremde Personen, die hier das schnelle Geld sehen. Im Endeffekt erhält man in so einer App aber lediglich Krankengymnastik Hausaufgaben, wie man Sie auch von seinem Therapeuten im Anschluss an eine evidenzbasierte Anamnese und Behandlung erhalten würde.

Die dort gezeigten Übungen können schnell zu einer Gefahr für die Gesundheit werden und sich negativ auf Gelenke, Bänder und Bandscheiben auswirken, wenn die vorherige Anamnese und Diagnostik nicht ausreichend stattgefunden hat und eine korrekte Ausführung nicht kontrolliert wird.

Fehler sind von einem Laien meist nicht erkennbar, die Schäden, welche bei dauerhaft fehlerhafter Ausführung entstehen können sind allerdings immens.

Ein Fallbeispiel hierzu:

Erst vor kurzem hatte ich einen 30 Jahre alten Patienten ohne Vorschäden, welcher mit einem akuten Bandscheibenvorfall zu mir kam. Dieser berichtete mir von seinem Heimprogramm welches er mit Hilfe einer App regelmäßig ausführte. Nach einer genauen Analyse, wie er diese Übungen ausführte, war es für mich nicht verwunderlich, dass hierbei ein Bandscheibenvorfall begünstigt wurde.

Im Anschluss an eine evidenzbasierte Diagnostik und Behandlung macht der Patient nun ein auf ihn abgestimmtes Trainingsprogramm, welches in regelmäßigen Abständen kontrolliert und angepasst wird. Nur so kann der Therapieerfolg auch gefestigt und nachhaltig beibehalten werden.

Es gibt einige Diagnosen, da sind bestimmte Bewegungen auch absolut kontraproduktiv, daher ist eine ausführliche Untersuchung im Vorfeld ein Muss.

 

Handelt es sich nicht um eine Sportverletzung, sondern um eine chronische und schmerzhafte Veränderung des Bewegungsapparats, so ist eine ganzheitliche Ursachenforschung unabdingbar.

Ferndiagnosen sind grundsätzlich nur als Ersteinschätzung geeignet. Eine ausführliche Anamnese mit entsprechenden Tests zur Differenzierung von Ursachen durch einen Arzt oder Therapeuten kann daher mittels einer App oder Onlinesprechstunde nicht ersetzt werden.

Einige Reha-Kliniken bieten derzeit Ihren Patienten die Möglichkeit an zwischen Heimübungen per App und einer ambulanten physiotherapeutischen Behandlung auszuwählen, dies halte ich als Mediziner für hochgradig gefährlich, da es Folgeschäden und Bewegungseinschränkungen eher begünstigt als dass es der Heilung dienen würde. Die richtige Nachbehandlung im Anschluss an eine OP ist entscheidend für das Ergebnis und somit für die Lebensqualität des Patienten. Seine Gesundheit sollte man keinesfalls dem Zufall oder einer App überlassen.

Für das Gesundheitssystem ist es scheinbar die Lösung Apps auf Rezept zuzulassen, anstatt Ärzten und Therapeuten die Möglichkeit einer ausführlichen und evidenzbasierten Behandlung jedes Patienten durch entsprechende Entlohnung zu ermöglichen. Dies trifft vor allem die gesetzlich versicherten Patienten, welche dann, sofern Sie überhaupt ein Rezept erhalten, mit 15 Minuten Massagen abgespeist werden oder eben mit einer App. Auf Dauer besteht so leider keine Möglichkeit auf eine gesundheitliche Besserung.

Die gesetzlichen Krankenkassen trumpfen auch mit Sätzen wie «Ihr Therapeut entscheidet individuell, wie lange die Behandlung innerhalb des Rahmens für Sie sinnvoll ist» auf, vergüten jedoch nur die Mindestzeit. Die restliche Zeit, welche tatsächlich sehr sinnvoll genutzt werden könnte, wäre also quasi eine ehrenamtliche Tätigkeit.

Es ist auch wissenschaftlich belegt, dass sowohl die Kommunikation zwischen Arzt oder Therapeut und dem Patienten als auch die Behandlungsumgebung für den Genesungsprozess ausschlaggebend sind. Für die Krankenkassen spielt allerdings hauptsächlich das biomedizinische Weltbild eine Rolle, wonach der Mensch wie eine Maschine repariert werden kann. Dass für die Heilung der ganze Mensch von Bedeutung ist, ist noch nicht genug in den theoretischen Konzepten angekommen. Dies sorgt auch für den Fachkräftemangel in Deutschland, da es schließlich das Ziel eines Mediziners ist, evidenzbasiert und nachhaltig zu arbeiten, um Menschen wirklich helfen zu können. Hierfür sind jedoch kostspielige Fortbildungen und ausreichend Behandlungszeit zwingend notwendig.

Apps können eine gute Ergänzung bieten, wenn die Ausführung regelmäßig vom Therapeuten kontrolliert und immer wieder an den aktuellen Gesundheitszustand angepasst wird.

Diese Option der Online Hausaufgaben für Patienten ist auch schon seit einiger Zeit in zahlreichen Praxissoftware-Lösungen enthalten und wird in vielen Praxen bereits aktiv genutzt. Auch Onlinesprechstunden vom behandelnden Arzt oder Therapeuten sind für die Dauer eines Urlaubs oder einer Geschäftsreise eine sinnvolle Akutlösung. Durch Apps und Onlinesprechstunden die Besuche bei Ärzten und Therapeuten zu ersetzen halte ich allerdings für absolut fahrlässig. Dies spart den Krankenkassen vielleicht kurzfristig Geld, auf längere Sicht kommen jedoch zahlreiche OPs und größere Schäden auf diese zu, welche weitaus höhere Kosten verursachen.

Es ist an der Zeit umzudenken und mehr Geld in evidenzbasierte Behandlungen und gezielte Prävention zu investieren, um die Patienten langfristig gesünder und glücklicher zu machen.


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