Gastkommentar

Nur vier von zehn Schulen verfügen über „ausreichend starke Internetverbindung – Unfassbar eigentlich – Gastkommentar von Thomas Bippes

Bild Thomas Bippes Gastkommentar von Thomas Bippes
29.09.2022, 00:00 Uhr



Baden-Baden In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt und Thomas Bippes, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.

Thomas Bippes war in der Zeit von 1998 bis 2006 Pressesprecher von Fraktion und Partei der CDU Rheinland-Pfalz und ist heute Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement an der SRH Fernhochschule – The Mobile University sowie Gesellschafter einer Online Marketing Agentur in Baden-Baden. Das Handwerkszeug für professionelles Online-Marketing lernte der Kommunikationsexperte im Presse- und Informationsstab des Bundesministeriums der Verteidigung, als Referent und Pressesprecher von Landtagsfraktionen sowie als Chefredakteur und Verleger von Mitgliedermagazinen für Institutionen und Verbände.

Kommentar: Thomas Bippes Es ist nichts Neues, dass es um die Digitalisierung schulischer Bildung nicht gut bestellt ist. Im August zeichnete der Bildungsmonitor des Instituts der deutschen Wirtschaft ein sehr durchwachsenes Bild von der Digitalisierung an unseren Schulen.

Inzwischen haben 86 Prozent der Schulen Lernmanagementsysteme. An zwei Drittel der Schulen wird täglich digital gelernt. Gleichzeitig bleibt der Rückstand bei der essenziellen Infrastruktur gigantisch groß. Nur etwa vier von zehn Schulen verfügen über eine «ausreichend starke Internetverbindung». Unfassbar eigentlich.

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), ein unabhängiges wissenschaftliches Beratungsgremium der Kultusministerkonferenz, der 16 Bildungsforscherinnen und -forscher aus verschiedenen Disziplinen angehören, bringt in ihrem jetzt vorgelegten Gutachten zur Digitalisierung im Bildungssystem zum Ausdruck: «Einige Bildungspläne vermitteln ausschließlich eine negative Sicht auf digitale Medien. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Kinder in einer digitalisierten Welt aufwachsen, ist eine solche Grundhaltung nicht konstruktiv.» Unter dem Titel «Digitalisierung im Bildungssystem» werden konkrete Handlungsempfehlungen ausgesprochen, um Chancen des Lehrens und Lernens mit digitalen Medien in unterschiedlichen Lernkontexten zu nutzen – von Kita und Schule über die berufliche Bildung bis zur Hochschule.

 

Zwar reflektiere der SWK zufolge ein Großteil der Bildungspläne die Potentiale digitaler Medien, zum Beispiel für die sprachliche Bildung und thematisiere die Gefahren durch unkontrollierten Medienkonsum. Die Wissenschaftler drängen unmissverständlich darauf, das Bildungssystem in Deutschland so rasch wie möglich in die Lage zu versetzen, junge Menschen auf die Anforderungen einer digitalisierten Welt vorzubereiten, damit sie aktiv gesellschaftliche Prozesse mitgestalten können. Die Forderungen, die die SWK dabei formuliert, wirken angesichts der Rückständigkeit der deutschen Gesellschaft und ihrer Bildungseinrichtungen geradezu revolutionär. Doch braucht es solche drastischen Forderungen und es ist bemerkenswert, dass sie von einem staatlichen Beratungsgremium in dieser Deutlichkeit kommen.

Die SWK selbst spricht von tiefgreifenden Veränderungen des Bildungssystems in allen Bildungsetappen, die Innovationsbereitschaft sowie hohe Investitionen erfordern und sich über eine längere Zeit hinziehen werden. Konkret fordert das Gremium digitale Medienbildung bereits in den Kindertageseinrichtungen und eine digitalisierungsbezogene Elternarbeit, um Medien im Bildungsalltag besser nutzen zu können. In den Kitas braucht es Technik und Support, medienpädagogische Konzepte und Lehr-Lernmaterialien. Gerade in der Frühpädagogik müsse sich ein Sinneswandel vollziehen, um die weit verbreitete ablehnende, wenig evidenzbasierte Haltung gegenüber digitalen Medien in eine mehr chancenorientierte Sichtweise zu wandeln.

Die SWK empfiehlt Weiterbildung und Informationskampagnen und die Verankerung digitaler Medienbildung in den Lehrplänen aller Bundesländer. Um die Schulen und ihre Fachkräfte fit für einen medien- und fachdidaktisch treffsicheren Unterricht zu machen, braucht es nach Einschätzung der SWK länderübergreifende Zentren für digitale Bildung. Und damit macht die Kommission ein echtes Fass auf, ist doch die Bildungspolitik quasi die «heilige Kuh» der Bundesländer. Die SWK jedoch empfiehlt die länderübergreifende Zusammenarbeit in den MINT-Fächern und in den Sprachen, perspektivisch für weitere Bereiche, um Lehr-Lernmaterialien zu entwickeln und bereitzustellen. Außerdem spricht sich die SWK für Informatik als (Pflicht)-Fach aus. Die erforderliche Qualifizierung von Lehrkräften gelte es rasch auf den Weg zu bringen. Schon in der Grundschule soll es verpflichtende Informatikinhalte im Sachunterricht geben, in der Sekundarstufe I fordert die Kommission Informatik als Pflichtfach mit mindestens vier Stunden ab 2024/25, eine Offensive in der Qualifizierung von Lehrkräften und Hochschuldozenten und eine Modernisierung der beruflichen Bildung, die weniger berufsbezogen denkt und digitale Kompetenzen berufsübergreifend vermittelt.

Wer die Studie der SWK liest, schwankt zwischen Resignation und Hoffnung. Denn die Autoren zeigen schonungslos die Schwachstellen und Hindernisse auf, die in unserem Bildungswesen eine chancenorientierte Digitalisierungsstrategie verhindern. Dennoch überwiegt die Hoffnung. Denn es ist bemerkenswert, dass ein wissenschaftliches Beratungsgremium seinem Auftraggeber, der Kultusministerkonferenz, so deutliche Forderungen ins Stammbuch schreibt. Das unterstreicht die Dringlichkeit der Lage.


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