Gastkommentar

Tausenden Unternehmen droht Abschaltung ihrer Websites – Gastkommentar von Thomas Bippes

Tausenden Unternehmen droht Abschaltung ihrer Websites – Gastkommentar von Thomas Bippes
Thomas Bippes ist Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement. Foto: Archiv

Baden-Baden, 02.08.2024, Bericht: Redaktion In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt und Thomas Bippes, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.

Thomas Bippes ist Professor für Medien, Kommunikation und Online Marketing an der SRH Fernhochschule - The Mobile University und Gesellschafter der Online Marketing Agentur PrimSEO in Baden-Baden.

Kommentar: Thomas Bippes Firmen mit mehr als zehn Mitarbeitern oder einem Jahresumsatz von mehr als zwei Millionen Euro müssen digitale Produkte bald einfacher zugänglich für Menschen mit Behinderungen anbieten. Noch sind 90 Prozent der Webseiten weltweit dazu nicht in der Lage. Unternehmen ohne barrierefreie digitale Angebote droht die Abschaltung ihrer Website – aber auch Umsatzverlust.

In knapp einem Jahr tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft, das klare Mindeststandards vorschreibt, die auch überprüft werden. Ist eine Website nicht barrierefrei, kann sie gesperrt werden. Gleichzeitig wird das Recht der Verbraucher auf barrierefreie Produkte gestärkt. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, basierend auf einer EU-Richtlinie, soll die Inklusion fördern. Es schreibt Mindestanforderungen für die barrierefreie Nutzung von Webseiten, Produkten und Dienstleitungen vor, um sicherzustellen, dass alle Menschen, auch solche mit Behinderungen oder mit wenig Erfahrung im Umgang mit dem Internet, gleichberechtigten Zugang zu digitalen Inhalten oder Produkten erhalten. Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt aktuell gerade eine Untersuchung von Google und Aktion Mensch: Demnach sind die großen Online-Shops in Deutschland nicht barrierefrei. Doch die Umsetzung dieser Anforderungen stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen.

Über das Gesetz, das den sogenannten European Accessibility Act (EAA) in nationales Recht umsetzt, lässt sich trefflich streiten. Muss der Gesetzgeber den Webseitenbetreibern vorschreiben, wie sie ihre Webseite zu gestalten haben? Schließlich könnte das auch der Markt regeln. Webseiten, die nicht nutzerfreundlich sind, werden gemieden. Damit sinkt die Sichtbarkeit und der Betreiber wird ohne gesetzlichen Druck auf die Idee kommen, Änderungen vorzunehmen. Mit dem BFSG geht die Politik einen anderen Weg und greift in den Markt ein.

Die Anforderungen des BFSG und ihre Folgen

Die neuen Vorschriften verlangen, Webseiten so zu gestalten, dass sie auch von Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen genutzt werden können. Dies umfasst unter anderem die Bereitstellung alternativer Texte für Bilder, die Untertitelung von Videos, eine intuitive Navigation und die Kompatibilität mit Screenreadern. Viele bestehende Webseiten erfüllen diese Kriterien derzeit nicht und müssten umfassend überarbeitet werden.

Für große Unternehmen mit umfangreichen IT-Abteilungen und entsprechenden Budgets mag dies eine machbare Aufgabe sein. Für kleinere Unternehmen hingegen, die oft nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen, kann die Umsetzung dieser Anforderungen schnell komplex werden. Die Kosten für die Anpassung einer Webseite an die neuen Barrierefreiheitsstandards können leicht mehrere tausend Euro betragen – eine Investition, die viele kleinere Betriebe nicht stemmen können, sofern sie unter die Umsetzungspflicht fallen.

Bei Nichtbeachtung drohen Bußgelder

Die Konsequenzen für Unternehmen, die die neuen Anforderungen nicht rechtzeitig umsetzen, sind drastisch. Neben der Abschaltung ihrer Webseiten drohen auch erhebliche Bußgelder. Zudem besteht die Gefahr eines Reputationsverlustes: Kunden könnten das Fehlen barrierefreier Angebote als mangelndes Engagement für Inklusion interpretieren, was das Image des Unternehmens nachhaltig beschädigen könnte.

Es ist daher entscheidend, dass Unternehmen jetzt handeln und sich aktiv mit den Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes auseinandersetzen. Problem dabei: Selbst die Bundesfachstelle «Barrierefreiheit» der Knappschaft Bahn See ist personell erst ab 2025 vom Gesetzgeber dafür ausgestattet, Beratung zum BFSG anzubieten. Dabei gibt es bereits jetzt vermehrt Anfragen zur Umsetzung des Gesetzes, die die Bundesfachstelle nur zeitlich verzögert beantworten kann.

Wer mit der Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes hadert, weil sie zunächst mit Aufwand und Kosten verbunden ist, sollte sich die langfristigen Vorteile bewusst machen. Barrierefreie Webseiten erhöhen die Reichweite und Zugänglichkeit für alle Nutzergruppen und können so neue Kundenkreise erschließen, die bisher wenig Erfahrung im Internet gesammelt haben wie zum Beispiel ältere Menschen. Zudem tragen sie zur positiven Wahrnehmung des Unternehmens bei und stärken dessen Position als verantwortungsvoller Akteur in der digitalen Welt.

Mehr zum «Barrierefreiheitsstärkungsgesetz»: www.bmas.de

Weitere Infos: www.bmas.de

 

 


 

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