Arienabend im Festspielhaus

Sonya Yoncheva im Festspielhaus Baden-Baden - Kongenial! - Verdi traf die Sehnsucht des Volkes nach Freiheit

Sonya Yoncheva im Festspielhaus Baden-Baden - Kongenial! - Verdi traf die Sehnsucht des Volkes nach Freiheit
Sonya Yoncheva, Marin Yonchev, Francesco Ivan Ciampa und das Sinfonieorchester Basel sangen und spielten Verdi. Foto: Michael Gregonowits

Baden-Baden, 05.06.2018, Bericht: Inga Dönges Dieser Arienabend war allein Giuseppe Verdi (1813 – 1901) gewidmet, einem Komponisten, der eine neue Zeit miterbaute. Seine Idee war, dass jeder die moralische Verantwortung für seine Zeit und Welt trägt.

Italien war zersplittert und stand unter wechselnder Fremdherrschaft, zu der Zeit unter österreichischer. Mailand, die Hauptstadt der Lombardei, und das Opernhaus die «Scala» waren der Beginn seines erfolgreichen Schaffens nach langen Jahren der Arbeit und kompositorischen Misserfolgen. Letztere waren keine wirklichen: die Italiener verstanden einfach seine Neuheiten nicht, waren gewöhnt an Donizetti, Bellini und Rossini.

Mit «Nabucco», der großen Freiheitsoper, gelang der Durchbruch. Verdi traf damit die Sehnsucht des Volkes nach Freiheit, einer Verfassung und der Lockerung des starren Ständestaates. Das betrifft in diesem Programm die Rolle der Frauen, die jenseits der gängigen «Moral» lebten: Luisa Miller («Luisa Miller» nach Schillers «Kabale und Liebe»), Leonora («Il Trovatore» und «La Forza del destino»), Elisabetta («Don Carlo») und als Höhepunkt Violetta («La Traviata»). So wurden Verdis Opern zum Musikdrama.

1848 stellte sich Verdi in Paris an die Spitze der Italiener, deren Proklamation er mit abgefasst hat: «Helfet Italien! Jeder Augenblick Verlust für die Freiheit Italiens ist ein Gewinn für den Despotismus in Europa. Man fürchtet einen europäischen Krieg und vergisst, dass dieser Krieg schon da ist. Krieg zwischen wie unversöhnlichen Prinzipien! Aber von Gerechtigkeit, von Wahrheit, von einem neuen Europa, davon spricht niemand.»

Wie zeitlos diese Gedanken sind: man könnte diese Zeilen auch heute den Europäern ins Stammbuch schreiben. Verdis Operndramatik geht von der Musik und der Stimme aus und führt im Endpunkt zu den Menschen und ihren Schicksalen und formen so die Größe seiner Opern, so wie er auch die Arien endgültig zur Stretta überhöht.

Das Sinfonieorchester Basel, eines der ältesten Orchester der Schweiz, gegründet 1876, 1997 fusioniert zu seinem jetzigen Ensemble, seit 2016 mit dem Chefdirigenten Ivor Bolton, begleitete die Arien von Sonya Yoncheva und ihrem Bruder Marin Yonchev exzellent. Die Holzbläser, insbesondere die Flöten- und Klarinettensoli waren das Fundament für den perfekten Gesang und Ausdruck.

Der Dirigent Francesco Ivan Ciampa hatte alles souverän in seinen Händen und musizierte sein persönliches Motto: «Durch die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart die Magie eines musikalischen Genies zurückzuholen.» Er wurde 1982 in Avellino geboren, studierte am «Santa Cecilia» Konservatorium in Rom, lernte u.a. bei Carlo Giulini und Antonio Pappano. Von Kindheit an dürfte ihn die Musik Verdis begleitet haben. Er baute Spannungen auf durch Generalpausen, was Verdi sicher akzeptiert hätte.

Und nun endlich zu Sonya Yoncheva, für die dieser Klangteppich ausgerollt war. Sie wurde 1981 in Plovdiv geboren, einer bulgarischen Stadt, die durch Opernhaus, zwei Amphitheater und seine Chöre einfach sang. Dort studierte sie Klavier und Gesang, dann am Genfer Konservatorium. Das Ergebnis: Sonya Yoncheva beherrscht alles! Sie IST jede der Frauen, die sie singt und darstellt und rührt im Höhepunkt als Violetta aus «La Traviata» zutiefst. Sie verfügt über eine stupende Technik, hat eine große Tessitura auch in der Tiefe, die Intonation ist erstklassig, sie geht die Töne direkt ohne ein Vibrato an, die Koloraturen gelingen wie das «messa di voce», die Stimme wandelt sich vom sanften Lyrischen in ungeheure Strahlkraft in der Höhe, in ihrem Brustregister steigt sie ohne jeden Bruch hinab. Das ist Kunst!

Ihr Bruder Marin Yonchev 1988 in Plovdiv geboren, war ein gefeierter Pop-Star, wendete sich aber ab 2007 der Oper zu und gefiel mit einem gut geführten Tenor, ruhig und ohne Forcieren. Das Geschwisterpaar sang das Duett aus «La Traviata» «Oh mia Violetta … Parigi, oh cara …Gran Dio! Morir si giovine». Das war der berührende Abschluss. Zu Beginn war die Arie der Leonore aus «Il Trovatore», dann folgte die Ouvertüre zur Oper «I Vespri Siciliani» mit wechselnden Pianissimi und Fortissimi aufwühlend und beeindruckend. Danach Marin Yonchev mit der Arie des Oronte aus «I Lombardi alla prima crociata», 1843 in Mailand uraufgeführt − ein politisches Fanal. Nicht nur die gefürchtete Galeria der Scala tobte, der Jubel kam auch aus dem (adligen) Parkett, ausgenommen natürlich die österreichischen Besatzungs-Offiziere in den ersten Reihen.

Weiter ging es mit «La forza del destino», erst die Ouvertüre, dann die Arie der Leonora mit dem Fluch, dass es einem kalt den Rücken hinunterlief. Nach der Pause die Arie der Elisabetta aus «Don Carlo», in französischer Fassung, die fünf-aktige Uraufführung war 1867 in Paris. Alle Trauer über den Verlust von Carlo, dem einstigen Verlobten, lag in der gut geführten Stimme. Über die Ouvertüre zu «Luisa Miller» (1849 in Neapel) und die Arie der Odabella aus «Attila» (1846 in Venedig) schritt der Abend seinem Höhepunkt zu: «La Traviata» (1853 in Venedig).

Erst das Vorspiel zum 3. Akt, dann das Duett «Oh mia Violetta … Parigi, oh cara …Gran Dio! Morir si giovine…». Das Geschwisterpaar sang eines der größten und tragischsten Stücke des Liebespaars Violetta − Alfredo der Operngeschichte. Es gelang ihnen, das Publikum zu berühren, was immer zu einer guten «La Traviata» gehört. Und dann setzte der Beifall ein. Man stand und applaudierte, und jeder wusste sicher, etwas Großes erlebt zu haben; jeder der es fühlte, konnte es begreifen.

Die Belohnung waren zwei Zugaben, das «Libiamo» aus «La Traviata» und dann noch einmal Leonore mit «Tacea la motte placida.. di tale amor…» aus dem Troubadour. Es war das Schlussfeuerwerk von Sonya Yoncheva.

Ein großer Verdi-Abend, der zweite in dieser Spielzeit - kann das Festspielhaus solche Arien-Abende nicht öfter in sein Programm aufnehmen?


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