Gastkommentar

Beendet das Schlachten – Gastkommentar von Gerd Weismann

Beendet das Schlachten – Gastkommentar von Gerd Weismann

Bild Gerd Weismann Gastkommentar von Gerd Weismann
23.05.2020, 00:00 Uhr



Baden-Baden In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt, der Künstler und Aktivist Gerd Weismann und Thomas Bippes, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.

Gerd Weismann ist Baden-Badener, Künstler und Träger des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg.

Kommentar: Gerd Weismann Es geht in diesem Beitrag um Menschen und Tiere, um Gewinner und Verlierer, um das organisierte Töten und Sterben. Es geht um Schlachthöfe und Schlachtfelder, wobei der Unterschied zwischen beidem nur von lokaler Natur ist: In beiden Fällen geht es um Lebewesen, die im Namen des Geldes, alias für ein «höheres Gut» oder wie auch immer dieser Umstand ideologisch bemäntelt wird, ihr Leben lassen müssen. Nur werden die einen unter freiem Himmel dahingeschlachtet, die anderen in Fabriken, die einen könnten sich vielleicht dagegen wehren, verweigern, davonlaufen, verstecken, die anderen können das nicht, sie haben keine Chance, denn sie werden in Gefangenschaft geboren und leben und enden auch darin. Beide Lebewesen suchen ihre Schlachtbank nicht aus freien Stücken auf, beide kennen ihre Metzger nicht, beide müssen sterben, weil sie das Pech haben gegenüber ihrem Schlächter unterlegen beziehungsweise untergeben zu sein und weil nicht sie selbst, sondern höhere Instanzen das Recht und die Macht haben, über ihr Leben zu verfügen und zu entscheiden.

Diese «höheren Instanzen» sind im einen Fall die Rüstungsbarone und Staatenlenker und deren Ideologen, Wissenschaftler und Werbefachleute («Für Freiheit, Volk und Vaterland»), im anderen Fall die Fleischbarone und deren Ideologen, Wissenschaftler und Werbefachleute («Fleisch ist ein Stück Lebenskraft»). In beiden Fällen geht es um Geld und Macht, um sehr viel Geld und sehr viel Macht.

Die Fleischindustrie ist neben Energie-, Auto-, Textil-, Pharma- und Rüstungsindustrie eine der einflussreichsten und lukrativsten Branchen überhaupt. Großschlächtereien machen Milliardenumsätze – entsprechend reich und einflussreich sind ihre Eigner und Aktionäre. Was treibt sie an, die Fleischbarone und die Rüstungsfürsten, was haben sie gemeinsam, außer dass sie beim Akt des Tötens selbst nicht in Erscheinung treten, sondern das schmutzige Handwerk, an welchem sie extrem gut verdienen, irgendwelchen angeheuerten Lohnsklaven und bezahlten Söldnern überlassen?
Warum lassen diese Fürsten und Barone töten und schlachten? Weil sie der selbstlosen Meinung sind, dem «Volk» und dem «Vaterland» etwas Gutes tun zu müssen, oder weil sie nicht ganz so selbstlos am Ende der Kette den Gewinn abschöpfen und damit ihr eigenes Leben vergolden können?

Ich nehme mir mit diesem Artikel die Fleischfabriken und deren Besitzer vor. Ihre Ideologen und Werbefachleute haben den Spruch geprägt: «Fleisch ist ein Stück Lebenskraft!» Das hört sich nicht schlecht an, es stellt sich allerdings die Frage: Für wen ist das Fleisch die Lebenskraft? Ganz sicher jedenfalls nicht für das Tier, das sein Leben im Schlachthaus genau eben dafür hergeben muss. Im Gegenteil, für das Tier ist sein Fleisch sein Verhängnis, ein Stück Todeskraft. Und sicherlich ist es auch keine Lebenskraft für den schlecht bezahlten Lohnarbeiter, der das Tier in der Fabrik von dessen Lebenskraft befreien und im Akkord zerlegen soll.

Diesem Lohnarbeiter geht es ganz ähnlich wie dem Tier. Beide geben ihre Lebenskraft, damit am Ende der Kette ein Stück Fleisch auf der Theke liegt. Der Lohnarbeiter besitzt nämlich genau wie das Tier etwas, das sich zu Geld machen lässt: seine Lebens- bzw. Arbeitskraft. Und das genau ist sein Verhängnis. Das ist alles, was er hat. Sein ganzer und ausschließlicher Besitz ist seine Lebens- bzw. Arbeitskraft, was ihn dazu zwingt, genau diese auf dem freien Markt zum Verkauf anzubieten, um sich und den seinen damit das eigene Überleben zu sichern. Diese «Lohnsklaven» haben keine Wahl, genau wie ihre tierischen Opfer, die sie gezwungen sind täglich millionenfach zu töten, zu schlachten und zu zerlegen, um sich selber über Wasser zu halten. Sie befinden sich auf der gleichen Stufe dieser Verwertung und Verwurstung. Sie hausen und leben zusammengepfercht unter ähnlich erbärmlichen Verhältnissen wie das Vieh aus der Massenhaltung, in Unterkünften, die mehr Stall als Wohnung sind. Diese Menschen trifft keine bis nur wenig Schuld, denn sie sind selbst das Opfer eines zutiefst grausamen Systems.

Für die Lohnarbeiter ist das Fleisch, das sie in Akkordarbeit von den Knochen der Tiere abtrennen und verpacken, ein großes Stück ihrer eigenen Lebenskraft, die sie investieren müssen, damit es auf dem Absatzmarkt einen Preis erzielt, der möglichst unter, auf keinen Fall aber über dem Angebot der beinharten Konkurrenz liegt. Und hier befindet sich der Dreh- und Angelpunkt des schrecklichen Dramas der sogenannten «freien Marktwirtschaft». Je weniger Kosten, die Vieh- und Menschenhalten bis zur Verwurstung und Vermarktung verursachen, desto sicherer die Chance auf Umsatz und Profit. Und dieser aus dem Fleisch der Tiere und den Knochen der Arbeiter gepresste Profit kommt einzig und allein dem zugute, dem die ganze Maschinerie gehört – und das sind jedenfalls nicht die Schlacht- und Arbeitstiere.

Die Fleischbarone machen sich bei diesem Geschäft die Hände nicht schmutzig, im Gegenteil, sie vergolden sich mit dem Elend der anderen ihre Nasen und Toiletten und haben über die Macht des Geldes das Sagen im Land und ihre Büttel, die Wissenschaftler, Ideologen und Werbefachmenschen, die sich durch ihre Mithilfe ein paar Krümel vom Kuchen versprechen, eilen dienstbeflissen hinterher und bestätigen gern und ohne Skrupel den verkaufsfördernden Slogan: «Fleisch ist ein Stück Lebenskraft».

Fakten zur Sache: Im Jahr 2019 wurden in den 10 größten deutschen Schlachthöfen 55 Millionen Schweine geschlachtet. Die Tiere stammen dabei zum größten Teil aus inländischer Zucht. Alleine der Branchenprimus Tönnis schlachtet knapp 20 Millionen Tiere pro Jahr. Tönnis hatte 2018 einen Umsatz von 6,65 Milliarden Euro bei einer Lohnarbeiteranzahl von 16.500.

Man bedenke: In Deutschland leben 80 Millionen Menschen. Sobald man das Haus verlässt, sieht man zumindest tagsüber ständig welche davon. In Deutschland leben parallel dazu fast genauso viel Schweine (über 50 Millionen). Man sieht davon kein einziges. Sie befinden sich in Boxenhaltung, weggeschlossen in riesigen Ställen (zehntausend Schweine pro Stall). Was für grausame Lebensbedingungen für Tiere, die ein mit dem Menschen vergleichbares Sozialverhalten aufweisen und von ihren Müttern einzig und alleine geboren werden, um sofort getrennt, gemästet, geschlachtet und vermarktet zu werden?

Von wegen: «Fleisch ist ein Stück Lebenskraft». Dem Motto der Fleischbarone und ihrer Helfershelfer in Wissenschaft, Werbung und Politik kann ich nur entgegenhalten: Ja, Fleisch ist tatsächlich ein Stück Lebenskraft, aber nur so lange es am Körper des Lebewesens bleibt, dem es gehört! Alles andere ist gelogen und dient nur und einzig dazu, das Leben einiger weniger zu bereichern indem das Leben vieler anderer geschmälert und zerstört wird.
Beendet das Schlachten!


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