Gastkommentar von Gerd Weismann

Gastkommentar zur „Grünen Woche“ in Berlin und den Bauernprotesten– „Wir haben es satt!“

Gastkommentar zur „Grünen Woche“ in Berlin und den Bauernprotesten– „Wir haben es satt!“
Im Durchschnitt verzehrt jeder Deutsche pro Jahr rund 60 Kilogramm Fleisch. Der Anteil von Bio-Fleisch und Bio-Wurst wird auf zwei Prozent geschätzt. Foto: Archiv

Bild Gerd Weismann Baden-Baden, 20.01.2020, Bericht: Redaktion In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt, der Künstler und Aktivist Gerd Weismann und Thomas Bippes, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.

Gerd Weismann ist Baden-Badener, Künstler und Träger des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg.

Baden-Baden, 20.01.2020, Kommentar: Gerd Weismann Zwei Bauern-Demos in Berlin zur grünen Woche. Die einen (am Freitag) wenden sich gegen «zu scharfe Umweltauflagen», den anderen (am Samstag) gehen die Auflagen nicht weit genug. Zwei sich widersprechende Positionen, der Gegner aber ist der Gleiche!

Fest steht: Die Industrialisierung der Landwirtschaft vernichtet die kleinen, die mittleren und ökologisch orientierten Bauern. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) befeuert diese Tendenz indem sie die Milliardensubventionen weiter an die verteilt wissen will, die viel Land besitzen, egal wie sie produzieren.

Dazu muss man wissen: jedes Jahr werden in Deutschland 6,3 Milliarden Euro an EU-Agrargeldern ausgeschüttet, mehr als drei Viertel davon als pauschale Subventionen je Hektar Fläche. In der Praxis heißt das: die 3.300 flächengrößten Betriebe erhalten eine Milliarde Euro im Jahr, während die kleinsten 200.000 Bauernhöfe sich knapp 700 Millionen miteinander teilen müssen.

Statt mit den über sechs Milliarden Euro den umwelt- und tiergerechten Umbau der Landwirtschaft zu fördern, klammert sich die Agrarministerin Klöckner weiter an die pauschalen Flächensubventionen. Vorschlägen, die Mittelvergabe stärker an ökologische Kriterien zu koppeln, erteilt Klöckner damit eine klare Absage. Ihr Engagement gilt offensichtlich den Profitinteressen der im mächtigen Deutschen Bauernverband organisierten Agrarkonzernen gegenüber den Kleinbauern und den Bauern, die ökologisch und nachhaltig produzieren. Diese aber können unter dem Konkurrenzdruck der Konzerne beim besten Willen nicht mithalten und werden an den Rand ihrer Existenzen gedrängt.

Aus dieser Situation heraus erklärt sich bei den circa fünfhundert Freitagsdemonstranten in Berlin die Forderung nach «höheren Lebensmittelpreisen», was aber zugleich jeder Logik der von ihnen selbst gewollten, sogenannten «freien Marktwirtschaft» widerspricht. Auf dem «freien» Markt entscheidet eben der das Rennen für sich, der die niedrigsten Preise hat, so ist das nun mal, und dabei sind die industriell aufgestellten, riesigen Landgüter den kleinen und mittelständischen Höfen halt haushoch überlegen.

Denn was bitteschön will ein Bauer mit fünf oder zehn artgerecht gehaltenen Schweinen gegen einen Massentierhaltungsbetrieb mit zwanzig- bis dreißigtausend industriell aufgezüchteten Schweinen ausrichten? Selbst wenn er gegen seine Überzeugung auf alle Standards für artgerechte Tierhaltung verzichtet und seine fünf oder zehn Schweine unter elendigsten Bedingungen im letzten Morast zur Schlachtreife bringt, kann er mit den Niedrigpreisen der Giganten auf dem Markt nicht mithalten. Das gilt auch für all seine anderen Produkte, die er für sein Einkommen zu verkaufen gedenkt. Überleben ist unter diesen Bedingungen nicht, weder für seine Schweine, noch für ihn selbst.

Die vielen zehntausend Samstagsdemonstranten auf der Berliner «Wir haben es satt»-Demo hingegen verbünden sich mit Tierschützern und Klimaaktivisten und greifen eine Politik an, die vor allem den Profitinteressen der Agrarkonzerne dient. Gegen die unbarmherzige Massentierhaltung, gegen Pestizideinsatz, für eine ökologische, lokale und gerechte Landwirtschaft.

Julia Klöckner reagiert mit ihrer eigenen Logik darauf. Wenn die Verbraucher Tierquälerei, Amazonasrodung und Pflanzengift nicht wollen, müssen sie die Produkte ja nicht kaufen, mit denen ihre Politik die Märkte überflutet. «Ich mute uns Verbrauchern unsere Freiheit und Mitverantwortung zu», sagte sie zur Eröffnung der «Grünen Woche» am Freitag. «Wir werden nicht mit romantisierenden Bullerbü-Vorstellungen zurück zu einer vormodernen Landwirtschaft kehren», verspottet sie die Proteste und schwingt gleichzeitig Lobreden auf Konzerne wie Nestlé.

Dass der Mehrheit der werktätigen Menschen bei den miesem Einkommen im Verhältnis zu den gravierenden Lebenshaltungskosten nichts anderes übrigbleibt, als eben die Billigprodukte dieser Konzerne zu kaufen, weil es für die Rundumversorgung der Familie über den «Bioladen» einfach nicht reicht, ist ihr dabei völlig egal.

Das Credo der freien Markwirtschaft, das Gesetz der Konkurrenz, jeder gegen jeden und der Größere frisst den Kleineren, sprich die Logik der Verwertung des Kapitals, dieses Prinzip geht über Leichen, das sollte inzwischen zumindest den Betroffenen klar geworden sein. Für sie – und das gilt nicht nur für die Bauern – gibt es letztlich keine Alternative: löst das System nicht ihre Probleme, müssen sie das System ändern um ihre Probleme zu lösen, so einfach ist das.


Zurück zur Startseite und zu den weiteren aktuellen Meldungen.