Gastkommentar

Nicht über die Köpfe der jungen Generation hinweg entscheiden – Gastkommentar von Thomas Bippes

Nicht über die Köpfe der jungen Generation hinweg entscheiden – Gastkommentar von Thomas Bippes
Noch immer sind die Schulen nur für die Abschlussklassen geöffnet. Foto: Archiv

Bild Thomas Bippes Gastkommentar von Thomas Bippes
30.05.2020, 00:00 Uhr



Baden-Baden In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt, der Künstler und Aktivist Gerd Weismann und Thomas Bippes, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.

Thomas Bippes ist Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement an der SRH Hochschule Heidelberg und Gesellschafter einer Online Marketing Agentur in Baden-Baden.

Kommentar: Thomas Bippes Ganz so negativ wie Thomas Krüger sehe ich es nicht. Der Präsident des Kinderhilfswerks äußert sich mit folgenden Worten zu den langfristigen Folgen der Schul- und Kitaschließungen durch die Corona-Pandemie: «Wir bekommen es hier (…) womöglich mit einer verlorenen Generation zu tun.» Nein, von einer «verlorenen Generation» zu sprechen, halte ich für überzogen. Die Kinder der Nachkriegsgeneration, die mit viel existenzielleren Sorgen zu kämpfen hatten, waren auch nicht verloren. Dennoch ist es wichtig, den Blick viel mehr auf die jungen Menschen zu lenken, die derzeit bereits als «Lockdown-Generation» betitelt werden.

Der Forschungsverbund «Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit» hat über 5.000 Jugendliche und junge Erwachsenen zu ihrer aktuellen Situation befragt. Beteiligt waren das Institut für Sozial- und Organisationspädagogik an der Universität Hildesheim, das Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung an der Universität Frankfurt und die Universität Bielefeld. An der Studie mitgeschrieben hat zudem Sabine Andresen, Vizepräsidentin des Kinderschutzbundes. Die Forscher ziehen folgendes Fazit: «Jugendliche und junge Erwachsene haben nicht den Eindruck, dass ihre Interessen in der derzeitigen Krise zählen. Sie nehmen nicht wahr, dass ihre Sorgen gehört werden und sie in die Gestaltungsprozesse eingebunden werden.» Dabei sind es gerade die jungen Menschen, die stark von der Krise betroffen sind, deren Alltag durcheinandergewirbelt wurde, die ihrer Chancen beraubt werden.

 

Die internationale Arbeitsorganisation (ILO) beschreibt: Rund 17 Prozent der jungen Menschen zwischen 18 und 29 haben wegen der Coronavirus-Pandemie ihren Job verloren. Der Stillstand in vielen Industrien treffe junge Leute weitaus härter alt ältere. Sie seien mit Jobverlusten, unterbrochener Aus- und Weiterbildung konfrontiert. Die ILO befürchtet Nachteile für die «Lockdown-Generation», die Jahrzehnte dauern könnten. Vor allem die Absolventen in Studium und Ausbildung müssten fürchten, danach in der Arbeitslosigkeit zu landen. Frühindikatoren der Arbeitsmarktforschung zeigen dem ILO zufolge in diese Richtung. Schon vor der Krise hat ein großer Anteil der 15 bis 24-Jährigen in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet. 77 Prozent, das sind 328 Millionen junge Menschen weltweit, seien im informellen Sektor beschäftigt gewesen – und gerade diese Jobs ohne Verträge und soziale Absicherung sind in der Corona-Pandemie als erste weggefallen. Auch das deutsche Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung geht von einer Verschlechterung des Arbeitsmarktes in den nächsten Monaten aus. Das IAB-Arbeitsmarktbarometer hat sich zwar aktuell auf niedrigem Niveau stabilisiert. Enzo Weber, Leiter des IAB-Forschungsbereichs «Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen» schränkt ein: «Derselbe Schock hätte vor 20 Jahren die Beschäftigung ins Bodenlose stürzen lassen. Das ist trotz der immensen Verwerfungen jetzt nicht zu erwarten.» Kritisch sei aber die eingebrochene Einstellungsbereitschaft – und die wiederum betrifft vor allem die Jüngeren.

Der Kinderbuchautor Otfried Preußler hat lange vor Corona formuliert: «Seien Sie gut zu den Kindern - wir haben nichts Besseres!» Es ist wichtig und richtig, dass die Politik die Familien stärker in den Blick nehmen will. Über die passenden Rezepte, junge Menschen besser zu unterstützen, wird noch viel zu diskutieren sein. Diese Diskussion darf jedoch nicht über die Köpfe der jungen Menschen hinweg erfolgen. Sie brauchen eine stärkere Lobby. Sie zahlen die Zeche und werden in Zukunft das Geld aufbringen müssen, das heute großzügig verteilt wird. In den vergangenen Wochen habe ich immer mehr Sympathie für die alte Forderung der Grünen nach Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre entwickelt. Vielleicht würde die Politik die Interessen der jungen Menschen dann wahrnehmen.


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