Gastkommentar

11 Vorschläge zum Klimaschutz – Mehr Geld in die Forschung statt in die Subvention zu teurer Energie? – Gastkommentar Anton Hammer

11 Vorschläge zum Klimaschutz – Mehr Geld in die Forschung statt in die Subvention zu teurer Energie? – Gastkommentar Anton Hammer
Anton Hammer war viele Jahre lang Leiter des Forstamts und Naturschutzbeauftragter der Stadt Baden-Baden. Foto: Archiv

Gastkommentar von Anton Hammer
24.08.2021, 00:00 Uhr



Baden-Baden In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt und Thomas Bippes, Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement an der SRH Hochschule Heidelberg, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.

Anton Hammer war viele Jahre lang Leiter des städtischen Forstamts und von Dezember 1990 bis Dezember 2020 Naturschutzbeauftragter der Stadt Baden-Baden mit dem größten Stadtwald Baden-Württembergs.

Kommentar: Anton Hammer Im August 2019 fragt Wolfgang Dertz in der Fachzeitschrift proWald: «Sind wir noch ganz bei Troste?» Er unterlegt diese Frage mit der Feststellung «…schulschwänzende Kinder mit ihren Lehrern fordern umlenken, wissen aber nicht, wohin, nervöse Politiker agieren hektisch, missachten physikalische und logische Gesetzmäßigkeiten, Social-Media-Fuzzys und Heilslehrer bestimmen die öffentliche Diskussion, Nachhaltigkeit, das Credo der Forstleute, wird zur Nachhaltigkeit der Dummheit.» Hannah Ahrendt würde auf die Frage vielleicht sagen: «Ideologie verstellt den Blick für die Realität.»

In einem Artikel zum Tag des Waldes (FAZ vom 20.3.2021) schreibt Reiner Burger wohl zu Recht, dass im Ausland die Beziehung der Deutschen zum Wald amüsiert verfolgt wird. Ausführlich beschreibt Burger unsere «Waldachtsamkeit» historisch und bis in die Gegenwart. Diese neue Achtsamkeit scheint in der Politik sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während in Niedersachsen SPD und CDU den Wald entgegen der bisherigen Politik für Windkraftanlagen (WKA) freigeben, beschließt parteienübergreifend der Landtag in Thüringen eine Änderung des Waldgesetzes, die das verhindert (proWald Feb. 2021). Die Grünen in Baden-Württemberg fordern in Ihrem Wahlprogramm 1.000 neue WKA im Staatswald und die CDU-BW toppt diese Forderung noch mit dem Ruf nach einem neuen «Klimabelang als Abwägungstatbestand im Natur- und Umweltrecht». Werden die Pläne von der neuen Landesregierung unter dem Landesvater Kretschmann umgesetzt, wird sich der Schwarzwald schon bald in ein Industriegebiet verändern.

Bei 300.000 Hektar Staatswald in Baden-Württemberg verbleibt höchstens ein Drittel der Fläche mit einigermaßen Windhöffigkeit und keinen unabdingbaren Restriktionen für die Windkraftanlagen, was bedeutet, dass auf dieser Fläche zukünftig alle paar hundert Meter eine Windmühle mit Zugangswegen, et cetera gebaut werden soll. Da bleibt nicht mehr viel übrig für Wohllebens Bäume, die magisch sind, Gefühle haben und miteinander kommunizieren. Es bleibt aber auch nicht mehr viel zum Waldbaden, wie neuerdings der erholsame Waldspaziergang genannt wird.

 

Dazu passt die Forderung immer mehr Wald stillzulegen, sich selbst zu überlassen. Auch die klimabedingten Kahlflächen sollten am besten der Natur überlassen werden und sich dem Klimawandel selbst anpassen, egal wie lange das auch dauern wird!

Ich frage mich, ob das Ausland zukünftig amüsiert oder mit Verwunderung verfolgt, was wir mit unserem Wald anstellen, der nach den Worten von Frau Klöckner zum Tag des Waldes «ein sehr sensibles Ökosystem» sei. Wo bleibt eigentlich der Aufschrei der Naturschützer, der Verbände, des Fremdenverkehrs? Das Weltklima zu retten ist ein hehres Ziel. Aber die Zielkonflikte sollten dabei nicht außer Acht gelassen werden.

In Anbetracht der unübersehbaren Kalamitäten in den Wäldern – Dürre, Käfer, Pilze, Wind, Brände – und des aktuellen, schlechten Waldzustandsberichtes ist der Wald heute wieder in den Medien präsent wie einst zu Zeiten der neuartigen Waldschäden in den 1980ern. Anders als damals prägen heute Politiker, Journalisten, Umweltexperten die öffentliche Meinung und die Frage steht im Raum, ob nicht die Förster alles falsch gemacht haben? Peter Wohllebens Bäume reden miteinander und verneinen den Holzeinschlag. Waldeigentümer kämpfen um ihre wirtschaftliche Existenz und bieten teilweise ihr Grundstück als Industriegebiet zum Bau von Windkraftanlagen an zur Rettung des Weltklimas. Forstwissenschaftler oder Förster, die einmal einen Wald über längere Zeit bewirtschaftet haben, oder gar der DFV kommen kaum zu Wort. Damals, als die Angst vor einem Waldsterben allgegenwärtig war, beherrschten die Bodenkundler, die Wissenschaftler die öffentliche Diskussion. Schließlich wurde gehandelt und die Luft wurde sauberer. Autos fuhren auf einmal auch ohne Blei im Benzin. Viele Bäume haben sich erholt.

Mit bald 80 Jahren lehne ich mich zurück und nehme folgendes zur Kenntnis:

• Die Erderwärmung schreitet schnell voran (FAZ v. 3.12.2020). 2020 dürfte eines der wärmsten Jahre seit Mitte des 19. Jahrhunderts gewesen sein. Die sechs wärmsten Jahre liegen allesamt im Zeitraum seit 2015. Die vergangenen fünf Sommer waren wohl so trocken wie in den vergangenen 2100 Jahren nicht (FAZ v. 17.3. 2021). An sechs aufeinander folgenden Tagen wurden im Winter Temperaturen über 20 Grad gemessen. Das ist Wärmerekord (DWD; FAZ v. 26.2.2021).

• Angela Merkel, Justin Trudeau und Emmanuel Macron haben im Januar 2021 in Anbetracht der schwindenden Biodiversität beschlossen, 30 Prozent der Fläche bis zum Jahr 2030 unter Naturschutz zu stellen (FAZ v. 14.1.2021). Um Naturschutz kommt keiner mehr herum (DIE ZEIT 30.12.2020). Der Verlust an Lebensraum für freilebende Tiere und Pflanzen sowie das Artensterben ist ernst zu nehmen.

• Ich sehe nicht nur abgestorbene Fichten Reinbestände, über die allerorten berichtet wird. Ich sehe absterbende Buchen, Kiefern, Eschen, Ahorne und auch vertrocknete Tannen. Das sind Hauptbaumarten. In der Rheinebene sterben ganze Mischwälder. Insekten und Pilze, die früher Sekundärschädlinge waren werde teilweise primär.

• Aus Kreisen der Nadelholzsägeindustrie höre ich, man habe Bedenken in Deutschland weiter zu investieren. Dies nicht nur wegen der Energiepreise, sondern auch wegen der Rohstoffversorgung. Auch Holzwaren könne man importieren nicht nur Gas!

• Nach einer aktuellen Meinungsumfrage (FAZ v. 20.3.2021) gibt es in Deutschland eine weitverbreitete Angst vor einem neuen Waldsterben.

• Andererseits berichtet die Zeitschrift «Metropole Ruhr» (01/21) über eine hohe Wertschätzung des Waldes in Bezug auf Ökonomie, Ökologie und Erholung. Auch ich beobachte nicht zuletzt wegen der Einschränkungen durch Corona eine vermehrte Inanspruchnahme des Waldes durch die Bevölkerung.

• Angesichts der weltweiten Entwicklungen wie den ungebremsten Bevölkerungsanstieg, den jährlichen Verlust an Waldflächen und die Zunahme von Wüsten, die Überdüngung mit Stickstoff und den Artenschwund, den Verlust an Mangrovensümpfen als Kinderstube der Fische und die Zunahme von Microplastik in den Gewässern, den nur durch Corona leicht gebremsten Verbrauch an endlichen Ressourcen – kurzum, den jährlichen Anstieg der weltweiten CO2 Emissionen mit um die zwei Prozent, werden wir trotz aller politischen Bemühungen mit einem Anstieg der Temperaturen rechnen müssen.

• Die deutsche Umweltpolitik konzentriert sich heute auf die Energiewende in Deutschland, um damit die deutschen CO2 Emissionen, die gerade einmal circa zwei Prozent der weltweiten ausmachen, weitestgehend zu minimieren. Die Ausdehnung der Windkraft auf die Waldflächen der Mittelgebirge stehen dabei im Fokus. Energie daraus war noch nie so teuer. Die ökologischen Folgen der Zerschneidung und Industrialisierung der ökologisch noch einigermaßen intakten Teile unseres Naturraumes, der Wälder, werden im Rahmen von Abwägungen in Kauf genommen. Fledermäuse und Vögel sterben zu vielen Tausenden.

Angesichts dieser Situation ist wohl unbestritten, wir bauchenden den Umbau oder Wiederaufbau eines möglichst klimastabilen Waldes der Zukunft. Der ja zum ganz überwiegenden Teil noch bestehende Wald sollte den zu erwartenden Herausforderungen gegenüber möglichst resilient sein.

Doch so mancher Förster oder Waldeigentümer sollte angesichts des gegenwärtigen Walzustandes trotzdem ins Grübeln kommen, ob mit dem verstärkten Bau von Windkraftanlagen in Deutschland dem Weltklima und damit dem Wald geholfen sein wird?

Marc Twain soll einmal gesagt haben, wenn man sich bei der Mehrheit wiederfindet, ist es Zeit innezuhalten und neu nachzudenken.

Ich frage mich, geht es nicht auch effizienter, das heißt, dass man von mehreren Möglichkeiten diejenige auswählt mit dem günstigsten Verhältnis von Kosten zu Nutzen? Wir haben ein weltweites, kein deutsches Problem und es gibt Zielkonflikte nicht nur die Energiewende.

1. Sollten wir nicht statt auf Ackerböden, die Solaranlagen auf bereits versiegelten Flächen oder in der Wüste platzieren?

2. Sollten wir nicht Windkraft statt in süddeutschen Mittelgebirgen in küstennahen Flächen auch anderer Staaten bauen mit mehr Wind? Die Industrie baut auch dort, wo die Löhne niedrig sind und wir importieren fossile Energie überwiegend aus Staaten mit problematischen Regierungssystemen.

3. Wir machen es anders alle anderen Länder und wollen die erneuerbaren Energien alle im eigenen Land produzieren. Koste es was es wolle. Reicht es nicht, dass wir in Deutschland modernste Technologie entwickeln und diese dann dort einsetzen, wo sie am effektivsten dem Weltklima dienen?

4. Sollten wir nicht mehr Geld in die Forschung statt in die Subvention und Erzeugung zu teurer Energie stecken?

5. Sollten wir nicht auf mehr technischen Fortschritt vertrauen und etwas langsamer Energiewende angehen, wie das viele andere Länder tun?

6. Sollten wir uns nicht auf schwierigere Zeiten einstellen und die Resilienz unsere Wälder für die Zukunft stärken, statt sie durch immer neue Schneisen für Windräder, Straßen und Leitungen zu schwächen?

7. Sollten wir nicht alten ideologischen Müll verwerfen, akzeptieren, dass sich die Welt verändern wird und wir auch mit neuen, nicht heimischen Baumarten den Wald von morgen auf- und umbauen müssen? Auch das müsste standortsgerecht und als Mischwald möglich sein.

8. Natur Natur sein lassen und auf Naturverjüngung vertrauen oder gar auf jegliche Nutzung verzichten, mögen schöne Slogans sein. Aber haben nicht einst unsere forstlichen Vorväter durch den mutigen Auf- und Umbau devastierter, ausgeplünderter Waldgebiete mit nicht immer Standort heimischen Baumarten unsere hochproduktiven Wirtschaftswälder geschaffen und die Nachhaltigkeit ins gesellschaftliche Bewusstsein gebracht?

9. Sollten wir nicht das, was wir an stabilen Ökosystemen noch haben, bewahren und nicht durch immer neue Eingriffe fragiler machen?

10. Sollten wir nicht den zu erwartenden Wetterextremen wie z. B. Starkregen dadurch Rechnung tragen, dass wir aufhören, immer mehr Flächen zu versiegeln, den Wald als Wasserspeicher bewahren, beziehungsweise vorsorgende technische Maßnahmen ergreifen?

11. Sollten wir nicht neben der Ökologie auch an die Lebensqualität des Standorts Deutschland, an die Vermeidung von Landschaftsverbrauch und den Erhalt von Landschaftsästhetik denken? Auch das Urlaubsland Deutschland braucht einen naturnahen Wald als Infrastruktur.

Vielleicht wäre das alles vernünftig. Doch der Mensch ist nicht nur vernünftig, was die vielen Verkehrsstaus an Sonntagen, die vielen Motorradunfälle, das Urlaubsverhalten in Corona Zeiten und so weiter veranschaulichen. Deshalb sollte zumindest der homo economicus – vielleicht auch der eine oder andere Politiker und Entscheidungsträger – innehalten und neu nachdenken.

Spätestens dann, wenn technisch veraltete Windkraftanlagen einmal die Berghügel zieren, die Flügel Sondermüll sind und von insolvent gegangenen Betreibern nicht mehr abgebaut werden, werden uns unsere Nachfahren fragen, welche Art Nachhaltigkeit uns geleitet hat in den Boom Jahren der Energiewende. Es besteht jedoch Hoffnung, dass auch dann der Steuerzahler einspringt und die Rechnung bezahlt, sonst hätte man ja etwas falsch gemacht.

Früher nannte man uns einmal die «Hüter des Waldes». Die Waldwirtschaft leidet heute große Not. Statt für ein paar Euro Pacht für eine Windkraftanlage sollten wir, meine ich, den Wald als Ort der Stille, als Landschaftselement und als Erholungsraum nicht aus unserer Hut entlassen.


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