Gastkommentar
Als prallten im Ukrainekrieg die Propagandamaschinerien aus unterschiedlichen Jahrhunderten aufeinander – Gastkommentar von Thomas Bippes
Kommentar von Thomas Bippes
20.10.2022, 00:00 Uhr
Baden-Baden In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt und Thomas Bippes, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.
Thomas Bippes war in der Zeit von 1998 bis 2006 Pressesprecher von Fraktion und Partei der CDU Rheinland-Pfalz und ist heute Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement an der SRH Fernhochschule – The Mobile University sowie Gesellschafter einer Online Marketing Agentur in Baden-Baden. Das Handwerkszeug für professionelles Online-Marketing lernte der Kommunikationsexperte im Presse- und Informationsstab des Bundesministeriums der Verteidigung, als Referent und Pressesprecher von Landtagsfraktionen sowie als Chefredakteur und Verleger von Mitgliedermagazinen für Institutionen und Verbände.
Kommentar: Thomas Bippes Bilder wie sie kaum gegensätzlicher sein könnten: Auf der einen Seite der russische Staatspräsident Wladimir Putin an seinem schweren, dunkelbraunen Holzschreibtisch, staatstragend und fahnenbehangen. Im Hintergrund: In die Jahre gekommene Tastentelefone mit Schnur, alles zielgerichtet inszeniert für die russische Bevölkerung vor den Fernsehbildschirmen.
Auf der anderen Seite der medienaffine ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der mit seinem Smartphone immer mittendrin zu sein scheint, bewusst Hintergründe setzt und seine Erfahrung als Schauspieler und Regisseur nutzt, um maximale mediale Aufmerksamkeit auf allen Kanälen zu erzeugen. Nie im Anzug, meist im oliv-grünen Militärshirt. Der Präsident als nahbarer Kommandeur seiner Volksarmee. Die wenigen Videos, die Selenskyj im Sitzen gedreht hat, wirken wie eine bewusste Persiflage auf seinen russischen Gegenspieler. Eine Kommunikationsform, zugeschnitten auf die Unterstützer im eigenen Land und in der westlichen Welt, jederzeit abrufbar über das Internet. In Russland dagegen unterliegen soziale Medien staatlicher Kontrolle. Facebook, Instagram und Twitter sind verboten. TikTok darf hier keine ausländischen Beiträge publizieren.
Es wirkt, als prallten im Ukrainekrieg die Propagandamaschinerien aus unterschiedlichen Jahrhunderten aufeinander. Putin irgendwie aus der Zeit gefallen, Selenskyj up to date. Doch sind diese Gegenbilder bewusst gesetzte Teile einer Kriegsführung, die sich längst auf die sozialen Medien ausgebreitet hat. Denn auch wenn Putin vordergründig medial rückständig daherzukommen scheint, hat sich auch sein Propagandaapparat längst auf die neue Medienwelt eingestellt. Der Ukrainekrieg spielt sich nur teils ungefiltert durch staatliche Propagandaministerien und ihre Deutungshoheit direkt vor unseren Augen in den sozialen Medien ab. Analysten sprechen schon vom «TikTok»-Krieg. Kommunikation und Digitalisierung spielen im Krieg eine ganz wesentliche Rolle. Und zwar nicht nur im operativen «Geschäft», dem eigentlichen Krieg, sondern auch in der Kommunikation darüber mit der Bevölkerung, mit der Bevölkerung des Feindes und der anderer Staaten. Kriege werden «Dank» der Digitalisierung und der sozialen Medien zu einer Art Hybrid-OP, in dem Therapie und Diagnose in Echtzeit zusammenlaufen. Bilder und Videos lassen sich unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung «behandeln»: umdeuten, kommentieren, manipulieren.
Die russischen Medien setzen dabei gezielt auf Steuerung und Verbreitung von Narrativen oder deren Unterdrückung, wenn sie den eigenen Zielen entgegenstehen. Der staatliche Apparat Russlands wirkt bis in Grauzonen hinein. Mit verdeckten Operationen in den sozialen Medien werden die Gegner Russlands staatlich finanziert mit Informationen manipuliert. Gezielt werden Zweifel gestreut. Der Meta Konzern spricht von der bisher größten und komplexesten russischen Informationsmanipulation, bei der sogar die Internetseiten deutscher Medienhäuser kopiert wurden. Die Qualität der russischen Desinformationskampagnen hat sich enorm weiterentwickelt. Es handelt sich dabei um gezieltes staatliches Handeln, in das die Geheimdienste tief involviert sind. Das ist eine sehr ernstzunehmende Bedrohung für die Meinungsfreiheit und den sozialen Frieden in Europa.
Es ist also längst überfällig, dass Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sich für eine schnelle digitale Aufrüstung der Bundeswehr einsetzt. Die Digitalisierung von Krieg ist längst in vollem Gang. Zwar hat die Bundeswehr ein Cyber-Lagezentrum, das 60 Mio. Euro gekostet hat. Es ist aber nicht einsatzbereit. Eigentlich kaum zu glauben. Tatsächlich hapert es schon an modernen Funkgeräten. Dabei zählen Cyberangriffe schon seit vielen Jahren zum Standardrepertoire Russlands. Wir müssen, schon allein um ernst genommen zu werden, die Bundeswehr in die Lage versetzen, dass sie selbst Cyberangriffe durchführen kann. Cyberangriffe flankieren heute konventionelle militärische Operation.
Schweden hat bereits eine Behörde gegen Desinformation eingerichtet. Ihr Ziel: Die psychologische Landesverteidigung. Gegenmaßnahmen im Bereich der Kriegskommunikation müssen mit Bedacht erfolgen, denn sie betreffen zugleich immer auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Doch muss es klare Regeln geben. Es braucht Aufklärung und Medienkompetenz, die Stärkung von Fact Checking Initiativen – und Sanktionen.
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