Verwaltungsgerichtshof kippt Teil der Corona-Verordnung

Eilantrag erfolgreich – Corona-Verordnung verstößt gegen Gleichbehandlungsgrundsatz – „Buchhandel dient nicht der Grundversorgung“

Eilantrag erfolgreich – Corona-Verordnung verstößt gegen Gleichbehandlungsgrundsatz – „Buchhandel dient nicht der Grundversorgung“
Auch viele Einzelhändler in Baden-Baden fühlen sich nicht gerecht behandelt. Foto: Archiv

Bild Nadja Milke Bericht von Nadja Milke
24.20.2021, 18:30 Uhr



Mannheim Nach dem Durcheinander in Berlin macht nun der Verwaltungsgerichtshof, VGH, der Landesregierung neuen Ärger. Die Vorschrift des § 1c Abs. 2 Corona-Verordnung verstoße «gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da er dem Buchhandel eine unbegrenzte Öffnung ohne die Beschränkungen, denen der sonstige Einzelhandel unterliege, erlaube», heißt in einer Erklärung heute aus Mannheim.

Hierfür fehle ein sachlicher Grund. Der Buchhandel diene nicht der Grundversorgung. Die Außervollzugsetzung erfolgt nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst mit Wirkung vom 29. März 2021. Der Landesregierung steht nun frei, ob sie den Gleichheitsverstoß «entweder durch Aufhebung der für den sonstigen Einzelhandel bestehenden Beschränkungen oder durch deren Erstreckung auf den Buchhandel beseitigt». Was bedeutet, dass entweder auch der Buchhandel ebenfalls schließen muss oder allen anderen Einzelhändler die Öffnung erlaubt werden muss.

Der VGH entschied auch über eine Reihe von anderen Anträgen zu Ferienwohnungen und Novemberhilfen, Südafrika-Rückreisende, Gastronomie, Yoga-Studios, Private-SPA-Saunen. In diesen Fällen wurde die Corona-Verordnung weitgehend bestätigt.

Die Mitteilung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg im Wortlaut:

1. Mit Beschluss von heute hat der 1. Senat des VGH auf den Eilantrag eines Möbelhauses aus dem Zollernalbkreis § 2c Abs. 1 Corona-Verordnung mit Wirkung vom 19. März 2021 vorläufig außer Vollzug gesetzt. Die Vorschrift sieht für den «normalen» Einzelhandel, der nicht wie Supermärkte der Grundversorgung der Bevölkerung dient, unter anderem die Verpflichtung zur Vereinbarung von Terminen vor. Zudem begrenzt die Vorschrift die zulässige Kundenzahl auf einen Kunden pro 40 m² Verkaufsfläche, während für den der Grundversorgung dienenden Einzelhandel die zulässige Kundenzahl bei einem Kunden pro 10/20 m² Verkaufs-fläche (§ 13 Abs. 2 Corona-Verordnung) liegt.

Zur Begründung hat der 1. Senat ausgeführt, diese von der Antragstellerin angegriffenen Beschränkungen seien ebenso wie das Stufenkonzept, das an die 7-Tage-Inzidenz von 35, 50 und 100 anknüpfe, voraussichtlich kein unzulässiger Eingriff in die Berufsfreiheit. Denn die Landesregierung dürfe Lockerungen schrittweise vornehmen, um deren Auswirkungen beobachten und bewerten zu können. Die Vorschrift des § 1c Abs. 2 Corona-Verordnung verstoße jedoch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da er dem Buchhandel eine unbegrenzte Öffnung ohne die Beschränkungen, denen der sonstige Einzelhandel unterliege, erlaube. Hierfür fehle ein sachlicher Grund. Der Buchhandel diene nicht der Grundversorgung. Die Außervollzugsetzung erfolgt nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst mit Wirkung vom 29. März 2021, da es der Landesregierung freisteht, ob sie den Gleichheitsverstoß entweder durch Aufhebung der für den sonstigen Einzelhandel bestehenden Beschränkungen oder durch deren Erstreckung auf den Buchhandel beseitigt (1 S 677/21).

2. Der 1. Senat hat mit Beschluss von gestern den Eilantrag des Inhabers einer Schankwirtschaft gegen die fortdauernde Betriebsschließung abgelehnt. Zur Begründung hat er ausgeführt, es bestünden weiterhin erhebliche infektionsschutzrechtliche Gefahren, insbesondere da die Infektionszahlen deutlich anstiegen. Die Entscheidung der Landesregierung, im Rahmen von Lockerungen wegen der besonderen Bedeutung von Schulen und Kitas diese ab dem 22. Februar 2021 teilweise und ab dem 8. März 2021 den Einzelhandel unter Beschränkungen zu öffnen, sei nicht zu beanstanden. Die Landesregierung dürfe grundsätzlich Lockerungen schrittweise vornehmen, um deren Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen beobachten und bewerten zu können (1 S 732/21).

Aus diesen Gründen hat der Senat auch die Untersagung des Betriebs einer Private-Spa-Sauna (Beschluss vom 16.03.2021, 1 S 676/21), eines Yogastudios (Beschluss vom 12. März 2021, 1 S 680/21) und der Vermietung von Ferienwohnungen (Beschluss vom 22. März 2021, 1 S 649/21) als voraussichtlich rechtmäßig angesehen und Eilanträge abgelehnt.

Im genannten Verfahren des Betreibers einer Private-Spa-Sauna hat der 1. Senat auch den Antrag, den Betrieb unter den Auflagen zuzulassen, dass die Nutzung der Sauna nur Personen mit wirksamem Impfnachweis und/oder der Vorlage eines tagesaktuellen negativen Covid-19-Schnell- oder Selbsttests zugänglich gemacht wird, abgelehnt. Nach dem aktuellen Stand der virologischen Forschung sei noch nicht ausreichend untersucht, ob eine erfolgte und abgeschlossene Impfung gegen SARS-CoV-2 nicht nur vor einer schweren Erkrankung, sondern auch vor der Weitergabe des Virus schützt (1 S 676/21; vgl. hierzu auch die Pressemitteilung vom 18. März 2021 zum Gastronomiebetrieb in einer Senioreneinrichtung).

Im genannten Verfahren des Vermieters von Ferienwohnungen hat der 1. Senat ausgesprochen, dass das Verbot, Ferienwohnungen gegen Entgelt zu vermieten, auch angesichts des Umstandes, dass der Antragsteller mangels Gewerbeschein weder Novemberhilfen noch Dezemberhilfen noch Überbrückungshilfe III beantragen und erhalten könne, verhältnismäßig sei. Zwar begründe die Ankündigung von Novemberhilfen durch die Bundesregierung grundsätzlich einen Vertrauenstat-bestand für die von den Betriebsuntersagungen Betroffenen, solche Zahlungen beantragen und nach Antragsprüfung in angemessener Zeit erhalten zu können. Dabei sei dieser Vertrauensschutz in seinem Umfang deswegen begrenzt, weil die Ende Oktober/Anfang November 2020 von der Bundesregierung zugesagten Novemberhilfen noch der näheren Ausgestaltung bedurft hätten und dies für den Bürger bei objektiver Betrachtung auch deutlich erkennbar gewesen sei. Daher sei der Bund voraussichtlich jedenfalls dazu befugt, nach der Zusage der sog. Novemberhilfen Ende Oktober/Anfang November 2020 die Durchführung der Zusagengewährung auszugestalten und dabei die Antragsberechtigung im Rahmen des Zugesagten zu präzisieren und Randbedingungen geringfügig anzupassen. Für die Gruppe der Vermieter von Ferienunterkünften, die ihre Unterkünfte vermieten, ohne insoweit eine Gewerbeanmeldung nach § 14 GewO durchgeführt zu haben, da es sich bloß um die Verwaltung eigenen Vermögens handele, sei ein schützenswertes Vertrauen darauf, staatliche Hilfen beantragen und erhalten zu können, jedoch allenfalls in geringfügigem Umfang entstanden. Denn die Hilfen seien auf Fälle des gewerblichen und wirtschaftlichen Handelns gerichtet und dürften daher Einbußen bei der «bloßen» Verwaltung von Vermögen unberücksichtigt lassen (1 S 649/21).

3. Mit Beschluss vom 18. März 2021 (1 S 872/21) hat der 1. Senat § 1 Abs. 2 der Corona-Verordnung Einreise-Quarantäne in der Fassung vom 24. Februar 2021 insoweit vorläufig außer Vollzug gesetzt, als er eine über einen Zeitraum von zehn Tagen nach Einreise hinausgehende Verpflichtung zur Quarantäne bestimmt. Die Vorschrift sieht für die Einreise aus einem Virusvarianten-Gebiet eine 14-tägige Quarantänepflicht vor. Hiergegen wandten sich aus Südafrika kommende Antrag-steller erfolgreich mit einem Eilantrag.

Zur Begründung hat der 1. Senat ausgeführt, es fehlten derzeit nachvollziehbare wissenschaftliche Gründe dafür, bei der Einreise aus einem Virusvarianten-Gebiet - anders als bei der Einreise aus einem Risikogebiet, für die eine Absonderung für einen Zeitraum von zehn Tagen vorgeschrieben ist - die Pflicht einer Absonderung für einen Zeitraum von 14 Tagen zu bestimmen. Der Antragsgegner habe solche Erkenntnisse nicht benannt, auch für den Senat seien sie nach den Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts nicht erkennbar. Aufgrund der erhöhten Gefährlichkeit der Virusvarianten halte es der Senat jedoch nicht für ausgeschlossen, dass die Landesregierung andere, auch aus Sicht der betroffenen Bürger schärfere Regelungen als nach einer Einreise aus einem «bloßen» Risikogebiet erlasse, beispielweise auch durch eine längere Absonderungsdauer, falls Erkenntnisse zu einer längeren Inkubationszeit bei Virusvarianten vorgelegt würden, oder durch Vorsehen einer Testpflicht zum Ende der Quarantänezeit nach Einreise aus einem Virusvarianten-Gebiet.


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