Gastkommentar

Julian Assange in London vor Gericht – Gastkommentar von Christina Lipps

Julian Assange in London vor Gericht – Gastkommentar von Christina Lipps
Der Prozess gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange wurde gestern in London fortgesetzt. Foto: Archiv

Bild Christina Lipps Gastkommentar von Christina Lipps
08.09.2020, 00:00 Uhr



Baden-Baden In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt, der Künstler und Aktivist Gerd Weismann und Thomas Bippes, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.

Christina Lipps ist Sprecherin der attac-Regionalgruppe Baden-Baden.

Kommentar: Christina Lipps Seit gestern findet in London, im Gerichtsgebäude «Old Bailey», die Fortsetzung des Prozesses um die Auslieferung von Julian Assange an die USA statt. Julian Assange wird von den USA in 18 Anklagepunkten der Spionage und des Landesverrats beschuldigt und mit Gefängnisstrafe bis zu 175 Jahren oder sogar der Todesstrafe bedroht.

Dieser Tag hat eine sehr lange Vorgeschichte. Sie begann 2007 mit der Eröffnung der Internet-Plattform «Wikileaks» durch den australischen Computerfreak und Hacker Julian Assange. Wikileaks war damals die erste Plattform, die Whistleblowern die Möglichkeit bot, Dokumente über Missstände oder Verbrechen anonym zu veröffentlichen. Auf Wikileaks wurden in den folgenden Jahren Hundertausende von Dokumenten veröffentlicht – allesamt echt und wahrheitsgetreu –, durch die die Welt zum Beispiel von schweren Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan und Irak erfuhr, von Wahlbetrug und -Manipulation, von den Haftbedingungen in Guantanamo und vieles andere mehr.

Während Julian Assange in einem Teil der Weltöffentlichkeit wie ein Star gefeiert wurde, zog er den Hass US-amerikanischen Regierungs- und Armeekreise auf sich. Während eines Aufenthalts in Schweden 2010 begann sich die Schlinge um seinen Hals zuzuziehen: Nach einvernehmlichen Sexualkontakten mit zwei Schwedinnen, die anschließend bei der Polizei einen AIDS-Test von ihm verlangten, bezichtigte die Boulevardpresse ihn der Vergewaltigung. Eine schwedische Staatsanwältin machte sich zur Ausführungsgehilfin und erließ Haftbefehl. Es folgte eine jahrelange Verfolgung durch die schwedische Justiz, die letztendlich erst 2019 (!) den haltlosen Vorwurf fallen ließ.

Mittlerweile hatte sich Julian Assange – vor dem Hintergrund einer drohenden Verfolgung (auch) durch die USA – einer Verhaftung entzogen durch seine Flucht in die Botschaft von Ecuador in London. Dort erhielt er Asyl und die ecuadorianische Staatsbürgerschaft. Nun konnte er die Botschaft aber nicht mehr verlassen, da die britische Justiz ihn verhaften wollte wegen Verletzung einer Melde-Auflage. Diese Ordnungswidrigkeit hatte Assange sich 2012 tatsächlich zuschulden kommen lassen, um der Verhaftung durch die USA zu entkommen.

Bis zum Februar 2019 musste Assange in der Botschaft von Ecuador bleiben, dann wurden ihm von der mittlerweile (USA-freundlichen) neuen Regierung Ecuadors Asyl und Staatsbürgerschaft entzogen und er der britischen Polizei ausgeliefert, die ihn aus der Botschaft holen durfte – auch das eine von unzähligen Gesetzesübertretungen im Fall Assange.

 

Man brachte ihn ins Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London, wo er zu der absoluten Höchststrafe für eine Meldepflichtverletzung verurteilt wurde: zu 10 Monaten Gefängnis, und das in absoluter Isolation. Und als diese 10 Monate vergangen waren, hielt man ihn weiter fest, denn mittlerweile war Coronazeit. Der Prozesstermin bezüglich des Auslieferungsgesuchs der USA wurde von Mai 2020 auf den 7. September verschoben.

Die USA und Großbritannien haben ein bilaterales Abkommen, wonach politische Gefangene nicht ausgeliefert werden dürfen. Das Gericht entscheidet nun darüber, ob Assange ein politischer Gefangener ist. Eigentlich dürfte daran kein Zweifel bestehen, aber die Art, wie bisher mit Assange umgegangen wurde, lässt die schwersten Zweifel an der Neutralität und Unparteilichkeit des Gerichts aufkommen

Die vergangenen Monate und Jahre bedeuteten für Julian Assange psychische Folter, wie der UN-Sonderbeauftragte Nils Melzer festgestellt hat. Die dauerhafte Isolation, die ständige Unsicherheit und die allgegenwärtige Überwachung haben Julian Assange gezeichnet – er ist abgemagert und krank, er hat schwere Konzentrationsprobleme.

Wenn Julian Assange an die USA ausgeliefert und dort verurteilt werden würde, wäre das eine Katastrophe für die Menschenrechte auf freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit. Kein Journalist könnte mehr sicher sein, dass USA-kritische Berichterstattung nicht zu einer Auslieferung und Verurteilung führen würde – und wer würde das schon auf sich nehmen?

Die attac-Gruppe Baden-Baden hat sich des Falles angenommen und seit Dezember 2019 wöchentliche Mahnwachen durchgeführt. Bei insgesamt 31 Mahnwachen bisher wurden 400 Euro für die juristische Unterstützung gesammelt, sowie zirka 250 Unterschriften unter einen Brief ins Gefängnis an Julian Assange. Vor allem aber wurde damit der Fall Assange und die Bedrohung der Meinungs- und Pressefreiheit allgemein bekannt gemacht.


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