Zukunft der Geburtenhilfe

Keine Geburten mehr in Rastatt? – Personalknappheit auf Entbindungsstationen – Geburtenhilfe soll zentral in Baden-Baden bleiben

Keine Geburten mehr in Rastatt? – Personalknappheit auf Entbindungsstationen – Geburtenhilfe soll zentral in Baden-Baden bleiben
Klinikum Mittelbaden Rastatt. Foto: goodnews4-Archiv

Baden-Baden/Rastatt, 20.10.2021, Bericht: Redaktion Mit dem nahenden Ende der Corona-Pandemie stellt sich im Klinikum Mittelbaden die Frage, ob es künftig noch Geburten in der Rastatter Klinik geben soll. Während der Pandemie wurde die Geburtenhilfe in der Klinik in Baden-Baden-Balg zentriert.

Personalknappheit bei Fachärzten für die Entbindungsstationen und Probleme bei der Besetzung von Hebammenstellen sind wesentliche Faktoren, weshalb die Geburtenhilfe in Rastatt wohl nicht mehr fortgeführt werden wird. in einer ausführlichen Erklärung nimmt das Klinikum Mittelbaden Stellung und erläutert de Grundlagen einer Entscheidung in dieser Sache. Dazu gehört auch, dass die Rastatter Entbindungsklinik aufgrund ihrer geringen Geburtenzahl von vorneherein in die Kategorie mit der höchsten Sterblichkeit und Morbidität Neugeborener einzuordnen wäre.

Die Erklärung der Klinikum Mittelbaden gGmbH im Wortlaut:

Das Klinikum Mittelbaden befindet sich seit mehreren Jahren in einem Prozess der Verbesserung von Angebot und Qualität akutmedizinischer Leistungen, mit dem Ziel einer bestmöglichen Versorgung der Patientinnen und Patienten in Mittelbaden. Innerhalb dieses Prozesses stellt die Corona-Pandemie eine tiefgreifende Zäsur dar, auf welche Geschäftsführung, Aufsichtsrat und Gesellschafter reagieren mussten, um handlungsfähig zu bleiben und um für die behandlungsbedürftigen Patientinnen und Patienten die notwendige intensivmedizinische Behandlung vorhalten zu können.

Diese Anforderungen machten bereits zu Beginn der Coronakrise, Mitte März 2020, Änderungen des Versorgungsangebots erforderlich. Die Geburtshilfe wurde am Standort Balg konzentriert. In der Rastatter Klinik wurde die ehemalige Geburtenstation als Reservekapazität für Intensivbetten in der Corona-Pandemie vorgehalten. Es zeichnet sich jedoch ein Ende dieser bestehenden notwendigen Vorhaltung ab und damit verbunden die Frage nach einer Fortführung der Rastatter Geburtshilfe. «Aber könnten alle hierfür notwendigen Kriterien weiterhin erfüllt werden? Wäre eine Versorgungssicherheit noch gegeben?» Diese Fragen stellen sich die Gesellschafter – Aufsichtsratsvorsitzende Margret Mergen und ihr Stellvertreter Dr. Jörg Peter – und die Geschäftsführung des Klinikums Mittelbaden.

 

Die Patientensicherheit steht an erstere Stelle. Dafür wird qualifiziertes Personal benötigt. Außerdem müssen Strukturanforderungen und vorgegebene Leitlinien erfüllt werden.

Eine wohnortnahe Versorgung alleine ist nicht gleichzusetzen mit hoher Qualität. Neue Entwicklungen während der Pandemiepause haben zu einer neuen Ausgangssituation geführt. So verschärft der im Januar 2020 abgeschlossene neue Tarifvertrag mit dem Marburger Bund die Personalvorgaben und begrenzt Bereitschafts- und Wochenenddienste. Dies führt zu Personalknappheit auf der Entbindungsstation, was wiederum in eine unbefriedigende Versorgung von Mutter und Kind mündet. Auch die neue Hebammenausbildung trägt zur schwierigen Personalsituation bei und somit zur reduzierten Betreuung werdender Eltern und derer Neugeborener. Seit September 2020 werden Hebammen in einem Studium ausgebildet. Sie durchlaufen Praxisphasen in verschiedenen Klinikstationen und sind nicht mehr durchgehend – wie bisher – im Kreißsaal einsetzbar.

Was nutzt eine Entbindungsstation ohne Fachkräfte?

Eine Befragung im Rahmen der Bestandsanalyse hat gezeigt, dass in Baden-Württemberg mehr als 54 Prozent Probleme bei der Besetzung von Hebammenstellen haben, 44 Prozent bei der Besetzung von Stellen für Fachärzt/Innen und 36 Prozent von Stellen für Assistenzärzt/Innen im Fachgebiet Geburtshilfe. Besonders gravierend waren diese Probleme für alle drei Berufsgruppen in der Region Nordschwarzwald. In der Rastatter Klinik waren die Geburtenzahlen in den letzten Jahren deutlich gesunken. 2017 lagen sie noch bei 583 Geburten. Für 2020 wurden 438 Geburten erwartet, nachdem bis März 90 Geburten stattgefunden hatten. In einer Klinik mit weniger als 500 Geburten pro Jahr ist die Wahrscheinlichkeit eines Todesfalls eines Neugeborenen im Vergleich zu einer Geburtsklinik mit über 1.500 Geburten 3,5-fach höher. Auch bei Verlegung eines Neugeborenen in eine Kinderklinik ist der Faktor noch 2,9-fach erhöht. Diese im Qualitätsmonitor 2019 veröffentlichten Ergebnisse aus der Perinatalmedizin bezeugen, dass die Todesrate von Neugeborenen in kleinen Kliniken signifikant höher ist als in größeren Kliniken. Es ist also nicht damit getan, Geburtshilfe auf niedrigem Niveau überall vorzuhalten. Benötigt wird die Bündelung der Kräfte in einem größeren Zentrum, welches Mutter und Kind eine adäquate Versorgung, auch bei nicht vorhersehbaren Komplikationen gewährleistet und über eine neonatologische Grundversorgung rund um die Uhr verfügt. Dies ist in der Balger Klinik, wo sich auch die Kinderklinik des Klinikums Mittelbaden mit einer Frühchenstation befindet, gegeben. Eine Fortführung der Rastatter Geburtenstation hätte aber eine Reduktion der Geburtenzahl in der Balger Klinik zur Folge, was dann auch dort zu einer Verschlechterung der Versorgungs- und Sicherheitskategorie führen würde. Die Rastatter Entbindungsklinik wäre aufgrund ihrer geringen Geburtenzahl von vorneherein in die Kategorie mit der höchsten Sterblichkeit und Morbidität Neugeborener einzuordnen.

Wenn Kreißsäle schließen, kommen starke Gefühle hoch. Diese Emotionen sind verständlich, verstellen aber den Blick darauf, dass «mehr» in der Gesundheitsversorgung noch lange nicht «besser» heißt. Die Paare wollen bei der Geburt maximale Sicherheit und im Notfall die beste Unterstützung. Aber gleichzeitig wollen sie so betreut werden wie bei einer Hausgeburt. Und wenn sich werdende Mütter sorgen, kann sich das negativ auf den Geburtsverlauf und somit die Gesundheit des Kindes auswirken Die neuen Kreißsäle in der Klinik Balg bieten einen hohen Standard, was technische Ausrüstung und Komfort betreffen. Eine sterile Krankenhausatmosphäre gehört hier der Vergangenheit an. Warme Farben und Holzoptik sorgen für eine angenehme Atmosphäre und der Blick aus dem Fenster trifft auf Bäume und grasende Schafe. «Wahrscheinlich ist das der schönste Kreißsaal der Rheinebene», sagt der leitende Arzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Dr. Michael Wannenwetsch.

Auch Schwangere, die mit Corona infiziert sind, können in der Balger Klinik ihr Kind zur Welt bringen. Für sie wurde ein abgetrennter Bereich geschaffen, in dem sie nur für sie abgestellten Schwestern und Hebammen begegnen. «Das Interesse an den neuen Räumen ist groß», stellt Thomas Iber, der medizinische Geschäftsführer des Klinikums Mittelbaden fest. «Die Balger Geburtenstation hat eine deutliche Attraktivitätssteigerung für Patienten/Innen und Mitarbeiter/Innen erfahren», fügt er hinzu.

Mit einer Zentralisierung auf eine Entbindungsklinik in Balg kann das Klinikum Mittelbaden allen Betroffenen die höchste Professionalität anbieten. Mit circa 2.000 Geburten pro Jahr und einem Perinatalzentrum der Versorgungsstufe 2 ist ein besonders hohes Versorgungsniveau von kinderärztlicher wie auch frauenärztlicher Seite gewährleistet.


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