Regierungsinformation im Landtag

Komplette Rede von Kretschmann hier – „Nach wie vor dramatische Lage“ – Ministerpräsident nennt sieben neue Corona-Maßnahmen

Komplette Rede von Kretschmann hier – „Nach wie vor dramatische Lage“ – Ministerpräsident nennt sieben neue Corona-Maßnahmen
Ministerpräsident Winfried Kretschmann heute im Landtag von Baden-Württemberg.

Bild Nadja Milke Bericht von Nadja Milke
26.11.2020, 11:35 Uhr



Stuttgart Die gute Nachricht sei, dass die Maßnahmen des Lockdowns wirken, die schlechte Nachricht, dass die Infektionszahlen immer noch zu hoch seien, fasste Winfried Kretschmann die Corona-Lage aus seiner Sicht zusammen. «Wir befinden uns nach wie vor in einer dramatischen Lage», gab er heute Vormittag in Stuttgart keine Entwarnung bei seiner Regierungsinformation im Landtag im Nachgang der Konferenz mit der Bundeskanzlerin und den Länderchefs zur Corona-Pandemie.

Der Ministerpräsident nannte sieben Punkte mit den wichtigsten Änderungen:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
als ich Ende Oktober hier vor Ihnen stand, habe ich gesagt: «Wir haben Alarmstufe Dunkelrot.» Die Lage spitzte sich damals dramatisch zu: Die Infektionszahlen wuchsen exponentiell. Unsere Gesundheitsämter waren überlastet. Die Zahl der Intensiv-Patienten verdoppelte sich fast im Wochentakt. Es drohte ein Kollaps der Krankenhauskapazitäten innerhalb weniger Wochen. Es bestand die Gefahr, dass wir die Kontrolle über die Pandemie verlieren. Um eine akute nationale Gesundheitsnotlage abzuwenden, hatten sich Bund und Länder in einer gemeinsamen Kraftanstrengung auf weitreichende Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens verständigt.

Die gute Nachricht ist: Die Maßnahmen wirken. Wir konnten den exponentiellen Anstieg bremsen und den Kollaps des Gesundheitssystems vermeiden. Das ist ein wichtiger Zwischenerfolg. Aber wir müssen auch die schlechten Nachrichten zu Kenntnis nehmen: Die Infektionszahlen sind immer noch viel zu hoch. Die Kontaktnachverfolgung ist weiterhin in den meisten Fällen nicht mehr möglich. Und es kommen immer noch sehr viele Menschen mit schweren Covid-Verläufen ins Krankenhaus. Die Intensivstationen füllen sich immer mehr.

Das macht deutlich: Wir befinden uns nach wie vor in einer dramatischen Lage. Wir haben die notwendige Trendwende noch nicht erreicht. Die Maßnahmen reichen noch nicht aus. Es gibt keinen Grund zur Entwarnung! Um die Infektionszahlen deutlich zu senken und die zweite Welle zu brechen, gibt es deshalb nur einen Weg: Noch weniger Kontakte, und noch mehr Sicherheit bei Kontakten, wenn diese unvermeidbar sind. Deshalb habe ich mich mit meinen Länderkollegen und der Kanzlerin gestern erneut intensiv beraten.

Wir haben beschlossen, die geltenden Regeln zu verlängern und zu verschärfen, und klare Signale für die Weihnachtszeit zu geben, damit sich alle frühzeitig darauf einstellen können.

Die neuen Regeln treten in Baden-Württemberg am 1. Dezember in Kraft und gelten erstmal bis zum 20. Dezember.

Zunächst zu den Verlängerungen und Verschärfungen:

Erstens: Es dürfen sich nur noch höchstens 5 Personen aus maximal zwei Haushalten treffen. Kinder bis zum Alter von 14 Jahren werden dabei nicht mitgerechnet. Um Unklarheiten zu vermeiden: 5 ist die Obergrenze. Diese Obergrenze zählt, auch wenn zwei Haushalte aus mehr als 5 Personen bestehen.

Zweitens: Es gilt eine Maskenpflicht in allen Innenstädten mit Publikumsverkehr und überall, wo Menschen sich außerhalb der eigenen Privaträume nicht nur flüchtig begegnen.

Drittens: In Geschäften bis zu 800 Quadratmeter Ladenfläche darf sich höchstens 1 Person pro 10 Quadratmeter aufhalten. In größeren Geschäften über 800 Quadratmeter höchstens 1 Person pro 20 Quadratmeter Verkaufsfläche. Für Einkaufszentren wird die Gesamtverkaufsfläche angesetzt.

Viertens: Betriebe und Einrichtungen, die derzeit geschlossen sind, bleiben geschlossen. Das ist für die Betroffenen extrem schmerzhaft. Aber es geht leider nicht anders, da wir die Kontakte so gut wie möglich reduzieren müssen. Um den betroffenen Unternehmen, Selbstständigen, Vereinen und Einrichtungen zu helfen, hat der Bund zugesagt, die finanzielle Unterstützung für den Zeitraum der Schließungen im Dezember weiterzuführen. Dabei will er erneut das Prinzip der Novemberhilfen anwenden. In die Förderprogramme werden auch die Schausteller und Marktkaufleute aufgenommen.

Fünftens: Für Unternehmen, deren Betrieb erheblich eingeschränkt ist, werden die Stützungsmaßnahmen im Rahmen der Überbrückungshilfe III bis Mitte kommenden Jahres verlängert. Dabei hat der Bund zugesagt, die Konditionen für die hauptbetroffenen Wirtschaftsbereiche zu verbessern – vor allem für die Kultur- und Veranstaltungswirtschaft, für die Soloselbständigen und für die Reisebranche. Dafür haben wir uns als Länder stark gemacht.

Sechstens: Hochschulen und Universitäten sollen auf digitale Lehre umstellen, wenn immer es möglich ist.

Siebtens: Bei besonders extremen Infektionslagen mit einer 7-Tage-Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und diffusem Infektionsgeschehen sollen die bestehenden Maßnahmen deutlich erweitert werden.

Nun zu den Kitas und Schulen: Wir alle waren uns einig, dass Kitas und Schulen höchste Priorität haben. Sie sind nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch des sozialen Miteinanders und der persönlichen Entwicklung. Dieses Miteinander ist gerade für Kinder und Jugendliche essenziell. Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen. Ihre Entfaltung ist deswegen ein ganz besonders hohes Gut. Dazu kommt: Familien mit Kindern hat der Lockdown im Frühjahr besonders hart getroffen.

Eltern und gerade Alleinerziehende mussten die Betreuung ihrer Kinder, das Home Schooling und ihren Job unter einen Hut zu bringen. Das hat viele an den Rand der Erschöpfung gebracht. Aus diesen Gründen haben wir beschlossen, Kitas und Schulen weiter offenzuhalten. Wir werden an Schulen verstärkt Schnelltests einsetzen, die der Bund uns in wachsender Zahl zur Verfügung stellen wird. Zum einen, um das Infektionsgeschehen noch gezielter zu begrenzen. Zum anderen, können wir so die Quarantänepflicht für Schülerinnen und Schüler auf fünf Tage verkürzen. Am fünften Tag erfolgt ein Schnelltest. Wer negativ getestet wurde, darf wieder zur Schule gehen. An den Vorschriften zum Maskentragen in der Schule ändert sich in Baden-Württemberg nichts, da unsere Regeln hier bereits guten Schutz bieten. Ab einer 7-Tage-Inzidenz von 200 pro 100.000 Einwohner werden weitergehende Maßnahmen an den Schulen ab Jahrgangsstufe 8 getroffen, um die Einhaltung der AHA-Regeln im Unterricht zu gewährleisten. Zusätzlich dazu werden wir in Baden-Württemberg in den kommenden Monaten Millionen von besonders sicheren FFP2-Masken an die Lehrkräfte und an vulnerable Gruppen verteilen.

Meine Damen und Herren, außerdem wollen wir den Menschen Planungssicherheit für die Weihnachtstage geben. Denn Weihnachten ist für die meisten von uns eine besondere Zeit, in der wir in der Familie zusammenkommen und unsere Lieben treffen. Dem wollen wir gerecht werden. Deshalb haben wir vereinbart, in der Weihnachtszeit ab dem 23. Dezember Treffen im engsten Kreis mit bis zu 10 Personen zu ermöglichen. Dazugehörige Kinder bis 14 Jahren sind davon ausgenommen. Klar ist allerdings auch: Wir müssen bestmögliche Vorkehrungen treffen, damit Weihnachten und Silvester nicht zu Startpunkten einer neuen Infektionswelle werden. Deshalb ziehen wir die Weihnachtsferien in Baden-Württemberg nach vorne. Sie beginnen nun bereits am 19. Dezember. Ich bitte alle Bürgerinnen und Bürger, diese zusätzliche freie Zeit dazu zu nutzen, sich selbst freiwillig in Quarantäne zu begeben, wenn es ihnen möglich ist. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber bitten wir, dies durch Betriebsferien oder großzügige Home-Office-Regelungen zu unterstützen. Durch eine freiwillige Quarantäne können wir all diejenigen wirksam schützen, mit denen wir uns an Weihnachten treffen wollen. Um Ansteckungen in Gottesdiensten zu vermeiden, werden wir auf die Religionsgemeinschaften zugehen. Religiöse Zusammenkünfte mit dem Charakter von Großveranstaltungen müssen vermieden werden.

Abschließend noch ein Wort zum Thema Silvester-Feuerwerk: Raketen sind nicht ansteckend. Sie haben mit dem Pandemiegeschehen erst einmal nichts zu tun. Allerdings kennen wir alle die Situation, dass sich an Silvester auf beliebten Plätzen große Gruppen treffen, um gemeinsam kräftig zu böllern und Raketen abzuschießen. Das bringt ein hohes Infektionsrisiko mit sich – und deshalb untersagen wir die Nutzung von Feuerwerk speziell an solchen Orten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der vergangenen Woche haben der Bundestag und der Bundesrat das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz verabschiedet. Das ist ein wichtiger Schritt: Denn das Gesetz gibt uns zusätzliche Rechtssicherheit bei der Bekämpfung der Pandemie. Gerade der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat das zuletzt immer wieder gefordert. Das Gesetz schafft einen klaren Rahmen, der es uns als Landesregierung erlaubt, schnell zu reagieren und alle notwendigen Maßnahmen für den Schutz der Bevölkerung zu ergreifen. Das Gesetz sieht eine Begründungspflicht für alle Verordnungen vor. Das begrüße ich. In Baden-Württemberg haben wir schon der Sechsten Änderungsverordnung eine ausführliche Begründung beigefügt. Denn uns ist es wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger verstehen, warum wir welche Einschränkungen vornehmen. Zudem stärkt das Gesetz die Rolle des Bundestags. Vor allem Baden-Württemberg war Vorreiter bei der Einbeziehung des Parlaments in die Pandemiebekämpfung. Und weil die Einbeziehung des Parlaments so wichtig ist, bin ich den Regierungsfraktionen für ihren heutigen Entschließungsantrag dankbar. Denn durch einen Beschluss des Landtags bekommen die gestern vereinbarten Maßnahmen eine zusätzliche Legitimation.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses verantwortliche Verhalten und diese Solidarität machen mir Hoffnung. Aber es gibt noch einen weiteren Anlass zur Zuversicht: Der Durchbruch beim Impfstoff ist da! Die fieberhafte Arbeit von tausenden Forschern war von Erfolg gekrönt: Die ersten Impfstoffe stehen kurz vor der Zulassung. Verträge wurden bereits vereinbart und in wenigen Wochen sollten uns schon die ersten Lieferungen erreichen. Noch nie wurde so schnell und so effektiv ein Impfstoff gegen ein so gefährliches Virus entwickelt wie in diesen Tagen. Und wir können auch stolz darauf sein, dass wir in Deutschland mindestens zwei Unternehmen haben – mit CureVac sogar eins aus Baden-Württemberg –, die schon bald einen Impfstoff produzieren werden.

Diese Impfstoffe geben uns ein Licht am Ende dieses langen dunklen Tunnels – denn sie sind der Schlüssel zur schrittweisen Rückkehr zum normalen Leben. Sie zeigen uns: Die Pandemie hat ein Verfallsdatum. Das Ende der Seuche ist absehbar. Aber seien wir realistisch: Bis dahin wird es noch einige Zeit dauern. Denn es wird Monate brauchen, bis genügend Menschen geimpft sind, um die Pandemie wirklich zu stoppen. Schließlich müssen allein in Baden-Württemberg Millionen von Menschen voraussichtlich zweimal geimpft werden. So eine Immunität in der Gesellschaft baut man nicht innerhalb weniger Wochen auf. Das wird Monate dauern. Das ist ein beispielloser logistischer Kraftakt!

Meine Landesregierung geht diese logistische Herausforderung kraftvoll und entschlossen an. Wir tun alles um die freiwilligen Impfungen – und das will ich nochmal betonen, es handelt sich um freiwillige Impfungen, niemand wird gezwungen – so schnell es geht zu ermöglichen. Wir haben am Dienstag eine umfassende Impfstrategie verabschiedet. Die logistischen Vorbereitungen laufen bereits auf Hochtouren.

Während wir hier debattieren, beschafft das Sozialministerium alle notwendigen Materialien – von medizinischer Schutzausrüstung bis zum Impfzubehör. Die notwendige Infrastruktur wird aufgebaut. Wir tun alles, damit wir loslegen können, sobald der erste Impfstoff genehmigt und da ist.

Wie sieht unser Plan konkret aus? Im ersten Schritt werden wir in jedem Regierungsbezirk bis 15. Dezember zwei bis drei große Impfzentren errichten. Der Betrieb wird von 7 Uhr morgens bis 9 Uhr abends laufen. Hier werden am Tag mindestens 1.500 Impfungen durchgeführt werden. Gemeinsam mit den Ministern Lucha und Strobl habe ich am Wochenende einen Probelauf im Impfzentrum in Ulm machen können. Und ich muss sagen: Ich bin schwer beeindruckt, was wir da in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt bekommen. Der ganze Prozess ist professionell durchgetaktet, ohne dabei das Menschliche aus dem Auge zu verlieren. So wird nach der Einlasskontrolle, Registrierung und der allgemeinen Aufklärung über ein Video, jeder Impfwillige ein individuelles Beratungsgespräch mit einem Arzt bekommen, bevor es zur Impfung geht. Außerdem werden wir an diesen Impfzentren auch jeweils fünf mobile Impfteams andocken, die Pflegeheime oder Menschen mit Einschränkungen in ihren eigenen vier Wänden aufsuchen.

In einem zweiten Schritt werden bis zum 15. Januar ein bis zwei Impfzentren in allen Stadt- und Landkreise eingerichtet. Die Standorte für die Kreisimpfzentren werden in den nächsten Wochen ausgewählt und bekannt gegeben. Dort werden über 700 Impfungen pro Tag stattfinden können. Und auch hier werden wir jeweils zwei mobile Impfteams andocken. Sobald es dann die Menge und die Beschaffenheit der Impfstoffe zulassen, werden wir in einem weiteren Schritt, die Impfung dann regulär in den Arztpraxen ermöglichen. Das wird voraussichtlich im Frühsommer soweit sein.

Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um eine logistische Herkulesaufgabe. Alle Ministerien ziehen hier unter Federführung des Sozialministeriums an einem Strang. Wir sind mit allen Akteuren im Gespräch – von den kommunalen Landesverbänden, Unikliniken, Kassenärztlichen Vereinigungen und Ärztekammern bis zu den Messebetreibern, Pharma- und Logistikunternehmen. Diesen Kraftakt können wir als Gesellschaft nur gemeinsam stemmen. Wir setzen alles in Bewegung und stampfen in kürzester Zeit eine Impf-Infrastruktur aus dem Boden.

Dafür möchte ich an dieser Stelle allen Beteiligten herzlich danken – und ganz besonders meinem Sozialminister Lucha: Herzlichen Dank, Sie alle leisten gerade Großes für unser Land!

Wir läuten damit das Ende der Pandemie ein – und damit den Wiedereintritt in das normale Leben, wo wir uns wieder ganz normal die Hand geben können, wo wir uns entspannt mit Freude treffen und ins Stadion oder ins Theater können.

Aber ich sage auch ganz deutlich: Am Ende der Pandemie sind wir noch nicht! Es wäre töricht, jetzt in Euphorie zu verfallen. Sonst würden wir uns wie ein Fallschirmspringer verhalten, der aus Vorfreude über die Landung seinen Fallschirm abwirft.

Wir sind auf einem guten Weg, und das Ziel kommt näher. Bis wir aber dort ankommen, müssen wir uns alle weiter an die Einschränkungen halten, unsere Kontakte minimieren und uns an die bekannten Corona-Regeln halten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Pandemie wird ja oft mit einem Marathonlauf verglichen. Und bekanntlich, sind die letzten Kilometer die schwersten. Genauso geht es uns auch: Wir sind pandemiemüde, erschöpft und haben keine Lust mehr. Aber es bleibt uns nichts anderes übrig, als weiter durchzuhalten. Denn sonst kommen wir nicht ins Ziel. Und ich weiß: Wir können das.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie erneut: Übernehmen Sie weiter Verantwortung. Erklären Sie den Menschen die Brisanz der aktuellen Situation. Und werben Sie weiter dafür, dass die Leute ihre Kontakte auf das Allernötigste beschränken.

Herzlichen Dank und bleiben Sie gesund.


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