Diskussion über Schulöffnung

Kultusministerin Eisenmann schwer unter Beschuss – „Eine Kultusministerin, die sich ohne Zucken anhaltend über die RKI-Empfehlungen hinwegsetzt“ – „Während Corona-Zeit mangelhafte Bilanz vorlegt“

Kultusministerin Eisenmann schwer unter Beschuss – „Eine Kultusministerin, die sich ohne Zucken anhaltend über die RKI-Empfehlungen hinwegsetzt“ – „Während Corona-Zeit mangelhafte Bilanz vorlegt“
Kultusministerin Eisenmann will die Schulen nach den Weihnachtsferien wieder für Präsenzunterricht öffnen. Foto: Kultusministerium

Bild Nadja Milke Bericht von Nadja Milke
29.12.2020, 00:00 Uhr



Stuttgart Während die Schulwelt zwischen den Jahren kurz Atmen hole und sich für die nächste Runde der Schule@Corona im neuen Jahr wappne, würde Kultusministerin Susanne Eisenmann «immer mehr in den Wahlkampf-Modus» schalten, wirft Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzender des Verein für Gemeinschaftsschulen Baden-Württemberg e.V., der Ministerin und CDU-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl 2021 vor.

Diese hatte sich ausdrücklich für eine Aufnahme des Präsenz-Unterrichts nach den Ferien stark gemacht. «Eine Kultusministerin, die sich ohne Zucken anhaltend über die RKI-Empfehlungen hinwegsetzt, im plumpen Versuch, Wählerstimmen zu fischen», wirft der Vereinsvorsitzende der Kultusministerin vor. «Für die Interessen und Bedürfnisse der Schulbeteiligten ist dabei kaum noch Platz – mitten in der Pandemie eine bittere Erkenntnis, die die Schulwelt im Südwesten nachhaltig zu erschüttern droht», erklärte der Vertreter der Gemeinschaftsschulen.

Kritik gab es gestern auch von dem Vorsitzenden der FDP Landtagsfraktion Hans-Ulrich Rülke: «Präsenzunterricht ist nicht zu ersetzen, auch um die Schülerinnen und Schüler nicht zu verlieren, die zu Hause nicht über die technischen Möglichkeiten und die notwendige Präsenz der Eltern verfügen. Das offenbart jedoch umso dringlicher, dass die Kultusministerin in der Bildungsfrage während der Corona-Zeit eine mangelhafte Bilanz vorlegt. Die Digitalisierungsmöglichkeiten der Schulen bleiben weit hinter den Anforderungen zurück, die digitale Lernplattform selbst bleibt Flickwerk und die Schulen sind nicht ausreichend gerüstet, etwa mit Luftfiltergeräten oder passenden Masken. Es bleibt der fatale Eindruck, dass die Ministerin auf Zeit spielt und die Mängel an den Schulen in Vergessenheit geraten sollen, wenn die Situation sich wieder entspannt.»

 

Die Erklärung des Verein für Gemeinschaftsschulen Baden-Württemberg e.V. im Wortlaut:

Es ist fast vier Jahre her, als Kultusministerin Susanne Eisenmann die Begriffe «Qualität» und «Evidenzbasierung» für sich vereinnahmte. Doch offenbar leidet die Kultusministerin in diesen Tagen unter Wahlkampf-Vergesslichkeit – von Qualität ist in der Top-Etage des Kultusministeriums ebenso wenig zu spüren, wie vom Glauben an wissenschaftlich erhobene Fakten. Eine Ignoranz, die bei den Praxisakteuren in der Schulwelt für größtes Entsetzen sorgt.

«Die Menschen in der Schulwelt wissen gar nicht mehr wohin mit ihrer Ungläubigkeit: Eine Kultusministerin, die sich ohne Zucken anhaltend über die RKI-Empfehlungen hinwegsetzt und damit zeigt, dass sie jegliche Evidenzbasierung ad acta legt, im plumpen Versuch, Wählerstimmen zu fischen – daran kann man nur noch verzweifeln», sagt Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzender des Vereins für Gemeinschaftsschulen BW e.V. Wenn sich das Bildungsministerium so offenkundig vom Prinzip der Wissenschaftlichkeit verabschiedet, sei damit das gesamte Bildungsverständnis im Land in seinen Grundfesten erschüttert, so die Bedenken.

Und die Sorge reicht noch weiter: Wie kann sich die Kultusministerin einen Tag nach der Weihnachtsruhe perspektivisch zur Situation an den Schulen äußern? Was treibt sie, sich zu einer Zeitperiode zu äußern, für die das Infektionsgeschehen nicht absehbar ist, zumal über die Feiertage keinerlei verlässliche Zahlen erhoben wurden? Es mehren sich die Stimmen, die Kultusministerin Eisenmann jegliches Interesse an den Schulen im Land und den zugehörigen Menschen absprechen und dieses Bild verdichtet sich. Matthias Wagner-Uhl sieht das als hochgefährliches Fahrwasser, in dem die gesamte Schulwelt in Baden-Württemberg empfindlich Schaden nehmen kann.

Mit ihrem aktionistischen Vorpreschen übergeht die CDU-Spitzenkandidatin erneut die anstehende Runde der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und fährt damit einen isolierten, egoistischen und völlig verantwortungslosen Kurs, dem es an jeglicher faktischer Fundierung mangelt. «Genau diese Absage an Teamplay und auch nur den Hauch eines Interesse am Bedürfnis anderer ist es, was der Schulwelt im Südwesten seit viereinhalb Jahren schwer zu schaffen macht», kommentiert Wagner-Uhl das Geschehen. Dass sich Staatsministerium und Ministerpräsident zunehmend in das Thema einschalten, wird von vielen in der Schulwelt wohlwollend registriert – und doch kann es die groben Schnitzer der Ministerin nicht ausgleichen.

Denn den Verzicht auf Fakten seitens der Kultusministerin monieren die schulischen Interessensvertreterinnen* nicht nur in der Pandemie. Die gesamte fachliche Steuerung des Bildungsgeschehens im Südwesten wirkt seit Amtsantritt erratisch und folgt keiner greifbaren Fundierung: «Die Kultusministerin behauptet hartnäckig, dass Wechselunterricht oder Fernlernunterricht in keiner Form erfolgreich und dem Präsenzlernen per se unterlegen sei, dabei berichten viele Lehrkräfte genau das Gegenteil. Auf welche Erfahrung also beruft sich die Ministerin? Wie kommt sie zu ihren Aussagen? Und inwieweit hat das Kultusministerium überhaupt den Hauch eines Überblicks zur Schule@Corona im Land?», fragt sich Wagner-Uhl.

Tatsächlich geben viele Lehrkräfte an, dass nach ihrer Erfahrung ein Wechselunterricht mit halbierten Klassen wesentlich effektiver sei, als herkömmlicher Regelunterricht. «Wie so oft machen die Rahmenbedingungen den Unterschied», unterstreicht Wagner-Uhl diese Rückmeldungen. Eine Erkenntnis, die nicht neu ist – und doch von der Kultusministerin hartnäckig negiert wird: «Stellen Sie sich vor, Ministerin Eisenmann ginge an dieser Stelle mal in die Verantwortung, dann müsste sie tatsächlich dafür sorgen, dass Klassen- und Lerngruppengrößen abhängig von der jeweiligen Situation vor Ort generell verkleinert werden müssten.»

Eines ist unter Schulpraktikerinnen* wie Bildungswissenschaftlerinnen* jedenfalls Konsens: Schlechter Präsenzunterricht ist qualitativ hochwertigem Distanzlernen meilenweit unterlegen. «Genau deshalb brauchen wir in den Schulen endlich den seit fast vier Jahren angekündigten Qualitätsrahmen Schule, in dem Fachleute längst verbindliche Qualitätskriterien festgehalten haben», fordert Wagner-Uhl. Warum dieser seitens des Ministeriums immer noch unveröffentlicht ist, ist ein weiteres unschönes Rätsel rund um die schwache Performance der Kultusministerin. «Den Schulen würde es in der Schule@Corona sehr helfen, wenn klare Kriterien vorlägen, was zu guter Schule und gutem Unterricht verbindlich dazu gehört – egal ob im Präsenz- oder Distanzlernen», weiß Wagner-Uhl. Doch die Ministerin bleibt Schulen wie Öffentlichkeit das wichtige Orientierungspapier weiterhin schuldig. Da liegt die Vermutung nahe, dass die wissenschaftlich basierten Qualitätsbedingungen nicht in das konservative Weltbild passen wollen.

Die Schulwelt im Südwesten krankt also an zwei verschiedenen Zeithorizonten: Neben der langfristig angelegten Aufgabe, die Schulen ins 21. Jahrhundert zu führen, an der die Kultusministerin kläglich gescheitert ist, erwarten die Familien von 1,5 Millionen baden-württembergischen Schülerinnen*, deren rund 120 000 Lehrerinnen* sowie alle anderen Schulbeteiligten kurzfristig Klarheit und eine saubere Linie beim Management der Schule@Corona. Dazu gehört ganz aktuell die Entwicklung von inzidenzbasierten Szenarien, die skizzieren, was auf die Schulen nach den Weihnachtsferien je nach Corona-Lage zukommt. Und dazu gehören auch endlich Empathie und Anerkennung für die Beteiligten, fordert Vereinsvorsitzender Wagner-Uhl: «Die Landesregierung muss endlich den außerordentlichen Einsatz und die angesammelte Expertise rund um die Schule@Corona sichtbar wertschätzen – und für die Bewältigung der Pandemie effizient nutzen.» Mit einem plumpen Schriftzug unter jedem Pandemieschreiben, der bestenfalls für zynische Abreißzettel im Lehrerzimmer taugt, ist es ganz sicher nicht getan!

Zur Bewältigung der Pandemie erwarten wir von der Kultusministerin zudem:
• Die Ableitung von Maßnahmen korreliert am Infektionsgeschehen und basiert auf wissenschaftlicher Expertise.
• Eine Orientierung an den RKI-Empfehlungen für die Organisation des Unterrichts nach den Weihnachtsferien und damit ein klares Bekenntnis zu Wissenschaftlichkeit.
• Bei der Aufnahme von Präsenzunterricht einen eingeschränkten Schulbeginn mit Wechselunterricht in Klassenstufe 1 sowie den Abschlussklassen, um in den Schulen Abstandsregeln einigermaßen einhalten zu können.
• Bei ggf. steigenden Präsenzanteilen weiterhin das Festhalten und damit die Übung von Wechselunterricht.
• Den Einsatz von Studierenden, um benachteiligten oder sogar abgehängten Lernenden ein Intensivangebot per Videocoaching geben zu können und ggf. besonders belastete Kollegien zu unterstützen.
• Die zeitnahe Erstellung von geeigneten Materialien für den Fernlernunterricht in der Verantwortung der Qualitätsinstitute ZSL und IBBW
• Eine Anpassung der Prüfungsanforderungen für die Prüfungsabsolventinnen* 2021 für alle schulischen Prüfungen.
• Eine begleitende und intensive Förderunterstützung durch Studierende für die kommenden zwei Jahre.
• Das Bekenntnis zum Einsatz von Schutzmasken in der Grundschule und damit der Respekt von Kolleginnen* in der Primarstufe.


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