Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ – CDU Baden-Baden verteilt das Grundgesetz – „…dass sie es nicht nur verteilen, sondern auch gelesen haben“

Baden-Baden, 25.05.2024, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leserin Tina Tischer-Suphukhieo Stellung zu dem goodnews4-Bericht Baden-Badener CDU und das Grundgesetz – Wahlkampf morgen auf dem Augustaplatz.

Tina Tischer-Suphukhieo kandidiert auf der Liste der FDP für die Kommunalwahl in Baden-Baden.*

Zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes verteilt die CDU-Baden-Baden das Grundgesetz auf dem Augustaplatz. Gerade im Hinblick auf das neue Parteiprogramm der CDU, wünsche ich mir, dass sie es nicht nur verteilen, sondern auch gelesen haben. Ich habe es gelesen und mich stört daran, dass auch 75 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes der Schutz lesbischer, schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher sowie weiterer queerer Menschen (LSBTIQ*) weiterhin unvollständig bleibt.

 

Das Grundgesetz ist die demokratische Antwort auf die nationalsozialistischen Verbrechen. Die Bundesrepublik feiert mit 75 Jahren Grundgesetz (GG) einen wesentlichen demokratischen Meilenstein. Allerdings besteht auch die Lücke im expliziten Rechtsschutz von LSBTIQ* als Opfer des NS-Regimes im Antidiskriminierungsartikel 3Abs. 3 GG bereits seit 75 Jahren. Die hier formulierten Diskriminierungsverbote sollen die Verfolgung von Opfergruppen des NS für immer verhindern. Dazu gehörten auch LSBTIQ*. Dennoch wurden sexuelle und geschlechtliche Identität 1949 nicht in den Katalog der Diskriminierungskategorien aufgenommen, denn männliche Sexualität stand auch nach dem Ende des NS-Regimes weiterhin unter Strafe. Erst 1994 erfolgte eine vollständige rechtliche Gleichstellung. Die Aufnahme von LSBTIQ* als Opfergruppe des NS in Artikel 3 Abs. 3 GG wäre eine konsequente Weiterführung der queersensiblen Gedenkpolitik, die der Deutsche Bundestag durch das Gedenken an die queeren Opfer des NS-Regimes am 27. Januar 2023 voranbrachte. Zugleich würde der historische Kampf um Gleichberechtigung von LSBTIQ* auch nach 1949 sichtbar. Den feierlichen Geburtstag des Grundgesetzes muss die Bundesregierung unter Olaf Scholz zum Anlass nehmen, diesen Anfangsfehler zu korrigieren – wie im Koalitionsvertrag versprochen. Denn: Minderheitenrechte sind Kernbestandteil einer Demokratie. Ohne deren Garantie ist Demokratie nicht fertig.

Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht das Schutzniveau von sexueller Identität über Art. 3 Abs. 1 GG dem der explizit in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Kategorien gleichgestellt. Zudem hat es das verfassungsrechtliche Verständnis von Geschlecht um die Geschlechtsidentität erweitert und damit trans*- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen in den Diskriminierungsschutz einbezogen. Nur eine explizite Aufnahme von sexueller und geschlechtlicher Identität in Art. 3 Abs. 3 GG sichert den Schutz von LSBTIQ* jedoch auch unabhängig von einer etwaigen Änderung dieser Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Auswirkungen eine mögliche Machtübernahme rechtspopulistischer und queerfeindlicher Parteien in Deutschland hätte. Die Einschränkung der Rechte von Regenbogenfamilien durch die rechte Regierung in Italien sollte hier ein warnendes Beispiel sein. Durch die Verbesserung des Rechtsschutzes nach dem Vorbild der EU-Grundrechtecharta und einigen Landesverfassungen könnten bereits erstrittene Gleichstellungserfolge beispielsweise die Ehe für Alle nicht einfach wieder rückgängig gemacht werden. Unser Grundgesetz sturmfest zu machen, ist dringender denn je. Denn: Queeres Leben wird immer öfter angegriffen, ob im Netz oder auf der Straße und sogar Behörden.

Mit Freude & Respekt

Tina Tischer-Suphukhieo
Baden-Baden


*Anmerkung der Redaktion: Laut «Spielregeln für Leserbriefe an goodnews4.de» sind Leserbriefe von politischen Mandats- und Funktionsträgern nicht vorgesehen, es sei denn sie antworten auf einen Leserbrief. Bei Kandidaten für die Kommunalwahl handelt es sich nicht um politische Mandats- und Funktionsträger. Im Sinne der Transparenz weist goodnews4.de jedoch auf die Kandidatur hin.


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