Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ – Hermann Göring am 12. November 1938: „Ich möchte kein Jude in Deutschland sein“ – Wer möchte 2019 Jude in Baden-Baden sein?

Baden-Baden, 25.02.2019, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leserin Gertrud Mayer Stellung.

Das Gedenken an den Holocaust in Deutschland fand hier in Baden-Baden keine besondere Erwähnung oder gar eine Stunde des Nachdenkens, die der Stadt gut angestanden hätte. Im Deutschen Bundestag in Berlin sprach dazu am 31. Januar 2019 Saul Friedländer, 1932 als Sohn einer jüdischen Familie in Prag geboren. Er ist einer der letzten Überlebenden der Shoah, zudem einer der renommiertesten Historiker des Nationalsozialismus. Er musste sich in einem Briefwechsel mit dem Historiker Martin Broszat sagen lassen: Er, Friedländer, können nicht objektiv über das «Dritte Reich» schreiben, weil er doch Jude und somit befangen sei.

Der schlohweiße alte Herr redete in der Sprache seiner Kindheit, die er über viele Jahre vergessen hatte und erst später zurück erwarb. «Der Jude wird ausgerottet», war 1942 der Titel einer Niedersächsischen Tageszeitung. Saul Friedländer sprach über all diese erlebten Grausamkeiten, die jeden eigentlich ins Herz treffen mussten. Es gibt kein positives Adjektiv für diese Rede − sie war einmalig!

Der Antisemitismus wächst erschreckend in einer Exponentialkurve überall in der Welt, speziell hier in Deutschland und auch in Baden-Baden. Antisemitismus ist ein Gradmesser in der Gesellschaft: Vernunft und Anstand werden beiseitegeschoben, je offener man ihn äußern kann und so sich selbst aus der zivilisierten Gesellschaft ausschließt. Gefordert ist eine wahre Demokratie von den Volksvertretern, die Menschlichkeit, Toleranz und Freiheit erkämpfen, erhalten und für die Zukunft sichern sollen.

«Der heutige Hass auf die Juden ist ebenso irrational, wie er es immer schon war ... Antisemitismus ist nur eine der Geißeln ... Fremdenhass und … Nationalismus … sind auf dem Vormarsch.» Baden-Baden ist leider keine Ausnahme, wenn es um die Rückerstattung des Grundstücks geht, auf dem 1938 die Synagoge verbrannt wurde − teils unter lebhaftem Beifall der gaffenden Bürger. Die zerstörte Synagoge muss am alten Platz in der Stephanienstr. 5 wiederaufgebaut werden!

Die Konferenz jüdischer Rabbiner am 20. November 2016 erklärt dies aus dem Talmud und belegt für uns letztlich Unwissenden die zwingenden Gründe für den Wiederaufbau der Synagoge am angestammten Platz:
• Verbot, Teile des Tempels zu zerstören.
• Die Steine bleiben selbst nach dem Abriss der Synagoge heilig, hier: die Fundamente sind unter dem Parkplatz des BT noch erhalten.
• Synagogen, die zerstört sind, bleiben heilig. Es gibt KEINE Ausnahme!
• Das Synagogengrundstück darf niemals neu bebaut werden und schon gar nicht mit Autos zugeparkt werden.
• Falls nach der Zerstörung dort Unkraut wächst, reißt man dieses aus und lässt es dort als Zeichen der Trauer, damit die Leute dies sehen und sich um einen Neubau bemühen.
• Eine Synagoge, die gewaltsam gestohlen wurde, bleibt heilig. Denn Boden kann NICHT gestohlen werden.

Im Falle der sich als Eigentümer des Grundstücks Stephanienstr. 5 fühlenden Verlegerfamilie wäre das also Diebstahl, oder? Fazit: Baden-Baden und die «Alleineigentümerfamilien» müssen sich bemühen, den Ort zu bewahren, an dem sich früher die Synagoge ehrenvoll erhob. Sie müssen die heiligen Steine an ihrem Ort belassen. Ebenso ist es ihnen verboten, an diesem Ort etwas anderes zu errichten, was diesen heiligen Ort entweihen würde. Nach der schrecklichen «Reichskristallnacht» darf keine weitere Entweihung dieses Ortes geschehen. Die Alleinbesitzerinnen Eva Ertl, geb. Hambruch, Yvonne Hambruch-Piesker und Xenia Richters stehen dafür in der Pflicht und Verantwortung

Ob sich Geschichte wiederholt, ist der ewige Streit zwischen Historikern. Bezieht man das einmal nur auf die Familiengeschichte der Verleger- und Hotelier-Familien Koelblin-Hoellischer-Hambruch-Ertl des «Badischen Tagblatts» in Baden-Baden: Die Familie hat eine unheilige Vergangenheit ihrer Väter und Vorfahren. Die NSDAP-Mitgliedschaft beinhaltet schließlich auch den Geist des Antisemitismus.

Um es noch schlimmer zu machen: die jetzige Geschäftsführerin Eva Hambruch heiratete den Arzt Dr. Ottoheinz Ertl. Ertl studierte und promovierte bei Professor Runge an der Universität Heidelberg, der auch das Psychiatrische Zentrum Nordbaden (PZN) in Wiesloch als Lehrkrankenhaus angegliedert war. Dort wurden entsprechend der NS-Ideologie Zwangssterilisationen und nachfolgende Euthanasie-Tötungsarten willfährig durchgeführt. Dann begann der 2. Weltkrieg: Aus der Kriegs- und Strafakte von Dr. med. Ottoheinz Ertl wird noch ausführlicher zu berichten sein.

Dem Baden-Badener Zeitungsleser stellt sich die Frage: Hatte das Ehepaar Ertl etwa auch eine gemeinsame Gesinnung, die sie zur Heirat trieb? Haben sich in der Familie Hambruch das Denken und die geistigen Grundsätze auch an ihre Nachkommen vererbt? Hat kein Mitglied der Familie Erkenntnisse aus der geschichtlichen Vergangenheit gewonnen und setzt diese um? Hat keiner von ihnen aus der Geschichte gelernt, sondern bleiben sie in diesem Geiste weiter eng miteinander verbunden?

Wie sonst lassen sich ihre Verhaltensweisen zum Synagogen-Grundstück erklären? Es ist erschreckend, dass sich nach mehr als 70 Jahren nichts in den Köpfen dieser Menschen geändert hat, oder doch? Hat sich der Antisemitismus derart festgesetzt? Bleiben sie weiter verstockt gegenüber neuen Formen des Judenhasses, wenn die Zeitzeugen nicht mehr leben? Welche Erkenntnisse werden sie dann aus ihrer Familiengeschichte ziehen?

Besteht noch Hoffnung, dass Rechtsanwalt Rolf Metzmaier die «Alleineigentümerinnen» vielleicht eines Besseren berät? Die letzten Worte des von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi auf die Frage nach seinem Handeln waren: «Es war einfach der zwangsläufige Gang eines anständigen Menschen.» Wenn die Verlegerfamilie ihre starre Meinung und Handlungsweise nicht ändert, wäre auch Dohnanyi umsonst gestorben. Denn niemand hätte seine Ideen verstanden, durchdacht und in die Tat umgesetzt.

Sollte man in Baden-Baden nicht einmal über diesen neuen, praktizierten Antisemitismus nachdenken, bevor er gesellschaftsfähig geworden ist?

Gertrud Mayer
Baden-Baden


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