Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ – „Kampf gegen den Faschismus beginnt mit der Lokalgeschichte“ – „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut“

Baden-Baden, 05.02.2024, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leser Rudolf Rust Stellung zu dem goodnews4-Bericht Baden-Baden und sein geschonter Nationalsozialist – Tennishalle Rot-Weiß Baden-Baden trägt Namen des NSDAP-Mitglieds Dr. Otto Heinz Ertl.

Bewundernswert wie Christian Frietsch und goodnews4 seit mehr als 6 (sechs!) Jahren sich dafür einsetzen, dass das ehemalige Synagogengrundstück in der Stephanienstraße wieder einer nicht-profanen Nutzung zugeführt wird. Im Extremfall soll der Bau einer neuen Synagoge am angestammten Platz erfolgen. Er sollte kein einsamer Rufer in der Wüste der in Baden-Baden weit verbreiteten Ignoranz bleiben!

Bestärken muss man auch die Demonstranten vom vorletzten Wochenende in ihrer Absicht, sich für Demokratie und gegen Rassismus zu engagieren. Mir ist nicht klar, ob es 200 oder gar 2.000 Personen waren, die sich auf der Fieser-Brücke versammelten – leider ein viel zu geringer Anteil an der gesamten Baden-Badener Bevölkerung. Man muss bezweifeln, ob ihnen der Spruch Martin Niemöllers bekannt ist: «Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.» Wirklich bewirken könnten die Leute von der Demo nur dann etwas, wenn sie nun Mitglied einer der im Gemeinderat vertretenen Parteien würden und dort für frischen Wind sorgten!

 

Beabsichtigten die Demonstranten wirklich ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen? Dann müssten sie aber vor allem gegen den in Baden-Baden virulent existierenden Antisemitismus wenden und gegebenenfalls an passenderer Stelle protestieren. Die Weigerung der alleinigen (?) Erbin des Stahlhelm-Mitglieds und Nazis Werner Hambruch – einst Eigentümer des Badischen Tagblatts, der Nichte der mit dem Nazi Dr. Otto Heinz Ertl verheirateten Eva Ertl, geb. Hambruch mit der jüdischen Gemeinde Gespräche zu führen oder gar das Synagogengrundstück einem angemessenen Zweck zuzuführen, ist Ausdruck einer zutiefst antisemitischen Einstellung. Das stimmt doch, oder nicht?

Beklagenswert ist vor allem, dass der ehemalige Oberbürgermeister Ernst Schlapper (CDU) das der jüdischen Gemeinde 1938 von den Nazis geraubten Synagogengrundstück für kleine Münze an den Verleger des Badischen Tagblatts den Ex-Nazi Werner Hambruch verkaufte. Wie hätte nach dem Krieg die damalige jüdische Gemeinde, weitestgehend ausgerottet und verarmt, damals auf dem Besitz des Trümmergrundstücks bestehen können. Wie sagt man: &lauqo;Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.» Nur ein Schelm sieht darin den Zusammenhang zwischen publizistischer Unterstützung und der mehrfach erfolgreichen Wiederwahl des OB Schlapper.

Benennen muss man in diesem Zusammenhang dann aber auch die seitens der Stadt und des OB Schlapper (CDU) erfolgte Unterstützung des Tennisclubs Rot-Weiß. Dessen Präsident war der Nazi Dr. Otto Heinz Ertl. Obwohl erst nach Kriegsende in Baden-Baden ansässig, war er Schwiegersohn des Verlegers Werner Hambruch geworden. Er heiratete dessen älteste Tochter Eva, geboren am 18.10.1929. Die war zunächst Mitglied im Jungmädelbund (10 – 14 jährig) dann Mitglied im Bund Deutscher Mädels (BDM), dem weiblichen Zweig der Hitlerjugend gewesen. Dass die Tennishalle des Clubs Rot-Weiß immer noch nach dem Nazi Ertl benannt bleibt, ist natürlich nicht Ausdruck einer anti-semitischen Einstellung des heutigen Vorstands und all seiner Mitglieder, oder?

Beglückwünschen muss man die SPD in Baden-Baden. Die endlich – 6 Jahre nachdem goodnews4 das Synagogengrundstück thematisiert und problematisiert hat – «Bewegung in die Frage bringen will». Es bleibt abzuwarten, ob es eine reine Absichtserklärung ist oder wirklich etwas passiert. Zeit genug wäre in den vergangenen Jahrzehnten gewesen, denn der frühere Fraktionsvorsitzende der SPD, der Historiker Kurt Hochstuhl, saß seit 2009 im Gemeinderat und war – als Beamter im Staatsarchiv Freiburg – ausgewiesener Experte für die Entnazifizierung in Baden. Es wäre daher schön, wenn sich die SPD an die eigenen jüdischen Wurzeln erinnert hätte. Besteht da Nachhilfebedarf zum geschichtlichen und sozialen Hintergrund? Dann sei nur an Ferdinand Lasalle, Rosa Luxemburg und Eduard Bernstein erinnert – und natürlich auch an Karl Marx, obwohl er kein Parteimitglied war.

Beeindruckend wäre es, wenn jemand der Erbin des ehemaligen BT-Imperiums, darunter Immobilien wie der ehemalige Straßburger Hof an der oberen Sophienstraße, die ehemalige Hofdruckerei Koelblin an der Stephanienstraße, etc. den Rat gäbe das Grundstück – auf dem einst die Synagoge stand – in eine Stiftung einzubringen. Diese könnte es der jüdischen Gemeinde für einen Neubau zur Verfügung zu stellen. Allem Anschein ist ihr Berater und Geschäftsführer der ihr gehörenden Immobilien-Holding aber nicht in der Lage, sie entsprechend zu beraten. Soviel Hartleibigkeit und Mangel an Unrechtsbewusstsein wird dann wohl zur gesellschaftlichen Ächtung führen.

Bedauern muss man die Mehrheit der Bürger in Baden-Baden ob ihrer Ignoranz gegenüber dem, was ihren Nächsten angetan wird. Haben wir es in dieser Stadt nur mit Kindern und Enkeln von Nazis zu tun? Nirgendwo in Deutschland war der Zuspruch zur NSDAP und ihrer antisemitischen Politik so stark ausgeprägt wie im angeblich so «sonnigen» Baden. Der (noch) schweigenden Mehrheit sollte man ins Gedächtnis rufen, was vor mehr als 2000 Jahren schon galt: «Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.» (Perikles)

Rudolf Rust
Baden-Baden


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