Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ – „Schön ist das Politikerleben“

Baden-Baden, 10.03.2023, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leser Wolfgang Holstein Stellung.

Wenn ich einen Enkel hätte, der sich im schulpflichtigen Alter befindet, sich gut verkaufen (reden) kann, ansonsten aber gerne vor der Arbeit drückt und auch nicht die hellste Kerze auf der Geburtstagstorte ist, und er mich fragen würde, welchen Beruf er nach Schulabschluss ergreifen könnte, dann hätte ich eine klare Antwort: Politiker. Direkt nach Schulabschluss könnte er in die Jugendabteilung der Partei eintreten, welche über die meisten Wähler im Bezirk verfügt und versuchen dort eine führende Position zu erlangen. Sobald er sich im Orts- und Kreisverband der betreffenden Partei eine führende Position verschafft hat, sollte er ein Studium gleich welcher Fachrichtung (möglichst im Ausland zwecks schwieriger Nachprüfbarkeit) beginnen, welches man ja wieder still und leise abbrechen, oder im besten Fall mit einem, in Deutschland wertlosen, Diplom beenden könne.

Es dürfte bei seiner Redegewandtheit als ehemaliger Klassensprecher kein Problem darstellen, sich mit lautstarker Unterstützung einiger weniger Sympathisanten zum Vorsitzenden des Kreisverbandes wählen zu lassen und von dort den direkten Aufstieg in den Bundestag anzustreben. Bei dieser Wahl ist es wichtig, der Partei anzugehören, die voraussichtlich die meisten Stimmen im Gau erhält, denn die Wähler kreuzen in der Regel nur die Parteien an. Die Personen, die dahinterstehen, sind dem Volk ohnehin meist nicht bekannt und interessiert es auch nicht. Es reichen bei Wahlkämpfen schwungvolle, inhaltslose Reden ohne eigene Verantwortung (was kümmert mich mein Geschwätz von gestern) nach dem bewährten Politikermotto «man müsste, man sollte, man könnte», wobei man ja nicht näher erklären muss wer der ominöse «man» ist, der das alles umsetzen soll.

 

Hat man genügend Kreuzchen auf den Wahlzetteln gesammelt, ist das Ziel erreicht und man hat, sofern man nicht vorher schon innerhalb der Partei Karriere gemacht hat, zumindest einen Hinterbänklersitz im Bundestag erkämpft, kann monatlich über 10.000 Euro an Diäten einstreichen und muss sich ansonsten, außer um das eigene Wohlergehen, um nichts mehr kümmern. Als Hinterbänkler werden gemeinhin diejenigen bezeichnet, die im Bundestag in den hinteren Reihen auf Stühlen platziert sind, die nicht über ein Schreibpult verfügen, was die «Wertigkeit» dieser Personen eindrücklich dokumentiert, weil selbige ohnehin nur anwesend sind, wenn Fraktionszwang besteht, was jedoch nur sehr selten vorkommt.

Kurz: Hinterbänkler werden selbst innerhalb der Fraktion lediglich als Stimmvieh genutzt, falls es bei einer Abstimmung eng wird.

Ferner sollte der oder die Betreffende hin und wieder mit wichtigtuerischer Mine im eigenen Wahlkreis auftauchen, dumm in jede Kamera grinsen, die hingehalten wird, und sei der Anlass noch so unangemessen, bei Klagen von Bürgern eine sorgenvolle Mine aufsetzen und Abhilfe versprechen und dann wieder aus der miefigen Provinz in die Weltstadt Berlin zu seinem Lebensgefährten in die gemeinsame Wohnung entschwinden; spätere Heirat nicht ausgeschlossen. Hin und wieder eine 1½-stündige Telefonsprechstunde anberaumen, bei der höchsten 10 bis maximal 15 Anrufer die Chance haben überhaupt durchzukommen, aber man seine Wählerverbundenheit durch entsprechende Pressehinweise im Regionalblättchen demonstriert hat, und das war es dann auch schon.

Und wenn tatsächlich ab und zu ein paar aufrechte Parteimitglieder aufmucken, weil der Betreffende für den Wahlkreis nichts tut und demzufolge mit seinem arroganten Auftreten auch nichts erreicht, droht er den Betreffenden den Parteiausschluss an und schon ist wieder Ruhe im Karton und weiterer Kotau (in kniender Haltung tiefe Verbeugung, in der der Kopf den Boden berührt) ist gesichert. Und sollte irgendetwas seines misslichen Tuns von der Presse angeprangert werden, dann wird diese nach bester Orban-Manier mit einem Annoncen- und Interview-Boykott belegt und fortan herrscht auch an dieser Front Ruhe. Falls es einer oder eine der Bubis und Mädis seiner Partei wagen sollte, versehentlich in der Nähe eines Reporters etwas Negatives über ihn zu äußern, was dann in die Presse gelangt, dann Gnade ihm oder ihr Gott und ansonsten siehe oben.

Kurz, schön ist das Politikerleben, keine finanzielle Sorgen, keine Verantwortung für irgendetwas, viele Vergünstigen und nur in den seltensten Fällen Anwesenheitspflicht im Bundestag, wie man unschwer aus den Fernsehübertragungen ersehen kann, wo von fast 800 Abgeordneten meist nur maximal 20 Prozent anwesend sind. Und wenn man sich redegewandt gut verkaufen kann, dann könnte nach der «anstrengenden» Arbeit im Bundestag vielleicht sogar noch ein hochbezahlter Posten als Frühstücks-Direktor in der freien Wirtschaft herausspringen, vorrangig in einer Branche für die man vorher fleißig (bezahlte) Lobbyarbeit betrieben hat.

Fazit: Man kann es im Leben auch ohne besondere Fähigkeiten oder ohne jemals einen ehrlichen Beruf ausgeübt zu haben durchaus zu Wohlstand bringen.

P.S.: Sollte jedoch die Wahlrechtsreform tatsächlich umgesetzt werden, was im Sinne der Steuerzahler zu hoffen wäre, dann fliegen fast 200 nutzlose Hinterbänkler aus dem Bundestag die, falls sie nicht von ihrer Partei durch einen entsprechenden Posten aufgefangen werden, zwangsläufig zu ehrlicher Arbeit gezwungen sein werden, um ihr Geld zu verdienen; oh Schreck, der Alptraum jedes Hinterbänklers.

Aber es gibt einen Trost. Falls man wegen der vorgeschilderten Situation, bzw. aus Bequemlichkeit oder sonstiger fehlender Qualitätsmerkmale auf die erhoffte Karriere verzichten muss, dann kann man sich immer noch in der Kommunalpolitik betätigen. Dort liegt die Messlatte so niedrig, dass sie sogar von Mäusen übersprungen werden kann.

Außerdem braucht ja jedes noch so unbedeutende Kuhdorf einen eigenen Oberbürgermeister und als solcher kann man sich ein ähnlich angenehmes Leben gestalten wie oben dargestellt (Beispiel vor Ort).

Viel Glück bei der Berufswahl!

Wolfgang Holstein
Baden-Baden


Wenn Sie auch einen Leserbrief an die Redaktion senden möchten, nutzen Sie bitte diese E-Mail-Adresse: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

In Ausnahmefällen veröffentlicht goodnews4.de Leserbriefe auch unter einem Pseudonym. Die tatsächliche Identität des Verfassers ist goodnews4.de in jedem Fall bekannt.

PDF «Spielregeln» für Leserbriefe an goodnews4.de


Zurück zur Startseite und zu den weiteren aktuellen Meldungen.