Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ – Zum Synagogengrundstück – „Gelernt haben viele Deutsche aus ihrer Geschichte nicht. Haben sie jetzt zugehört und auch verstanden?“ – „Damit auch BT-Leser nicht immer dumm bleiben“

Baden-Baden, 04.11.2019, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leserin Gertrud Mayer Stellung zu dem goodnews4-Bericht Kulturverein Jüdisches Leben Baden-Baden gegründet − «Austausch kultureller und gesellschaftspolitischer Positionen».

Am 28. Oktober 2019 wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel in München der Theodor-Herzl-Preis des World Jewish Congress (JWC) verliehen. Es war eine große Geste nach den antisemitischen Geschehnissen der jüngsten Vergangenheit, die eher nach Anstrengungen in der Zukunft rufen, sich diese Auszeichnung zu verdienen.

Baden-Baden ist von antisemitischen Denkweisen und Handlungen betroffen. Es gab über das Ereignis in der regionalen Presse nichts zu lesen. Selbst dem stellvertretenden Chefredakteur des BT Jürgen Volz war es keinen weiteren Leitartikel wert, der am 10.10.2019 noch zu Taten gegen Antisemitismus in der nächsten Nachbarschaft aufgerufen hatte. Oder kannte er Theodor Herzl nicht? Selbst die Bundeskanzlerin erwähnte ihn in ihrer Dankesrede zur Preisverleihung.

Theodor Herzl war ungarischer Jude, 1860 in Budapest geboren, seit 1878 in Wien Studium der Jurisprudenz, 1884 promoviert, Referendar in Wien und Salzburg, dazu Feuilletonist für Wiener Zeitungen. Er verfolgte den Plan einer jüdischen Staatsgründung, u.a. mit der Schrift «Der Judenstaat» und entwarf in «Altneuland» ein Zukunftsbild dieses Staates. Er war ein angesehener Schriftsteller, Dramatiker und Erzähler. 1904 starb er in Niederösterreich.

Ronald Lauder, Präsident des JWC, sagte in seiner Rede zur Preisverleihung, dass Theodor Herzl bereits 43 Jahre vor der Reichskristallnacht das gespürt und vorausgeahnt hat. Was antwortete die Bundeskanzlerin in ihrer Dankesrede? Sie nennt die Shoa einen «Zivilisationsbruch», «der von Deutschland im Nationalsozialismus» begangen wurde. Und weiter: «Synagogen [wurden] wieder aufgebaut. Jüdisches Leben, seine Kultur und Geschichte sind Teile der Identität Deutschlands. … Jüdisches Leben in Deutschland muss sowohl gefördert als auch geschützt werden. … Antisemitismus und Rassismus zeigen sich nicht erst in Gewalttaten, sondern viel früher, subtiler. … Die Anerkennung, die der World Jewish Congress durch die Verleihung des Theodor-Herzl-Preises ausspricht, möchte ich an Menschen in Deutschland weitergeben. … Ich möchte sie alle ermutigen, weiterhin mit Tatkraft für die Vielfalt und die Sicherheit jüdischen Lebens einzutreten.»

Demnach haben auch Baden-Baden und seine Bürger an dieser Preisverleihung teil und sind zum Denken und Handeln aufgerufen. Was sagen dazu die drei «Eigentümerinnen» des Grundstücks Stephanienstr. 5? Fühlen sich Eva Ertl, Yvonne Hambruch-Piesker und Xenia Richters nicht angesprochen? Ihre Weigerung über das ehemalige Synagogen-Grundstück nur zu sprechen, ist «subtiler» als eventuelle «Gewalttaten».

Mit «Tatkraft» sind auch Oberbürgermeisterin Mergen und die Stadtverwaltung aufgerufen. Was werden sie auf der Gedenkfeier zum 9. November 1938 an Taten und Lösungen anbieten? Wie sagte es Lauder in seiner Laudatio: «Nie wieder hat es geheißen.» Gilt das auch heute noch? «In dem Land, das historisch für den Holocaust verantwortlich ist.» … «Ein altes jüdisches Gebetshaus [in Halle], das sogar die Nazis überlebt hatte, wurde seinem Schicksal überlassen. Es blieb allein, unbewacht und schutzlos dem Hass ausgeliefert. Das wiegt schwer, … ist inakzeptabel.»

Und was tut Baden-Baden, um die Teilhabe an diesem verliehenen Preis zu rechtfertigen? Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung Felix Klein sieht auch die Gemeinden in der Pflicht. Bei ihnen muss im Alltag und in den Schulen der Diskurs über Antisemitismus einsetzen.

Ob die Bewertung des Holocaust durch die Bundeskanzlerin (nur?) ein «Zivilisationsbruch» war, ist zu hinterfragen. Ronald Lauder dazu: «Es verpflichtet uns alle sicherzustellen, dass das Land von Kant, Goethe und Schiller sich nicht wieder gegen die Albert Einsteins wendet. Und nicht wieder die Anne Franks von Europa verfolgt. 75 Jahre nachdem die Gaskammern von Ausschwitz und Treblinka geschlossen wurden, erhebt wieder der alte Hass gegen die Juden sein hässliches Gesicht in Europa.» … «Meine lieben Freunde, dieses Problem ist kein jüdisches Problem, sondern ein deutsches.»

Ob es mit dem Wegschauen im Alltag, in der Schule, auf dem Fußballplatz und mit Kleinreden des Problems ein Ende hat? Die Studie des JWC zeigt, dass 60% der Deutschen bereit seien, jede Initiative im Kampf gegen Antisemitismus zu unterstützen. Das mache die Würde von Nachkriegsdeutschland aus.

Also: 60% der Baden-Badener unterstützen die jüdische Gemeinde, ihr angestammtes Synagogengrundstück in der Stephanienstr. 5 restituiert zu bekommen? Bleibt das ein Märchen oder wird es Wirklichkeit?

Gertrud Mayer
Baden-Baden


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