Aufklärungs- und Impfangebote sollen verbessert werden

Sozialminister reagiert auf Hinweise – Kliniken und Ärzte: „Menschen mit Migrationshintergrund aktuell in höherem Maße von COVID-19 betroffen“

Sozialminister reagiert auf Hinweise – Kliniken und Ärzte: „Menschen mit Migrationshintergrund aktuell in höherem Maße von COVID-19 betroffen“
Manne Lucha, Minister für Soziales und Integration in Baden-Württemberg. Foto: Archiv

Stuttgart, 06.05.2021, Bericht: Redaktion Das Sozialministerium Baden-Württemberg reagier auf Hinweise aus Kliniken und von niedergelassenen Ärzten, dass Menschen mit Migrationshintergrund aktuell in höherem Maße von COVID-19 betroffen seien und auch schwere Verläufe erlebten.

Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha traf sich gestern dazu zu einem virtuellen Austausch mit Migrantenorganisationen, Kommunalen Landesverbänden, Kirchen und Religionsgemeinschaften. Ziel des Treffens war es, gemeinsam Wege zu finden, um Aufklärungs- und Impfangebote noch besser in alle gesellschaftlichen Gruppen zu kommunizieren und damit auch Hürden und Hindernisse abzubauen, teilte das Sozialministerium gestern mit.

«Gesicherte Daten» seien zwar noch nicht vorhanden, allerdings wiesen Studien «auf den Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und der Wahrscheinlichkeit an COVID-19 zu erkranken» hin. Menschen in schwierigen sozialen Lebensumständen befinden sich oftmals in beengten Wohnsituationen und arbeiten in Bereichen, in denen man sich weniger vor Ansteckung schützen kann. Dies habe auch eine erste Untersuchung des Landesgesundheitsamts bestätigt.

Unter den Teilnehmenden des Gesprächs bestehe Einigkeit darüber, dass die bereits praktizierte zielgruppenspezifische und herkunftssprachliche Kommunikation wichtig sei, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Dabei spielten migrantische Organisationen und Religionsgemeinschaften als Mittler und Multiplikatoren eine bedeutende Rolle. Auch die Kommunen mit ihren Integrationsbeauftragten und Integrationsmanagerinnen und -managern seien wichtige Kommunikatoren, die vor Ort gut vernetzt seien und Kontakt in die Communities hätten.

Eine größere Rolle sollen auch Menschen mit Migrationshintergrund spielen, die als Botschafterinnen und Botschafter in ihre Community hineinwirken sollen, insbesondere in Zusammenhang mit der Aufklärung zum Impfen. Es zeichne sich klar ab, dass insbesondere in sozialen Brennpunkten und Quartieren mit sozial benachteiligter Bevölkerung niedrigschwellige und aufsuchende Angebote wichtig seien. Das Land plant daher, verstärkt auf Impfangebote vor Ort in den Quartieren und Stadtteilen zu setzen. «Wir müssen verstärkt zu jenen Menschen gehen, die ansonsten schwerer zu erreichen sind», so Minister Lucha. Neben den mobilen Impfteams würden auch die anlaufenden Impfungen in Betrieben und die weitere Steigerung der Impfungen in Hausarztpraxen hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Im direkten Kontakt ließen sich durch Aufklärung Ängste und Vorbehalte bei den Menschen abbauen.

 

Die aktuelle Einschätzung des Landesgesundheitsamtes zu sozialen Determinanten im Zusammenhang mit COVID 19:

Soziale Determinanten/Migration und COVID-19

Nach aktueller Studienlage liegen keine hinreichenden Kenntnisse zum spezifischen Migrationszusammenhang und COVID-19 vor. Beobachtbare Unterschiede scheinen nicht migrationsspezifisch zu sein, sondern viel mehr von sozioökonomischen Situationen der Betroffenen beeinflusst zu werden. Auf beschriebene Hinweise zu Korrelationen sind keine Aussagen zur realen Ursache-Wirkung-Beziehung (Kausalität) möglich. Zudem handelt es sich bei Menschen mit Migrationshintergrund um eine sehr heterogene Bevölkerungsgruppe, was eine verallgemeinernde Aussage nicht zulässt. Zum Jahresende 2019 hat jede vierte in Deutschland lebende Person einen Migrationshintergrund (21,2 Mio. bzw. 26 Prozent).

Die ersten Befunde sozialepidemiologischer Studien zur COVID-19-Pandemie aus Großbritannien und den USA verweisen auf ein vielfach erhöhtes Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion und schwere COVID-19-Verläufe in sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen. In Deutschland konnten in der Frühphase der SARS-CoV-2-Pandemie zunächst eine höhere Inzidenzrate in sozioökonomisch privilegierten Bezirken beobachtet werden. Dies steht in Zusammenhang mit den zunächst erhöhten Infektionszahlen unter Reiserückkehrern. Im weiteren Verlauf der Pandemie ab Mitte April 2020 hat sich dies jedoch in den am stärksten betroffenen südlichen Bundesländern umgekehrt. Die Ergebnisse weiterer nationaler und kleinräumiger sowie regionaler Analysen deuten ebenfalls darauf hin, dass Infektionsrisiken in Deutschland regionalen Mustern der sozioökonomischen Ungleichheit folgen.

Ergebnisse einer Zusammenhangsanalyse des Robert-Koch-Instituts (RKI) zum Infektionsrisiko und zur COVID-19-Sterblichkeit während der zweiten Infektionswelle in Deutschland zeigten soziale Unterschiede: Es konnte festgestellt werden, dass mit Fortschreiten der Pandemie Menschen in sozioökonomisch stark deprivierten Regionen am häufigsten betroffen waren. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen fiel der Anstieg der COVID-19-Todesfälle in sozial benachteiligten Kreisen um rund 50 bis 70 Prozent höher aus, als in Regionen mit geringer Deprivation. Die Analyse basiert auf den gemäß dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) an das Robert-Koch-Institut (RKI) übermittelten COVID- 19-Todesfällen im Zeitraum der Meldewoche 36/2020 bis zur Meldewoche 1/2021 und der Verknüpfung mit dem mehrdimensionalen «German Index of Socioeconomic Deprivation» (GISD), der das Ausmaß sozioökonomischer Deprivation auf regionaler Ebene misst.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Analysen auf mikrogeographischer Ebene zu intrakommunalen Inzidenzen. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass es Hinwiese auf Korrelationen zwischen der durchschnittlichen 7-Tage Inzidenz und Stadtteilen hoher sozioökonomischer Deprivation gibt. Die Analyse der Kölner Kontaktverfolgungsdaten kam zu dem Ergebnis, dass die meisten Ansteckungen innerhalb der gleichen Generation erfolgen, dass das Virus von 72 Prozent der Indexpersonen, welche sich bei jüngeren Personen angesteckt haben, nicht weitergegeben wurde und in der späten Phase der COVID-19-Pandemie Stadtteile mit sozioökonomischen Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Migrationsanteil und niedrigem Mietspiegel stärker betroffen sind. Auch erste vorläufige Erkenntnisse einer noch unveröffentlichten Studie zu intrakommunalen Inzidenzen einer anderen Kommune konnten ähnliche Beobachtungen zu sozioökonomischen Faktoren aufzeigen. Erste deskriptive Analysen der Stadt Mannheim deuten ebenfalls auf Unterschiede im Infektionsgeschehen zwischen den Stadtteilen hin. Gemessen an Sozialstruktur-Indikatoren (Arbeitslosenquote, Anteil Kinder in Alleinerziehenden Haushalten, Beschäftigungsquote und Mindestsicherungsquote) konnte eine höhere Inzidenzrate in sozioökonomisch schwächeren Stadtteilen festgestellt werden.

Die beobachteten Ungleichheiten im Infektionsgeschehen mit SARS-CoV-2 müssen vor dem Hintergrund existierender gesundheitliche Ungleichheit bewertet werden. Für viele diskutierte Risikofaktoren für schwere COVID-19 Verläufe wie kardiovaskuläre Erkrankungen, chronische Lungenerkrankungen, Diabetes mellitus, einige Krebserkrankungen, aber auch Zigarettenrauch und Adipositas ist nachgewiesen, dass diese in sozioökonomisch benachteiligten Gruppen besonders verbreitet sind. Ebenso sind prekäre Lebensumstände wie beengte Wohnverhältnisse, hohe Anzahl an Haushaltsmitglieder, Berufe ohne Homeoffice-Möglichkeit oder mangelhafter Zugang zur Gesundheitsversorgung beobachtete Risikofaktoren für die Ausbreitung von Infektionskrankheiten.

Vorliegende Erkenntnisse weisen darauf hin, dass Maßnahmen des Infektionsschutzes, der Präventionsarbeit und die Risikokommunikation an die sozioökonomische Situation der Bevölkerung angepasst werden müssen, um SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen in besonderen Bevölkerungsgruppen zielgerichtet zu bekämpfen. Das Landesgesundheitsamt plant daher gemeinsam mit Gesundheitsämtern in Baden-Württemberg eine Untersuchung zur 1. Erfassung von SARS-CoV-2-Infektionen und -Erkrankungsverläufe und 2. Ableitung von Präventionsansätzen und Maßnahmen der Infektionskontrolle. Neben der Gewinnung von Erkenntnissen im Rahmen der COVID-19-Pandemie lassen sich mit Hilfe der Ergebnisse auch Maßnahmen für weitere von Mensch zu Mensch übertragene Infektionsgeschehen ableiten.


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