Staatsanwaltschaft ermittelt

SPD, FDP und AfD fordern Rücktritt von Innenminister Thomas Strobl – Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen ein – Sondersitzung im Landtag

SPD, FDP und AfD fordern Rücktritt von Innenminister Thomas Strobl – Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen ein – Sondersitzung im Landtag
Thomas Strobl, Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Archiv

Bild Nadja Milke Bericht von Nadja Milke
05.05.2022, 00:00 Uhr



Baden-Baden Im Zusammenhang mit den Vorwürfen sexueller Nötigung gegen Andreas Renner, Inspekteur der baden-württembergischen Landespolizei, wird es nun auch für Innenminister Thomas Strobl ungemütlich.

Der CDU-Politiker wird verdächtig, ein vertrauliches Schreiben an einen Journalisten weitergeleitet zu haben. Das Schreiben stammt vom Rechtsanwalt des wegen sexueller Nötigung verdächtigten Polizeiinspekteurs, der eine Hauptkommissarin in einem Videochat mit seinen Vorstellungen sexueller Praktiken angegangen haben soll. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat gestern ein Ermittlungsverfahren gegen den Journalisten wegen des Verdachts verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen und Thomas Strobl wegen des Verdachts der Anstiftung hierzu eingeleitet. Erst am 1. November 2020 wurde Andreas Renner neuer Inspekteur der Polizei. Innenminister Thomas Strobl hatte ihn zum ranghöchsten Polizeivollzugsbeamten des Landes gemacht.

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SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. Foto: Archiv

Die Opposition forderte gestern geschlossen – SPD, FDP und AfD – den Rücktritt des Innenministers. Thomas Strobl habe Dienstgeheimnisse öffentlich gemacht, die Fürsorgepflicht als Dienstherr verletzt und gegen den Datenschutz verstoßen. Das sei ein «skandalöser Vorgang», erklärte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. Und FDP-Chef Hans-Ulrich Rülke: «Bei den Abgründen, die sich auftun, kann dieser Minister nicht mehr im Amt bleiben.»

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FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Foto: Archiv

Thomas Strobl wies die Kritik zurück und lehnte einen Rücktritt ab und sprach von «Kommunikationsfehlern». Er stehe «klar für volle Aufklärung und Transparenz». «Deshalb durfte nicht der Hauch eines Anscheins entstehen, dass hier gemauschelt, etwas unter den Teppich gekehrt werden könnte. Der Rechtsanwalt hatte ein Angebot ‚zum persönlichen Gespräch‘ außerhalb des rechtlich vorgesehenen Verfahrens gemacht. Und das habe ich gegenüber einem einzelnen Journalisten öffentlich gemacht», erklärte der Innenminister gestern schriftlich. «Wenn die Opposition nun einen Untersuchungsausschuss fordert, ist das ihr gutes Recht. Es liegt allerdings alles auf dem Tisch – ich frage mich, was die Opposition da noch aufklären will. Aber auch einen Untersuchungsausschuss würden wir mit der gleichen und vollen Transparenz begleiten, wie wir das im gesamten Verfahren seit Tag 1 handhaben. Angesichts dieser Lage sehe ich dem gelassen entgegen.»

 

Der Innenausschuss des Landtags hatte sich in einer Sondersitzung gestern mit der Weitergabe des Rechtsanwaltsschreibens des suspendierten Inspekteurs der Polizei an einen Journalisten befasst. Wie der Vorsitzende des Gremiums, der CDU-Abgeordnete Ulli Hockenberger, mitteilte, hat Innenminister Thomas Strobl, CDU die Weitergabe des Schreibens verteidigt und als richtig bezeichnet, gleichzeitig jedoch Fehler eingeräumt und sich entschuldigt. Die Oppositionsfraktionen sprachen von einem einzigartigen und unglaublichen Vorgang und warfen dem Innenminister Vertrauensbruch und Verstöße gegen Geheimhaltungsvorschriften vor.


Die Erklärung des Landtags Baden-Württemberg zur Sondersitzung am Mittwoch, 4. Mai 2022 im Wortlaut:

Der Innenausschuss des Landtags hat sich in einer Sondersitzung am Mittwoch, 4. Mai 2022, mit der Weitergabe eines Rechtsanwaltsschreibens des suspendierten Inspekteurs der Polizei an einen Journalisten befasst. Wie der Vorsitzende des Gremiums, der CDU-Abgeordnete Ulli Hockenberger, mitteilte, hat Innenminister Thomas Strobl (CDU) die Weitergabe des Schreibens verteidigt und als richtig bezeichnet, gleichzeitig jedoch Fehler eingeräumt und sich entschuldigt. Die Oppositionsfraktionen sprachen von einem einzigartigen und unglaublichen Vorgang und warfen dem Innenminister Vertrauensbruch und Verstöße gegen Geheimhaltungsvorschriften vor.

Hintergrund der Debatte ist nach Angaben des Vorsitzenden der Vorwurf gegen den Inspekteur der Polizei, eine jüngere Kollegin bedrängt zu haben. Strobl habe in der Sitzung ausgeführt, Geschädigte könnten darauf vertrauen, dass solchen Vorwürfen unnachgiebig und mit aller Härte nachgegangen werde. Täter würden mit schärfstmöglichen Konsequenzen belegt. Strobl habe in dem Zusammengang von «maximaler Aufklärung und maximaler Transparenz» gesprochen. Es dürfe nicht der Hauch von Intransparenz und Mauschelei aufkommen oder dass es Vorgänge zu Lasten von Opfern und zu Vorteilen mutmaßlicher Täter gebe.

Das Anwaltsschreiben habe Strobl nach eigener Aussage in Teilen als «völlig fehl am Platz empfunden». Er sei irritiert und verwundert gewesen. Es habe nicht der Eindruck entstehen sollen, dass etwas verheimlicht werden solle. Deswegen habe er entschieden, das Schreiben einem Journalisten auf dessen Nachfrage zur redaktionellen Verwendung zur Verfügung zu stellen. Die «Entscheidung zu Transparenz» sei «absolut richtig gewesen, um Schaden von der Landespolizei abzuwenden und die Integrität zu wahren». Zugleich habe Strobl ausgeführt, dass sein Haus aus heutiger Sicht anders gehandelt hätte. Es sei nicht alles vollumfänglich transparent gelaufen. Dies sei ein Fehler gewesen, wofür er sich vor dem Ausschuss entschuldige, fasste Hockenberger den Bericht des Ministers zusammen.

Die Oppositionsfraktionen dagegen kritisierten den Innenminister scharf. Laut Hockenberger sprach die SPD-Fraktion von einem Vorgang, der in der 70-jährigen Landesgeschichte fast einmalig sei. Die Fraktion habe dem Innenminister vorgeworfen, das Disziplinarverfahren in Gefahr gebracht zu haben, indem er gegen Vorschriften der Geheimhaltung und des Datenschutzes verstoßen habe. Außerdem habe er mit diesem Vorgang der betroffenen Polizistin einen Bärendienst erwiesen.

Die FDP/DVP-Fraktion habe den Vorgang als unglaublich bezeichnet und davon gesprochen, das Schreiben „selbstherrlich“ weitergegeben zu haben. Transparenz bedeute, das Verwaltungshandeln öffentlich zu zeigen, jedoch nicht, Teile aus einem Disziplinarverfahren öffentlich zu machen. Die Entschuldigung Strobls reiche nicht aus. SPD und FDP/DVP hätten in der Entscheidung zur Weitergabe außerdem einen schweren Vertrauensbruch erkannt. Wie könnten Beamte nun noch dem Innenminister als oberstem Dienstherrn vertrauen? Auch die AfD-Fraktion habe auf die Pflicht zur Einhaltung von Dienstgeheimnissen hingewiesen, so der Ausschussvorsitzende.

Wie Hockenberger weiter ausführte, habe Strobl die Vorwürfe zurückgewiesen. In diesem Fall liege kein Dienstgeheimnis vor. Aus diesem Grund gebe es bezüglich der Weitergabe des Schreibens auch keinen Grund, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehme.

Bild Landtag Baden-Württemberg

Der Landtag Baden-Württemberg in Stuttgart. Foto: Archiv


Die Stellungnahme von Innenminister Thomas Strobl vom 4. Mai 2022 im Wortlaut:

«Ausgangspunkt der ganzen Diskussion sind Vorwürfe gegen den Inspekteur der Polizei. Diese lauten im Kern: Er habe eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung begangen. Das mutmaßliche Opfer ist ebenfalls Polizeibeamtin.

Für mich war von Tag 1 an vollkommen klar: Ich stehe für maximale Transparenz und Aufklärung.

Die Opposition muss sich entscheiden, auf welcher Seite sie steht. Diejenigen, die bislang Transparenz forderten, geißeln jetzt ein transparentes Handeln der Regierung. Ich stehe klar für volle Aufklärung und Transparenz.

In unserer Demokratie sind Öffentlichkeit und Transparenz ein hohes Gut. Und es ging um nichts weniger als die Integrität des Verfahrens und das Ansehen der Polizei bei den Menschen im Land.

Deshalb durfte nicht der Hauch eines Anscheins entstehen, dass hier gemauschelt, etwas unter den Teppich gekehrt werden könnte. Der Rechtsanwalt hatte ein Angebot ‚zum persönlichen Gespräch‘ außerhalb des rechtlich vorgesehenen Verfahrens gemacht. Und das habe ich gegenüber einem einzelnen Journalisten öffentlich gemacht.

Wie mit diesen Vorwürfen umgegangen wird, ist in erster Linie für das mutmaßliche Opfer von höchster Bedeutung. Und diese Opfersicht dürfen wir zu keiner Zeit aus den Augen verlieren. Darüber hinaus ist der Umgang mit diesen Vorwürfen für die gesamte Landespolizei, ihre Integrität und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit von allerhöchster Bedeutung.

Die Staatsanwaltschaft hatte zwar aus ihrer Sicht einen Verdacht und hat deshalb – völlig zu Recht und nachvollziehbar – zunächst ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Aber sie hat eben noch nicht begonnen zu ermitteln, sondern zunächst beim Innenministerium um die rechtlich erforderliche Ermächtigung nachgesucht – sie hat also erst angefragt, ob sie Ermittlungen aufnehmen soll. Diese Ermächtigung haben wir in völliger Transparenz und zu Recht nicht erteilt: Denn wir haben als Innenministerium entschieden, aus diesem Schreiben kein «Geheimnis» zu machen. Es gab schon keine Straftat, die es aufzuklären galt, und genau solche Fälle sollen durch das Erfordernis der Ermächtigung ausgeschieden werden.

Wenn die Opposition nun einen Untersuchungsausschuss fordert, ist das ihr gutes Recht. Es liegt allerdings alles auf dem Tisch – ich frage mich, was die Opposition da noch aufklären will. Aber auch einen Untersuchungsausschuss würden wir mit der gleichen und vollen Transparenz begleiten, wie wir das im gesamten Verfahren seit Tag 1 handhaben. Angesichts dieser Lage sehe ich dem gelassen entgegen.»




Nadja Milke ist Redakteurin bei goodnews4.de und Mitglied der Landespressekonferenz Baden-Württemberg. Sie wohnt in der Baden-Badener Innenstadt und kennt sich dort gut aus, aber selbstverständlich auch in den anderen Baden-Badener Stadt- und Ortsteilen. Über Post freut sie sich: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!


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