Kammermusikkonzert mit Klavierquartetten und Klavierquintett

Evgeny Kissin und das Emerson String Quartet begeisterten im Festspielhaus Baden-Baden - „Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“

Evgeny Kissin und das Emerson String Quartet begeisterten im Festspielhaus Baden-Baden - „Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“
Kammermusikkonzert der Meisterklasse mit Evgeny Kissin und dem Emerson String Quartet. Foto: Andrea Kremper

Baden-Baden, 16.01.2018, Bericht: Inga Dönges Ein Kammermusikkonzert der Meisterklasse mit Klavierquartetten und einem Klavierquintett von Mozart, Fauré und Dvořák. Es füllte den Saal des Festspielhauses famos.

Man konnte sich fast fragen, wozu braucht man große Orchester? Natürlich braucht man sie für alle Werke mit großer Besetzung, aber Kammermusik gibt dem Hörer eigentlich die ganze Musikwelt. An diesem Abend war das Klangerlebnis vollendet durch die Verbindung des Pianisten Evgeny Kissin und dem Emerson String Quartet.

Evgeny Kissin wurde 1971 als Sohn einer Klavierlehrerin und eines Ingenieurs in Moskau geboren, später erwarb er die britische und israelische Staatsbürgerschaft. Im Alter von 2 Jahren begann er nach Gehör, Klavier zu spielen und zu improvisieren und wurde im Alter von 6 Jahren Student der Moskauer Musikhochschule und blieb bis heute Schüler von Anna Pavlovna Kantor, seiner einzigen Lehrerin. Sie lebt mit in der Großfamilie Kissin. Ihm wurde berechtigt sehr schnell der Ruf eines «Wunderkindes» zuteil. Im Bewusstsein seiner jüdischen Wurzeln erlernte er das Jiddische, las ihre Dichtungen und schrieb schließlich eigene Poesie.

Bei Evgeny Kissin spitzt man nicht nur die Ohren, um jede Noten-Delikatesse zu hören, man schaut auch auf seine Hände und den Mund. Er singt quasi tonlos mit − vielleicht rührt es daher, dass er in seiner Kindheit einen Vorkriegs-Bechstein hatte. Ein Bechstein-Flügel singt! Ein moderner Flügel klingt vielleicht perfekt, er singt aber nicht. Seine Hände, deren Form und das, was er technisch daraus macht. Er spielt mit ruhigem Körper und Armen quasi aus dem Handgelenk. Er besitzt die faszinierende Fähigkeit, die mittleren Finger nach unten zu knicken, damit die weißen Tasten zu bespielen, mit den äußeren Fingern die schwarzen Tasten. Alles ist kraftvoll, harmonisch und ein Wunder an Musikalität und Technik.

Das Emerson String Quartet wurde 1976 an der Juilliard School in Manhattan gegründet. Es benannte sich nach dem Poeten und Philosophen Ralph Waldo Emerson (* 1803 in Boston - + 1882 in Concord/Mass.) Er vertrat die Meinung, dass Menschen einfach und im Einklang mit der Natur leben sollten: «Mach das Beste aus dir. Etwas Besseres kannst du nicht tun.» Genau das beherzigen die Musiker mit jedem Ton ihrer Streichinstrumente. Es sind Eugene Drucker, Violine − Philip Selzer, Violine − Lawrence Dutton, Viola − Paul Watkins, Violoncello. Am Pult des Primarius wechseln sich Eugene Drucker und Philip Selzer ab.

Das Konzert begann mit Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) Klavierquartett g-Moll KV 478. Es entstand ein Jahr vor dem «Figaro» (1785), hat drei Sätze I. Allegro II. Andante III. Rondo. Allegro moderato und gehört zu seinen persönlichsten Werken. Das schwermütige Allegro wird vom Klavier mit einem Gesangsthema versöhnlich gestimmt. Wieder ist es das Klavier, das im B-Dur-Andante aus dem Dunkel in die lichte Klarheit führt. Zunächst piano, dann die Streicher forte, sie klingen miteinander, und der Klavierbass lässt alles zur Ruhe kommen. Das Rondo ist der fröhlich-spielerische Mozart. Die Themen sind einfach, fast volkstümlich und lassen Raum für höchste Aktivität der Musiker. So war dieser Mozart ein ständiges Geben und Nehmen von Klavier und Streichern. Es war perfekt, die Empathie der Musiker übertrug sich auf die Zuhörer.

Dann der zeitliche Sprung zu Gabriel Fauré, 1845 in Pamiers geboren, studierte bei Camille Saint-Saens, wirkte als Organist u.a. an Notre Dame in Paris. Er starb 1924 in Paris, nachdem er bereits seit Jahren ertaubt und erblindet war. Das Klavierquartett Nr. 1 c-Moll op. 15 entstand schrittweise ab Mitte der 1870er Jahre und gehörte zur ersten Kammermusik im Rahmen der «Ars Gallica». Der deutsch-französische Krieg 1870/71 trieb die französischen Komponisten an, ihre Musik abzugrenzen, um größere Bedeutung zu erlangen. So gründete sich 1871 die «Société Nationale de Musique», um sich vor allem gegen die deutsche Musik zu behaupten.

Fauré komponierte dieses Klavierquartett, als er schon Mitte 30 war und in dem er zu seinem eigenen, unverwechselbaren Stil fand. Es geht nie in die Extreme und ist doch zugleich von enormer innerer Spannung getragen. Die Musik ist stets elegant, melancholisch, leise und filigran, Die kantablen Melodien fallen der rechten Hand des Klaviers zu, zur linken Hand kommt das Cello mit einem tiefen Orgelpunkt, also dem ruhenden Bass, über dem sich die anderen Stimmen bewegen. Carl Dahlhaus schrieb vor 30 Jahren, zu Beginn der Fauré-Renaissance diesem Komponisten eine «gelassene Attitüde» zu, die «Musik zu verschenken scheint». Dem Publikum bleibt die «Anspannung reflektierenden Hörens». So kam es auch von der Bühne herunter, und man war fasziniert von der Spielkunst der Musiker, auch wenn man das Warum dieser Musikalität selbst nicht erklären konnte.

Nach der Pause Antonin Dvořák Klavierquintett Nr. 2 A-Dur op. 81. Dvořák wurde 1841 bei Prag geboren, kam dort in die Orgelschule, spielte Violine im Orchester der Cäcilien-Gesellschaft. Seinen Lebensunterhalt bestritt er als Kirchensänger, Gasthausmusikant, schließlich als Bratschist einer Militärkapelle. Später übernahm er die Leitung des Konservatoriums in Prag, wo er 1904 starb. Das Quintett entstand 1887. Der I. Satz Allegro ma non tanto − wobei das erste Thema vom Cello intoniert wird und das ganze Stück beherrscht. Das zweite Thema wird von der Viola vorgetragen und ist stark lyrisch. Der II. Satz Dumka. Andante con moto − Vivace bringt eine Dumka in Rondo-Form und hat einen balladenartigen Charakter. Die Dumka ist eine Gattung von Volksliedern aus dem früheren Kleinrussland. Vorzugsweise beschreibt sie Kämpfe der Kosaken mit den Tataren oder einfach das dörfliche Familienleben. Der III. Satz Scherzo. Molto vivace lebt vom Rhythmuskontrast, dem Wechsel zwischen Dreier- und Zweiertakt. Der IV. Satz Finale. Allegro ist in Sonatenform mit typisch tschechischen Wendungen und bringt eine fröhliche Stimmung.

Das Konzert, seine Musiker wie auch die Zuhörer waren heiter gestimmt und erklatschten sich eine Zugabe. Der Romantik treubleibend und passend zu Baden-Baden erklang der 2. Satz aus dem Klavierquintett f-Moll op. 34 von Johannes Brahms. Ein Appetizer, von dem man gerne das ganze Konzert hören möchte.

Pianist und Streicher bleiben ihrem Motto treu: «Ein Freund ist ein Mensch, von dem man laut denken kann» (W. Emerson). So möge diese begonnene künstlerische Zusammenarbeit auch in der Zukunft bleiben. Wir waren in Baden-Baden Zeugen einer Premiere für die große Tournee 2018 von Evgeny Kissin und dem Emerson String Quartet. Was bleibt, ist der Wunsch, dass das Festspielhaus uns diesen Kunstgenuss bald wieder bieten wird − auch mit einem Solo-Konzert von Evgeny Kissin, nach dem man süchtig werden kann.


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