São Paulo Companhia de Dança im Festspielhaus Baden-Baden

Festspielhaus Baden-Baden - Don Quixote: KEIN Ritter der traurigen Gestalt - „Der Traum des Don Quixote“ ließ Marcia Haidée das Publikum verzaubern

Festspielhaus Baden-Baden - Don Quixote: KEIN Ritter der traurigen Gestalt - „Der Traum des Don Quixote“ ließ Marcia Haidée das Publikum verzaubern
Don Quixote. Foto: Renan Livi

Baden-Baden, 16.04.2018, Bericht: Inga Dönges Dieser Abend gehörte der São Paulo Companhia de Dança. Sie wurde vor etwa 10 Jahren gegründet und von der Regionalregierung São Paulo unterstützt.

Das Ziel war, die vorzüglich ausgebildeten brasilianischen Tänzer nicht weiter ins Ausland abwandern zu lassen, da es in Brasilien keine Ballett-Compagnie gab. Das ist gelungen, und das «Sahnehäubchen» obenauf war neben der Ballettdirektorin Inês Bogéa die Choreographin Marcia Haidée. Einst die Primaballerina von John Cranko in Stuttgart übernahm sie nach dessen plötzlichem Tod 1976 die Leitung des Stuttgarter Balletts. Ihre Leistungen als Tänzerin, Choreographin, Ausbilderin der nachwachsenden Ballettgeneration würde eigentlich mehrere Leben füllen, nicht nur dieses eine. Sie wurde am 18. April 1937 in Brasilien geboren, tanzte durch die große Welt des Balletts und ist heute noch einzigartig als Künstlerin und als Mensch.

Die Vorlage für dieses Ballett ist der Roman von Miguel de Cervantes (1547 – 1616 in Madrid). Er geht weit über seine ursprüngliche Absicht hinaus, die Macht der Ritterromane zu brechen. Es entsteht eine kritische Auseinandersetzung mit den damaligen literarischen Moden, dem Schelmen-, Schäfer- und vor allem dem Ritterroman. Dieser mittelalterlichen Darstellung ritterlichen Handelns entspricht der Held, der in die Welt des Buches eintaucht und es lesbar macht.

So beginnt das Ballett Don Quixote in einem geräumigen Lederfauteuil, umgeben von einer imaginären Bibliothek. Er liest und träumt und gleichzeitig zitiert Bastian Thurner einfühlsame Gedichte von Carlos Drummond de Andrade (1902 – 1987). Dann beginnt die Musik wie mit einem Donnerschlag. Komponiert von Ludwig Minkus, 1826 in Wien geboren, dann Orchesterdirigent in St. Petersburg, später Ballettkomponist in Moskau, kehrte nach Wien zurück, wo er 1917 verstarb.

«Don Quixote» war eines der Meisterwerke von Marius Petipa (1822 – 1910) zur Musik von Ludwig Minkus und wurde 1869 im Bolschoi-Theater uraufgeführt, 1900 vom Ballettmeister Alexander Gorski weiter choreographiert und bis heute in dieser Form grundlegend erhalten. Inhaltlich sind die Figuren des Don Quixote und seines Begleiters Sancho Pansa eher am Rande eingebaut. Im Kern geht es um die Liebe der schönen Wirtstochter Kitri (Thamiris Prata) zu dem jungen Maler Basilio (Cicero Gomes), der als Barbier arbeitet. Der Wirt will Kitri aber mit dem reichen Adeligen Gamacho verheiraten, in heutigen Worten: ein eitler Fatzke, der ständig mit seinem Fazzoletto (Taschentuch) wedelt und Aufmerksamkeit und Achtung erreichen will. Daniel Reca tanzt das als Karikatur, aber nie respektlos, sondern einfach amüsant. Die Liebenden fliehen, finden Unterschlupf bei den Zigeunern auf den Feldern.

Getanzt wird im Stil des Flamencos der andalusischen Zigeuner, in einem festen Grundrhythmus, später begleitet von der Gitarre (Komponist Norberto Macedo, 1939 – 2011), muss die Zuschauer packen, der Dämon versetzt die Tänzer in Ekstase. Wie gut, dass im 17. Jahrhundert noch nicht von der «political correctness» gefaselt wurde. Welche Kunstgenüsse wären uns, die wir in der heutigen Zeit leben, dann entgangen.

Ein Windstoß setzt die Windmühle in Bewegung, Don Quixote (Joca Antunes) will gegen diese ankämpfen, wird am Kopf getroffen und fällt in Ohnmacht. Im Traum erscheint ihm seine geliebte Dulcinea. Dieser vertanzte Traum ist ein Höhepunkt des Balletts. Amor (Yoshi Suzuki) und Dulcinea (Luiza Yuk) umschwärmen ihn mit Sprüngen, Pirouetten und großen Bögen und integrieren ihn in ihre Tänze. Er ist wahrlich ein Ritter, ein Mann mit allen menschlichen, sich nach Liebe sehnenden Eigenschaften und tanzt diese. Der Schluss ist ein Happy End: ein grandioses Hochzeitsfest von Kitri und Basilio.

Hier sehen wir originalen Petipa mit seinem Hochzeits-Pas-de-deux im 2. Akt. Es ist die berühmteste Form: Entrée und Adagio für beide Partner, Variation für den Ballerino, Variation für die Ballerina. Coda für beide. Die Mischung aus technischem Anspruch und spanischen Charakterposen steigern sich bis zur Coda, in der die Tänzerin 32 fouettés en tournant (eine peitschende Bewegung des Spielbeins aus dem Knie), natürlich mit dem Fächer als Einheit verschmolzen, in rasenden Drehungen und Armhaltungen darbietet. Kitris Solo im 1. Akt in wahrlich halsbrecherischem Tempo und vieles mehr. Es ist nicht gerecht, allein die Solotänzer zu nennen, ihre hohen «Grand jeté», ihre «Pirouetten», ihre «Plié», ihre «Poisson» und vieles mehr. Man muss es einfach gesehen haben!

Das Corps de ballet, mal nur Tänzer, dann nur Tänzerinnen, bringen diese Figuren in wunderbarer Gemeinsamkeit und Übereinstimmung. Sie tanzen die verschiedensten Figuren und verbinden diese so gleitend, was man in der Musik «legato-Bögen» und in der Oper bei der Stimme «portamenti» nennen würde. Sie alle haben eine solch frohe und positive Stimmung, dass eine winzige technische Ungenauigkeit völlig unwichtig ist und von brasilianischem Temperament und Lebens- und Tanzfreude überstrahlt wird.

Das Bühnenbild von Hélio Euchbauer war stimmig und auf lange Fahnen gemalt, die geschoben wurden. Irgendwie sah man den Pferdekopf und dachte an die treue Rosinante, die man durch Picasso vor dem inneren Auge hat. Die Kostüme von Tânia Agra waren farbenfroh und zeigten das dörfliche Landleben der Zeit. Das Orchester war die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, gegründet 1919 in Landau, heute unter dem Dirigenten Cristoph Gedschold. Geboren in Magdeburg studierte er Klavier und Dirigieren in Leipzig und Hamburg und arbeitete mit vielen bedeutenden Orchestern. Er trug die Tänzer quasi «auf den Händen» und jede Stretta, jede Figur endete richtig auf den Punkt.

Zum Schluss dann wieder die Sprache, die Lyrik. Sancho Pansa findet seinen Herrn in der Bibliothek und geleitet ihn hinaus in die reale Welt. «In ihr haben wir ein Beispiel anderer Tiefe: Tiefe eines Buches, dieses übergroßen Buches. Der ‘Don Quijote’ ist das perspektivische Buch par excellence» (José Ortega y Gasset).

Dann gab es Jubel und Ovationen für die Tänzer, den Dirigenten und Marcia Haidée. Stehende Ovationen für die große, alte Dame des Balletts. Eigentlich hätte man niederknien müssen vor diesen Leistungen, die sich nicht in Worte fassen lassen, denn sie und ihre Compagnie haben sich in die Herzen des Publikums getanzt. Als Schlusswort bleibt nur: «Danke».


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