"Der fliegende Holländer" und "Verdissimo"

Kritik von Inga Dönges zu Pfingstfestspiele 2018 in Baden-Baden - Jahrgang 1813: Geburtsjahr von Giuseppe Verdi und Richard Wagner!

Kritik von Inga Dönges zu Pfingstfestspiele 2018 in Baden-Baden - Jahrgang 1813: Geburtsjahr von Giuseppe Verdi und Richard Wagner!
Foto: Andrea Kremper

Baden-Baden, 22.05.2018, Bericht: Inga Dönges Sie schrieben die Kulturgeschichte der Oper im 19. Jahrhundert weiter und neu, verbanden sie mit dem Leben, den geistigen Werken und der Politik. Waren sie − jeder auf seine Art − Revolutionäre?

Die Pfingstfestspiele 2018 begannen mit Richard Wagner, Der fliegende Holländer, Romantische Oper in drei Aufzügen. Musik Richard Wagner (1813 – 1883), Libretto von ihm selbst nach Heinrich Heine (1834). Uraufführung 1843 in Dresden. Zuerst die Horrorvorgeschichte des Abends: «DER» Holländer, Sir Bryn Terfel erkrankte, der Ersatz John Lundgren aus den USA erwachte am Morgen, aber ohne Stimme. Dann gab es ein vorzügliches künstlerisches Betriebsbüro und Albert Dohmen, zurzeit in Wien, der sich mittags ins Flugzeug setzte, kam, sang und siegte und rettete an diesem Abend die Opernwelt.

So wird ihm als Lohn auch im Stück die Erlösung zuteil. Seine Geschichte treibt ihn nach einem Fluch wie Ahasver, den ewigen Juden, rastlos durch die Meere und der Holländer darf nur alle sieben Jahre an Land. Das Ziel, eine Frau zu finden, die ihm die Treue bis in den eigenen Tod hält.

Ein heftiger Sturm setzt ein, das Schiff des Holländers mit blutrotem Segel wird an die Küste gespült. Dort trifft er auf den norwegischen Seefahrer Daland, der ihm für materiellen Gewinn seine Tochter Senta zum Eheweib anbietet. In der Spinnstube mit den Mädchen des Dorfes singt Senta die Ballade vom Fliegenden Holländer mit großem Mitgefühl für dessen Leid. Eigentlich sind der Jäger Erik und Senta einander als Paar versprochen. Doch Senta hält dem Holländer die Treue bis in den Tod und stürzt sich vom Felsen ins Meer. Das Gespensterschiff versinkt, und der Holländer ist erlöst.

Es ist nicht allein Sentas Edelmut, dass die Oper am heutigen Abend eigentlich «Senta» heißen müsste. Elena Stikhina betrat die Bühne erst im 2. Aufzug, und sie verkörperte alles, was sie sang in makellosem, verständlichem Deutsch. Die russische Sopranistin erhielt ihre Ausbildung am Moskauer Staatlichen Konservatorium und ging ihren Weg als jugendlich dramatischer Sopran. Sie ist ein Stimmwunder und sicherlich eine Anwärterin auf den «Birgit-Nilson-Preis». Ihre Stimme klang so, dass man unwillkürlich an eine der größten Sängerstimmen erinnert wurde. Elena Stikhina hier in Baden-Baden zu entdecken, war der Pfingstfestspiele würdig!

Günther Groissböck sang Daland. 1976 an der Ybbs geboren, ein wahrhaft seriöser Bass, der freischaffend an allen großen Opernhäusern der Welt singt. Er sang im Frack und WAR Daland, ohne dass ein Regisseur seine eigenen Ideen jenseits der Partitur verwirklichen musste − eine Wohltat! Eric Cutler, Okka von der Damerau und Benjamin Bruns trugen zur idealen Vollständigkeit des Ensembles bei. Aber was wäre das alles ohne Valery Gergiev und seine Münchner Philharmoniker gewesen, deren Chefdirigent er seit 2015 ist. Man spürt die Empathie zwischen ihnen, die sicher noch weiter wachsen wird. Dazu der Philharmonische Chor München unter der Leitung von Andreas Herrmann, der an Intensität und Präzision nicht zu überbieten war. Er singt, im Gegensatz zu den leidenschaftlich-dramatischen Holländer und Senta Szenen, ganz frische volkstonmäßige Melodien und charakterisiert so die Umwelt im Tanz der Matrosen, Chor der Spinnerinnen und dem Steuermannlied.

Bild Verdissimo. Foto: Manolo Press/Marcus Gernsbeck Und was hat der Zauberer Gergiev und sein großes Ensemble getan? Sie haben den deutschen Richard Wagner mit Brio und Italianitá gespielt, die Sänger zelebrierten Belcanto und Wagner wurde somit vom Kopf auf die Füße gestellt. Bravo! Damit war die Grundlage für den folgenden Abend im Festspielhaus gelegt, die Hinwendung zu «Verdissimo»: Diana Damrau und Nicolaus Testé mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Ivan Repušić.

Das Orchester wurde 1952 gegründet und darf sich mit den besten Chefdirigenten schmücken, u.a. Lamberto Gardelli (1982 – 1985), Giuseppe Patané (1988 – 1989), Marcello Viotti (1998 – 2004) und nun mit Ivan Repušić. Ihnen allen ist die Musik von Giuseppe Verdi (1813 – 1901) quasi in die Wiege gelegt worden, und sie haben mit der Musik von Verdi gelebt und Ivan Repušić hat sie von Herzen dirigiert. Er wurde 1978 in Kroatien geboren, studierte Dirigieren an der Musikakademie in Zagreb. Sein künstlerischer Weg führte ihn dann solide als 1. Kapellmeister durch viele Opernhäuser, bis er 2016 als GMD an die Staatsoper Hannover berufen und 2017 als Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters gewählt wurde. Die Finessen seiner Generalpausen und damit der Spannungsaufbau waren hervorragend. Diese Fallhöhe hat Verdi einfach verdient.

Der Abend begann mit der Ouvertüre zu «Nabucco». «Und die Juden saßen an den Wassern von Babylon und weinten.» Hier in Baden-Baden sitzen Sie zu beiden Seiten der Oos und warten auf den Neubau der verbrannten Synagoge.

Dann reihten sich wie Perlen an der Kette Verdi-Arien und Ouvertüren aneinander, häufig entnommen aus Raritäten, die es so oft auf der Bühne nicht zu hören gibt. Die Libretti der meisten Opern haben Theaterstücke von Schiller und Shakespeare zur Grundlage. Die von Verdi benutzten literarischen Vorlagen sind politisch, gesellschaftskritisch, ja oft revolutionär. Verdi dachte und handelte in ebensolchen Dimensionen und das findet sich auch alles in seiner Musik: VIVA VERDI!

Diana Damrau und Nicolas Testé betraten jeweils allein oder als Paar die Bühne und verschlugen dem Zuhörer den Atem. Das Kleid von Frau Damrau kann man kaum beschreiben – man betrachte das Foto! Was als Gesang darin steckte, ist kaum zu übertreffen! Zu Recht gilt Diana Damrau zurzeit als beste Sopranistin der Welt und ist dabei ein so natürlicher, warmherziger Mensch geblieben. Sie weiß und lebt, was sie singt. Ihr Können umfasst de lange Liste aller Fähigkeiten eines Soprans. Sie kann einfach alles, und es hört sich leicht und frei an. Eine lose Aufzählung ihrer Arien aus den Opern «I Masnadieri», «La Traviata», «Otello» und dann zur Krönung die Zugabe aus «Vespri Siciliano», mehr kann man eigentlich nicht erträumen.

Und trotzdem gibt es auch für die beste Sängerin der Welt immer noch eine Weiterentwicklung: Sie debütierte in Baden-Baden mit der Gestaltung der Arie der Desdemona «Piangea cantando − Ave Maria, piena die grazia» aus «Otello» in makelloser Phrasierung.

Das war nun natürlich «Ladies first». Die perfekte Harmonie: Diana Damrau und Nicolas Testé sind auch im wirklichen Leben ein Paar: Sie wurde 1971 in Günzburg geboren und er 1970 in Paris; die beiden haben zwei Kinder. Nicolas Testé ist Bass-Bariton mit einer großen Tessitura, die ihm ein weites Spektrum an Partien erlaubt. Er studierte zuerst Klavier, Fagott und Musikgeschichte in Paris, danach absolvierte er die Gesangsausbildung. Seine Persönlichkeit ist beeindruckend, wenn er im Frack mit offenem Hemd die Bühne betritt und sie gehört ihm mit Arien aus «Simon Boccanegra», «Il trovatore», «Macbeth», «Don Carlo». Aus letzterer Oper sang er die Arie des Filippo II «Ella giammai m’amò … Dormirò soi nei manto mio regal», begleitet vom Cello, das ein großes Lob für diese Solo-Leistung verdient. In der Zugabe dann ein weiterer Höhepunkt mit einer Arie aus «I Masnadieri».

Um das Musikglück zu vervollkommnen, gab es Duette aus «I Masnadieri» und «Luisa Miller». Dem alten, passionierten Operngänger kommt es vor, als gäbe es eine Wiederkehr des Gesangsehepaars Mirella Freni und Nicolai Ghiaurov, so warm und elegant waren die Stimmen im Zweiklang.

Beide Abende im Festspielhaus beflügelten die Zuhörer und man kann Friedrich Nietzsche sicher zustimmen: «Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum»!


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