So viel Temperament, so viel Freude im Festspielhaus Baden-Baden - Olga Peretyatko-Mariotti und die Bamberger Symphoniker mit Jakub Hrusa lassen Noten tanzen und singen

So viel Temperament, so viel Freude im Festspielhaus Baden-Baden - Olga Peretyatko-Mariotti und die Bamberger Symphoniker mit Jakub Hrusa lassen Noten tanzen und singen
Foto: Michael Gregonowits

Baden-Baden, 08.05.2018, Bericht: Inga Dönges Ein gelungenes Mixtum compositum aus russischen Liedern, Arien und Tänzen und großer tschechischer Symphonie. Das Programm abseits der sonst bekannten Pfade war eine Bereicherung, um bislang Unbekanntes zu genießen.

Die Bamberger Symphoniker sind ein Orchester mit ungewöhnlicher Geschichte. Sie wurden vor über 70 Jahren gegründet, doch ihre Wurzeln lagen eigentlich in Prag. Aus der &aquo;Sudentendeutschen Philharmonie» wurde in Prag das «Deutsche Philharmonische Orchester» gegründet, und nach dem Zweiten Weltkrieg fanden sie sich zusammen als «Bamberger Symphoniker», die am 20. März 1946 ihr erstes Konzert gaben. Bis heute haben sich die «Bamberger» ihren warmen «böhmischen» Klang erhalten und verlieren nicht die slawischen Wurzeln, sondern sehen es als Erbe, dem sie immer wieder gerecht zu werden versuchen. Schließlich gehörten sie einmal zur Donaumonarchie und die «Wiener» verströmten mit Herzblut diese Wärme.

Nach 10 Jahren beendete der Engländer Jonathan Nott seine Zeit als Chefdirigent der «Bamberger». Ihm folgte 2016 Jakub Hrůša, 1981 in Brünn geboren. Auch er sieht die geographische Lage des Orchesters als Verpflichtung: eine Kreuzung zwischen Böhmen, Österreich, Ungarn und der Slowakei, wo sich verschiedene Kulturen zu ihrem Vorteil mischen. So entstand bei ihm bereits in der Schulzeit die Liebe zur Musik und das Berufsziel des Dirigenten. Mit den «Bamberger Symphonikern» verbinden ihn die Empathie für Phrasierung, Atmung, Farbgebung, Artikulation und Stilistik. «Mein Motto lautet: das Alte zu bewahren und nichts vom Guten zu verlieren, zugleich neue Qualitäten zu kultivieren und neue Horizonte zu eröffnen.» Dem kann man sich anschließen.

Der Abend begann mit Sergei Rachmaninow (1873 – 1943) Sinfonische Tänze op. 45, 3 Teile, entstanden 1940. Es beginnt in c-Moll mit einem langsamen russischen Thema, das dann leidenschaftliche Volkstanzrhythmen ablösen. Im Mittelteil sind es elegische Oboen und Klarinetten, die zu einer Kantilene des Saxophons führen. Der zweite Teil ist ein stilisierter Konzertwalzer, um dann im dritten Teil im Charakter eines symphonischen Finalsatzes zu enden.

Dann betrat Olga Peretyatko-Mariotti die Bühne. Sie bezauberte in einer dezenten Robe, den russischen Liedern und Arien angepasst. Ihre Ausstrahlung ist so groß, dass man schon vor ihrem Gesang gefangen ist. Sie sang aus «Ruslan und Ludmila» von Michail I. Glinka (1804 – 1857) die Cavatine der Ludmila «Grustnye moj …» (Ich bin traurig, mein Vater). Dann von Nikolai Rimski-Korsakow (1844 - 1908) «Plenivshis rozoj solvey» (Gefangen von der Rose) und aus «Die Zarenbraut» die Arie der Marfa «Ivan Sergeyic khoces» (Iwan Sergeitsch, willst Du …). Ihre Stimme hat eine gr0ße Tessitura, schwingt aus dem Mezzo-Bereich in höchste Sopranhöhen, lässt Koloraturen perlen, Phrasierung und (unhörbare) Atmung sind perfekt. Dem Zuhörer verschlägt es die Sprache, bevor er in die Pause entlassen wird.

Im zweiten Teil wieder Sergey Rachmaninow und die ansteigende Dramatik dokumentierte schon das wunderschöne rote Abendkleid der Sängerin. Sie sang drei Lieder, «Ne poy, krasavica, pri mne» (Sing nicht du Schöne), «Zdes khoroso» (Wie schön es hier ist) und die sogenannte «Vokalise» op 34/14, die man speziell bewundern muss. Zur Erklärung: eine Vokalise ist ein Übungsstück nur mit Vokalen, also ohne Solmisations-Silben wie z.B. do, re, mi …. Sie sang mit traumhaftem Legato, auf dem Atem − nur dem Zuhörer blieb fast die Luft weg über solcher Präzision und Kunst − Brava! Es gab eine traumhafte Zugabe als Dank an den tschechischen Dirigenten: Antonin Dvořák, Rusalka, «Das Lied an den Mond». Sie sang einfach engelsgleich und muss den Vergleich mit berühmten Vorgängerinnen wie Lucia Popp oder Edita Gruberova nicht scheuen, denn diese sangen die Arie in ihrer Muttersprache.

Es folgte die große Dvořák Symphonie, das Dirigentenpult wurde fortgeräumt: also ein auswendiges Dirigat ohne Hilfe der Partitur. Antonin Dvořák wurde 1841 in Böhmen geboren als Sohn eines Fleischhauers und Gastwirts. Als Sechzehnjähriger kam er zum Musikstudium nach Prag und erhielt 1873 einen österreichischen Staatspreis von einer Jury, zu der unter anderen Brahms und Hanslick gehörten. Beethoven und Schubert, wie auch Smetana machten ihn mit ihrem kompositorischen Einfluss zum bedeutendsten tschechischen Komponisten.

Symphonie Nr. 4, G-Dur (später Nr. 8) wurde 1889 in weniger als drei Monaten geschrieben. Er konnte sich mit seinem Berliner Verleger Simrock nicht über die Drucklegung einigen, und so wurde die Partitur durch Novello in London veröffentlicht. Die Uraufführung war 1890 in Prag, 1891 dann in Wien unter Hans Richter. In London wurde diese Symphonie 1890 von Antonin Dvořák selbst aufgeführt, später 1893 dann auf der Weltausstellung in Chicago.

Der 1. Satz wird hauptsächlich von Flöte, Cello und Bratschen geführt. Der 2. Satz entwickelt sich als freier Balladensatz: feierliche Kirchenmusik, Serenaden, Marschlänge schließen sich im Finale glücklich zusammen. Der 3. Satz hat einen beschwingt fließenden Eindruck. Das Scherzo steht in g-Moll, das Trio in G-Dur, Flöte und Oboe geben die Melodien. Der 4. Satz beginnt mit einer Trompetenfanfare, gefolgt im Mittelteil von einem Marsch, um dann mit Variationen über die Paraphrase des Hauptthemas des 1. Satzes auszuklingen.

Großer Beifall des Publikums, und es gab tatsächlich eine Zugabe: Johannes Brahms, Ungarischer Tanz Nr. 21. Es war so viel Temperament, soviel Freude in der Musik, dass man beschwingt das Festspielhaus verließ. Nur fragte man sich, warum kaum Baden-Badener Bürger bei diesem Konzert dabei waren. Sind sie sich des Juwels in ihrer Stadt nicht bewusst?


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