Ausstellung vom 24. April bis 24. Oktober 2021

Stadtmuseum Baden-Baden eröffnet Online-Ausstellung: „Gurs 1940“ – Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus in Baden-Baden

Stadtmuseum Baden-Baden eröffnet Online-Ausstellung: „Gurs 1940“ – Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus in Baden-Baden
Vlnr.: Stadtrat Hochstuhl, OB Mergen, Angelika Schindler vom Arbeitskreis Stolpersteine und Heike Kronenwett vom Stadtmuseum.

Bild Reyhan Celik Bericht von Reyhan Celik
24.04.2021, 00:00 Uhr



Baden-Baden Die Ausstellung «Gurs 1940» thematisiert die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus Südwestdeutschland nach Südfrankreich vor 80 Jahren und wurde von der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz gestaltet.

Coronabedingt können Interessierte die Ausstellung aktuell nicht im Stadtmuseum besichtigen, doch das Museumsteam hoffe, «sobald es möglich ist, Besucher in der Ausstellung begrüßen zu dürfen». Gestern stellten Oberbürgermeisterin Margret Mergen, Stadtrat Kurt Hochstuhl, Angelika Schindler vom Arbeitskreis Stolpersteine, Heike Kronenwett, Leiterin des Stadtmuseums, sowie Dagmar Rumpf, Leiterin des Stadtarchivs, in einem Pressegespräch die Ausstellung vor. Hierzu sendet goodnews4 am Montag ein VIDEO-Interview mit Oberbürgermeisterin Margret Mergen.

PDF Katalogbroschüre “Gurs 1940”

Mehr: www.gurs1940.de

Vorgestellt wurde auch das virtuelle Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus in Baden-Baden. Das Projekt wurde von Historiker und Stadtrat Kurt Hochstuhl initiiert und gemeinsam mit dem Stadtmuseum und -archiv getragen. Gewidmet wurde es über 800 Männern, Frauen und Kindern, die entweder in Baden-Baden geboren wurden oder gewohnt haben und während zur Zeit des Nationalsozialismus aufgrund ihres Glaubens, ihrer Überzeugungen, ihrer Herkunft oder einer Erkrankung ausgegrenzt, gedemütigt, verfolgt und in vielen Fällen ermordet wurden.

Mehr: gedenkbuch.baden-baden.de

Die Rede von SPD-Stadtrat Kurt Hochstuhl zur Ausstellungseröffnung und Präsentation des digitalen Gedenkbuchs für die Opfer des Nationalsozialismus in Baden-Baden:

Herzlich willkommen zu dieser Ausstellungseröffnung, verbunden mit der erstmaligen Digitalen Präsentation des digitalen Buchs der Opfer des Nationalsozialismus in Baden-Baden. Die – ich nenne sie mal – Traditionalisten werden stöhnen, «schon wieder ein Gedenkbuch» und fordern, warum ziehen wir nicht endlich einen Schlussstrich unter unsere Vergangenheit und die unserer Vorfahren. Andere werden sagen, «endlich auch ein Gedenkbuch» für Baden-Baden, das ja in der Mitte des letzten Jahrhunderts einen vergleichsweise hohen Anteil an jüdischen Mitbürger*innen an der städtischen Bevölkerung aufwies. Und sie könnten dabei auf viele vergleichbare Projekte anderer Kommunen – Karlsruhe, Freiburg, Offenburg, Lörrach - verweisen, die sich 0diesem wichtigen Bereich der lokalen Gedenk- und Erinnerungskultur schon seit längerem widmeten. Dies wollten wir für Baden-Baden – verspätet, aber noch nicht zu spät – nachholen.

 

Andere Vorbilder sollen und dürfen dabei nicht vergessen werden: Um nur eines zu nennen: das Gedenkbuch des Bundesarchivs für «die Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933–1945», das 1986 begonnen wurde und seit 2007 im Internet abrufbar ist.

Pionierarbeit in Sachen kommunaler Erinnerungskultur leistete der Kölner Künstler Gunter Demnig, der 1992 begann, kleine Gedenktafeln vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern von NS-Opfern in den Boden einzulassen, um damit zumindest deren Namen und ihre wichtigsten biografischen Daten im öffentlichen Raum zu platzieren. Über 75.000 solcher Stolpersteine in 26 europäischen Ländern sind derzeit die beeindruckende Zwischenbilanz dieses Erinnerungsprojekts – größtes dezentrales Mahnmal der Welt. 114 verlegte Stolpersteine in Baden-Baden.

Erwähnung: Verdienstvolle Buch von Angelika Schindler – Der Verbrannte Traum, 2. Auflage in 2013 – in vielen Bereichen bis heute Orientierung gebend und unumwunden die zentrale Publikation zur Geschichte der Juden in Baden-Baden. Danke daher auch für Ihre spontane Mitarbeit in diesem Gemeinschaftsprojekt.

Und doch wird mit den Stolpersteinen nur ein Bruchteil der Menschen erfasst, die dem nationalsozialistischen Rassenwahn ausgeliefert waren, die wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung und aus vielfältigen anderen Gründen Diskriminierung, Ausgrenzung, Ausraubung, Verlust ihrer Heimat, Verfolgung, Freiheitsberaubung und Tod erfuhren. Darunter fallen natürlich in erster Linie die jüdischen Opfer, aber daneben auch die politisch Verfolgten, der kirchliche Widerstand inkl. der Ernsten Bibelforscher, die Opfer der Euthanasie wie die wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgten. Die vorhandenen Wissenslücken zu füllen und damit unsere ehemaligen Mitbürger und Mitbürgerinnen aus Baden-Baden dem Vergessen zu entreißen, ihnen mit ihrem Namen einen Teil ihrer geraubten Würde wiederzugeben, ist Sinn und Zweck des virtuellen Opferbuchs, das heute - nach heftigen Monaten Arbeit – in einer ersten Version online geht. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, weder im Hinblick auf die darin aufgeführten Individuen, noch insbesondere in Bezug auf die über sie wiedergegebenen Informationen biografischer Natur.

Vielmehr sollte es Impulse für einen Prozess öffentlicher Teilnahme geben. Sei es, dass zu einzelnen Personen vorhandenes familiäres Wissen die bürokratischen Akteninhalte ergänzen, sei es, dass die vorhandenen Informationen – möglicherweise auch im schulischen Unterricht als Ausgangspunkt für eine tiefergehende Beschäftigung mit der jeweiligen Person und ihr Leben in ihrer Zeit genutzt werden.

Die hier präsentierten Informationen basieren zum einen auf der Überlieferung des Stadtarchivs Baden-Baden. Dieses hat schon früh eine interne Personendatenbank zur NS-Dokumentation aufgebaut, die in das Gedenkbuch integriert werden konnte. Von großem Quellenwert sind insbesondere die Aktenbestände der (damals noch kommunalen) Polizeidirektion der Stadt. Als besonders ergiebige Quellen erweisen sich dabei die Gesuche der jüdischen Mitbürger um Auswanderungserlaubnis, die vor allem nach dem November 1938 in großer Zahl gestellt wurden. Als Teil des Auswanderungsantrags und möglicherweise als Baden-Badener Besonderheit forderte das Passbüro der Polizeidirektion dabei Lebensläufe der Antragsteller ein, die Teil der Akten geworden sind und heute zu jenen raren «Ego-Dokumenten» gehören, in denen sich die Selbstwahrnehmung der Antragssteller und deren Selbstverständnis als historische Subjekte unmittelbar widerspiegeln.

Weitere Informationen zu den Personen, insbesondere dem Schicksal der jüdischen Mitbürger*innen nach wirtschaftlicher Ausbeutung, Vertreibung, Deportation oder Emigration, finden sich in den Akten zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, die heute im Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg verwahrt werden. In diesem Falle saß der Knabe tatsächlich an der Quelle!

Eine ebenso ergiebige Überlieferung im Hinblick auf die Verfolgung abweichenden Verhaltens verwahrt das Generallandesarchiv Karlsruhe in der Überlieferung des Sondergerichts Mannheim und möglicherweise des Sammelbestandes 309 Staatsanwaltschaften – eine Aufgabe für die Nach-Corona-Zeit.

Derzeit 562 Biogramme freigeschaltet – was fast etwas mehr als der Hälfte der bislang bekannten Opfer entspricht. Einige Fälle unterliegen noch den personenschutzrechtlichen Auflagen der Archivgesetze.

Es eröffnen sich vielfältige Nutzungsformen – als kleiner Beitrag zu einer dringend nötigen wissenschaftlichen Stadtgeschichte des 19. und 20. Jahrhundert, Verwendung im schulischen Unterricht und/oder im Bereich der Politischen Bildung, wenn man z.B. für einen Platz in der Stadt einen würdigen Namensgeber sucht.

Bleibt mir nur übrig den Mitstreiterinnen Dank zu sagen, denn dass diese Präsentation so herzeigbar ist, ist überwiegender Verdienst von Museumsleiterin Heike Kronenwett und Stadtarchivarin Dagmar Rumpf. Sie mussten, zusammen mit ihrem Team, Mehrfachrollen einnehmen. Als Steuerfrauen, als Chefinnen des Maschinenraums, als Schreibkräfte und Lektorinnen sorgten sie dafür, dass die Zähnchen ineinandergriffen und das zeitlich wie inhaltlich ambitionierte Projekte durch Wind und Wetter in den sicheren, nichts vergessenden Hafen des Internets geleitet werden konnte.

Kurt Hochstuhl


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