Aus dem Rathaus Baden-Baden

Brett Levi referierte im RWG – Das Schicksal der kleinen Miriam ist bis heute nicht geklärt

Brett Levi referierte im RWG – Das Schicksal der kleinen Miriam ist bis heute nicht geklärt
Zeitzeugengespräch: Aryeh Levi erzählt den Schülern des RWG seine bewegende Familiengeschichte. Foto: Stadt/Richard-Wagner-Gymnasium

Baden-Baden, 14.11.2019, Bericht: Rathaus In der Woche des Gedenkens an die Reichspogromnacht besuchte Aryeh Brett Levi das Richard-Wagner-Gymnasium, RWG. Er hielt einen Zeitzeugenvortrag für die Schüler der Kursstufe 1, in englischer Sprache.

Brett Levi lebt in New York und schreibt dort gerade seine Dissertation über die Entwicklung des ultraorthodoxen Judentums seit dem Zweiten Weltkrieg. Er beschäftigt sich viel mit der deutsch-jüdischen Geschichte sowie seiner Familiengeschichte, durch die er mit Baden-Baden verbunden ist. goodnews4.de berichtete.

Seine Urgroßeltern Babette und Ferdinand Odenheimer eröffneten in der Kurstadt das Central-Hotel in der Stephanienstraße 2, unweit der 1938 zerstörten Synagoge, das jüdischen Kurgästen koschere Verpflegung anbot. Noch heute sieht man die Reste der Mesusa, die nach jüdischer Sitte an das Glaubensbekenntnis erinnert und dem jüdischen Haus Segen bringen soll, an der Eingangstür. Die Vorfahren von Levi erlebten in unserer Region eine glückliche Kindheit, feierten die jüdischen Feste und verbrachten ihre Freizeit mit Sport und Wanderungen im Schwarzwald. Sie waren stolze deutsch-jüdische Patrioten, die als Soldaten im Ersten Weltkrieg kämpften und den Geburtstag des Dichters Friedrich Schillers feierten. Mit der Nazizeit endete diese unbeschwerte Zeit jäh. Als die Großeltern von Aryeh Levi in ihrer Schule in Rastatt antisemitisch angefeindet wurden und der Schulleiter sich weigerte, einzuschreiten, entschloss sich die Familie zur Flucht nach Frankreich. Dort wurden sie nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wegen ihrer deutschen Staatsangehörigkeit von den Franzosen interniert. Nach dem Fall Frankreichs hatten sie Glück im Unglück: Als die deutschen Truppen das Lager übernahmen und nun Juden internierten, stellte sich heraus, dass der Militärkommandant während des Ersten Weltkriegs ein Kamerad des Familienvaters war. So konnte die Familie flüchten und sich zunächst auf einem Bauernhof verstecken. Als dem Bauer die Lage zu gefährlich wurde, musste die Familie den Hof verlassen und flüchtete nach Toulouse, von wo aus sie mit gefälschten Papieren an die Schweizer Grenze gelangte. Leider hatte die Schweiz gerade zu dieser Zeit ihre Grenzen für jüdische Flüchtlinge geschlossen. Auf abenteuerliche Weise gelangte die Familie mit Hilfe der Resistance über die Alpen trotzdem in die Schweiz, wo sie überlebte. Andere Teile der Familie schafften es nicht zu entkommen und wurden ermordet. Ein Urgroßvater von Levi wurde nach Gurs deportiert und starb dort, andere hatten ein kubanisches Visum erhalten und verließen Deutschland mit dem Flüchtlingsschiff St. Louis, dem auf herzlose Weise die Landung in Kuba und den USA verwehrt wurde. Das Schiff wurde nach Europa zurückgeschickt, wo viele der Passagiere Opfer des Holocausts wurden. Zwei Kinder der Familie konnten über Kindertransporte in Sicherheit gebracht werden, das Schicksal der kleinen Miriam, die dafür noch zu klein war, ist leider bis heute nicht geklärt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entschied der Levis Großvater, dass eine Zukunft der Familie in Europa nicht sicher wäre, so wanderten sie in die USA aus, wo sie sich aus dem Nichts eine neue Existenz aufbauen mussten. Heute lebt der Großteil der Familie in den USA, einige auch in Straßburg. Dennoch riss die Verbindung zu Deutschland nicht ab. Aryeh Levi besuchte mit seinen Eltern schon als Kind Deutschland und suchte hier nach den Wurzeln seiner Familie. Engagierte Bürger sowie Historiker halfen ihnen dabei. Trotz des tiefen Risses der Vergangenheit und der Enttäuschung über die Verfolgung durch das Land, dem sie als Patrioten die Treue gehalten hatten, fühlen sie sich immer noch an den Lebensorten ihrer Vorfahren heimisch und schätzen die demokratische Entwicklung unseres Landes. Levi sagte: «Baden-Baden is my home, even though I was not born there.»

Die Schüler des RWG folgten dem Vortrag gespannt und stellten Aryeh Levi viele Fragen, auch zur heutigen politischen Situation in den USA. Er freute sich sehr über den Austausch mit der heutigen Jugendgeneration und betonte, die Verantwortung der Generation der Nachgeborenen sei es, als Lehre aus der deutschen Geschichte immer für Menschenrechte und Demokratie einzutreten, «damit wir gemeinsam eine bessere Zukunft schaffen».


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