SPD stimmt für Koalitionsverhandlungen

Kilian Krumm zur SPD-Entscheidung für die GroKo - „Dass diese Wähler zu AfD oder Linkspartei abwandern“ - Da hilft es nichts, wenn wir die weiter beschimpfen“

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goodnews4-O-TON-Interview von Nadja Milke mit Kilian Krumm

Baden-Baden, 22.01.2018, Bericht: Christian Frietsch Kilian Krumm für die SPD hätte zusammen mit Konstantin Krichbaum, CDU, so etwas wie ein kommunalpolitischer Frühling für das politische Baden-Baden sein können. Bei der Kommunalwahl 2014 kam es anders.

Einen Generations- und Politikwechsel wird es nach dem SPD-Parteitagsvotum auch in Berlin kaum geben. Im goodnews4-O-TON-Interview analysierte Kilian Krumm die Abstimmung von Bonn auch mit einem interessanten Hinweis auf die Ergebnis-Arithmetik. Das 362 zu 279 Ergebnis sieht aus seiner Sicht nur auf den ersten Blick deutlich aus. «Wenn man von den 645 Delegierten 45 Mitglieder des Parteivorstandes rausrechnen würde, dann ist es eine Pattsituation.» Und bei der Bewertung einer zukünftigen Geschäftsgrundlage sieht er erstmal «den Vertrauensbruch zur CDU». Bei der Bewertung der Existenzchance der SPD innerhalb des größer gewordenen Parteienspektrums sieht er essentielle Themen, die von seiner Partei nicht realisiert werden: «Wir reden nicht über eine Vermögenssteuer, wir reden auch über keine sonstige Umverteilungskomponente.» Kilian Krumm sorgt sich, dass «viele Leute sich von einer SPD-Regierung mehr erwarten und diese Leute haben wir enttäuscht.» Er befürchtet, dass diese Wähler zur AfD oder zur Linkspartei abwandern, «das sind aber unsere Wähler und da hilft es auch nichts, wenn wir die weiter beschimpfen, sondern da müssen wir uns echt mal an die eigene Nase fassen und schauen wie wir unsere Partei wieder so aufstellen, dass sie wieder eine linke, stolze Volkspartei ist.»

Und mit Baden-Baden hat Kilian Krumm nach 10 Jahren Kommunalpolitik noch nicht abgeschlossen: «Bei der nächsten Kommunalwahl sicherlich nicht und was dann später die Zukunft bringt, muss man schauen.»


Abschrift des goodnews4-O-TON-Interviews mit Kilian Krumm:

goodnews4: Kilian Krumm, lange haben Sie in Baden-Baden gelebt, sind hier aufgewachsen, waren Ortschaftsrat in Sandweier und haben bei der letzten Gemeinderatswahl für die SPD kandidiert. Nun in Augsburg für die Gewerkschaft IG Metall tätig. Was ist Ihr Kommentar zum SPD-Ergebnis heute?

Kilian Krumm: Das Ergebnis ist allenfalls spannen, denn es war ja doch sehr knapp 362 zu 279 Stimmen, wenn man sich die Verteilung anschaut, dass insgesamt von den 645 Delegierten 45 Mitglieder des Parteivorstandes sind. Wenn man die rausrechnen würde, da war ja quasi absehbar wie die stimmen, es gab einen nahezu einstimmigen Parteivorstandsbeschluss, dann ist es eine Pattsituation und ich glaube, dass es nicht nur ein reines Abstimmungsergebnis ist, sondern das war durchaus ein Ausrufezeichen, auch an die Führungsspitze der Partei, auch an diejenigen, die jetzt die durchaus schwierige Aufgabe haben, weitere Koalitionsverhandlungen führen zu müssen, dass es so einfach nicht weitergeht, sondern dass die Debatte mit dem Erneuerungsprozess in die Breite getragen werden muss und wirklich an der Basis geführt werden muss.

goodnews4: Wie schätzen Sie denn die Stimmung ein an der SPD-Basis?

Kilian Krumm: Die ist gespalten und das macht mir tatsächlich auch momentan ein bisschen Angst. Bisher hatten wir in der SPD immer mal wieder verschiedene Lager zwischen dem rechten Parteiflügel und dem eher linkeren Parteiflügel, jetzt sehe ich eine diffusere Lage. Es gibt viele Leute, die jetzt wirklich frustriert sind, auch nach dem Abstimmungsergebnis. Ich bin natürlich in zahlreichen Verteilern, auch mit Juso-Genossinnen und Genossen, die allesamt jetzt dann doch entsetzt waren über dieses knappe Ergebnis. Man hat natürlich Angst vor dem, was jetzt kommt, weil man glaubt, dass wieder so ein Automatismus wie bei der letzten Wahl eingeleitet wird, dass jetzt, wenn die Weichen gestellt sind, es unausweichlich in eine neue Große Koalition führt. Die Argumentation, die der Parteivorstand anführt, dass Opposition quasi Mist ist, das alte Franz Müntefering Zitat. Das ist ein Bild, das da gezeichnet wird, das die Realität nicht hergibt, weil jeder, der Zahlen lesen kann, weiß, dass wir nach der ersten Großen Koalition 2009 11,2 Prozent verloren haben, 2017 5,2 und nach Schwarz-Gelb tatsächlich leicht gestärkt mal mit 2,7 Prozent rausgekommen sind. Ich glaube tatsächlich, dass viele Leute an der Basis Angst haben, dass es wieder diesen Automatismus in die Große Koalition hinein gibt, dass das zu einer Frustration führen wird und dass dann natürlich auch die Mobilisierung unserer eigenen Leute für einen nächsten Wahlkampf − egal wie schnell er kommt oder eben erst wieder in dreieinhalb Jahren − zunehmend schwieriger wird.

goodnews4: Der Juso-Vorsitzende spielte in den letzten Wochen eine beachtete Rolle bei der Meinungsbildung in der SPD. Sie kennen ihn persönlich. Resultieren seine Positionen wesentlich aus der klassischen Aufmüpfigkeit der Jugendorganisation oder sehen Sie darin eine mehrheitsfähige Orientierung für die ganze SPD?

Kilian Krumm: Ich glaube schon, dass Kevin Kühnert momentan einen astreinen Job macht. Er schafft es wirklich, auf einem sehr hohen, selbstreflektierenden Niveau die Meinung darzustellen, ohne zu spalten in dieser sehr angespannten Lage, und ich glaube er vertritt damit weit mehr als nur die Jugendorganisation. Wenn man das Ergebnis von heute anschaut, 44 Prozent, die Nein sagen, dann waren das nicht 44 Prozent Jusos, sondern er trifft da wirklich den Ton für eine breite Menge in der Partei, die halt eben sagt, so kann es nicht weitergehen. Da muss man wirklich froh sein, das man in so einer Situation so einen Juso-Bundesvorsitzenden hat, der diese Rolle wirklich astrein spielen kann. Das macht er wirklich gut und ich glaube, da wird man in den nächsten Wochen, auch nach den Koalitionsverhandlungen, noch einiges hören, weil man darf ja nicht vergessen, die Sache ist nicht entschieden, es gibt einen Mitgliederentscheid und da werden alle 460.000 SPD-Mitglieder abstimmen und das wird dann eine spannende Endsituation sein.

goodnews4: Was empfehlen Sie denn Ihrer Partei nun für die Rolle in Berlin?

Kilian Krumm: Ich glaube tatsächlich, dass wir den Erneuerungsprozess sehr intensiv angehen müssen, sehr stark in die Breite und an die Basis tragen müssen. Wir haben drei Probleme. Wir haben erstens den Vertrauensbruch zur CDU, der immer wieder vorgekommen ist, auch daran hat Kevin Kühnert heute in seiner Rede erinnert. Wir wollen jetzt einen neuen Koalitionsvertrag verhandeln, haben aber nicht mal die Punkte des alten Koalitionsvertrags abgearbeitet, Stichwort «Rückkehr von Teilzeit auf Vollzeit», insbesondere wichtig für viele Frauen, die in Teilzeitarbeitsverhältnissen geradezu gefangen sind. Das ist natürlich ein elementarer Punkt. Die zweite Sache, die jetzt erst aktuell passiert ist mit dem Alleingang der CDU, beziehungsweise CSU, müsste man korrekterweise sagen, in Brüssel bei der Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat, was auch gegen sämtliche besprochene Parteilinien war. Das schürt bei uns natürlich schon einen ganz gewaltigen Ärger, weil man natürlich sagt, inwiefern ist die CDU überhaupt noch vertragstreu, egal was wir da jetzt verhandeln. Da wäre ein etwas vertragstreueres Verhalten der CDU durchaus angezeigt. Dazu kommt natürlich ein Haufen Beleidigungen, man hat ja in den letzten Tagen viel gehört − «Zwergenaufstand», die SPD hätte ihre Jugend nicht unter Kontrolle. Zwergenaufstand oder Zwerge mag es vielleicht bei der Jungen Union geben − das an die Adresse von Herrn Dobrinth − aber bei uns ist es doch ein sehr mündiger und sehr kritischer Jugendverband, der in der Geschichte der SPD schon immer eine sehr große Rolle gespielt hat und den man auf keinen Fall unterschätzen sollte. Und dann ist das Dritte natürlich das Glaubwürdigkeitsdilemma, das die SPD in sich selbst hat, wenn sie nach einer Wahl hingeht und sagt, wir werden auf keinen Fall koalieren und wir werden in die Opposition gehen und jetzt genau das passiert. Natürlich ist in der Zwischenzeit viel passiert, aber diese Glaubwürdigkeitsfallen erlebt die SPD in den letzten Jahren immer wieder. Wir müssen einfach auch ein bisschen auf uns selbst achten, ich erinnere da an das alte Zitat von dem altehrwürdigen Johannes Rau, der mal gesagt hat: «Man muss sagen, was man tut, und tun, was man sagt.» Ich glaube, das muss wieder Leitschnur der SPD werden. Und was den programmatischen Prozess angeht, den die SPD durchlaufen muss, da müssen wir uns zwingend die Frage stellen, wenn wir als Volkspartei weiter wahrgenommen werden wollen: Was sind denn tatsächlich die wichtigen Themen? Wir erleben immer wieder, dass die SPD in einen Wahlkampf geht mit einem Blumenstrauß an Themen, was alles wichtig seie, aber die wirklich zentrale Frage, was eigentlich die Visitenkarte der SPD ist, das Versprechen, dass es mit einer SPD-Regierung den Menschen besser geht, das lässt sich in der Empirie nicht immer feststellen, wenn man sieht, das auch nach SPD-Regierungsbeteiligung die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander geht. Die SPD wird sich schon auch daran messen lassen müssen wie sie es schafft, Armut zu reduzieren, wie sie es schafft, mehr Leute vom ganzen Kuchen teilhaben zu lassen. Diese Punkte sehe ich eben im Koalitionsvertrag nicht. Wir reden nicht über eine Vermögenssteuer, wir reden auch über keine sonstige Umverteilungskomponente und das wird schwer sein, denn ich glaube, dass wir tatsächlich auch jetzt schon in einem gespaltenen Land leben und dass viele Leute sich von einer SPD-Regierung mehr erwarten und diese Leute haben wir enttäuscht. Die wandern zur AfD ab, die wandern zur Linkspartei ab, das sind aber unsere Wähler und da hilft es auch nichts, wenn wir die weiter beschimpfen, sondern da müssen wir uns echt mal an die eigene Nase fassen und schauen wie wir unsere Partei wieder so aufstellen, dass sie wieder eine linke, stolze Volkspartei ist.

goodnews4: Und eine Frage muss sein: Sie sind Anfang 30, könnte es ein kommunalpolitisches Wiedersehen in Baden-Baden geben, irgendwann?

Kilian Krumm: Ich kann das jetzt momentan aus dem Stand nicht ausschließen. Ich bin zehn Jahre lang Mitglied in der SPD, bin jetzt aber auch ein Jahr lang ohne jedes Amt, ich lebe mittlerweile in Augsburg, habe hier meinen Lebensschwerpunkt. Das wird auch erstmal so bleiben. Also man wird mich bei der nächsten Kommunalwahl auf keiner Liste in Baden-Baden sehen. Es ist auch, glaube ich, ganz wichtig, dass man mal ein paar Jahre weg ist, sowohl ein paar Jahre weg von seiner Heimatstadt, als auch weg von irgendwelchen SPD-Ämtern, um eben auch den Blick von außen zu schärfen. Ich bin ein politischer Mensch, das weiß man, und ich verfolge natürlich sehr genau, was in Baden-Baden passiert und nicht passiert. Aber wie gesagt, ich genieße es, jetzt momentan eine gewisse Abstinenz zu haben. Bei der nächsten Kommunalwahl sicherlich nicht und was dann später die Zukunft bringt, muss man schauen.

goodnews4: Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Nadja Milke für goodnews4.de

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goodnews4-O-TON-Interview von Nadja Milke mit Kilian Krumm


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