Aus dem Rathaus Baden-Baden

Spannung vor Welterbekomitee-Entscheidung – „Great Spas of Europe“

Spannung vor Welterbekomitee-Entscheidung – „Great Spas of Europe“
Karlovy Vary (Karlsbad): Blick auf das Zentrum des Kurstadt-Ensembles und die umgebende Kurlandschaft. Foto: Volkmar Eidloth

Baden-Baden, 20.06.2020, Bericht: Rathaus Die «Great Spas of Europe», eine Gruppe der elf bedeutendsten Kurstädte aus sieben europäischen Ländern, haben im Januar 2019 ihre Bewerbung als UNESCO-Welterbe eingereicht.

Das Land Baden-Württemberg und die Stadt Baden-Baden erwarten gemeinsam mit den übrigen zehn Städten nun voller Spannung die Entscheidung des Welterbekomitees, die Corona-bedingt verschoben werden musste. Die Stadt Baden-Baden veröffentlicht in Kooperation mit den Institutionen der beteiligten Autorinnen und Autoren eine Artikelserie zu den «Great Spas of Europe». In dieser Woche widmet sich Volkmar Eidloth, Hauptkonservator im Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg, dem außergewöhnlichen universellen Wert der «Great Spas of Europe».

Transnationale Zusammenarbeit

Die transnationale serielle Nominierung der «Great Spas of Europe» hat ein enges Band aus fachlicher Kooperation und menschlichen Kontakten zwischen den teilnehmenden Ländern geknüpft. Gestützt auf eine komplexe Projektarchitektur, die in zahlreichen Arbeits- und Steuerungsgruppen Ziele, Strategien und Methoden definierte, wurde in den vergangenen Jahren ein noch nie dagewesenes transeuropäisches Projekt von elf Städten in sieben europäischen Ländern erarbeitet.

Durch eine gemeinsame Vision, grenzüberschreitende Kooperation und die Idee eines von allen getragenen kulturellen Erbes geriet das Projekt zu einer bereichernden Reise für alle Beteiligten. Ein besonderes Anliegen ist es Ihnen, dass die «Great Spas of Europe» auch in Zukunft verbinden werden, denn geteiltes Erbe bedeutet auch geteilte Verantwortung.

Die «Great Spas of Europe» – Elf Städte ein Welterbe

Im Artikel der letzten Woche wurde das Bewerbungsverfahren für die UNESCO-Welterbeliste allgemein beschrieben sowie die Bedeutung des außergewöhnlichen universellen Wertes als Voraussetzung für die Einschreibung.

Um das Phänomen der europäischen Kurtradition in seiner Komplexität zu erfassen, lag eine serielle Bewerbung für die Welterbeliste nahe. Nur so konnte ihre historische geographische Größenordnung und Verbreitung sowie die Vielfalt ihrer materiellen kulturgeschichtlichen Überlieferung gespiegelt werden. Die elf nominierten Kurstädte verstehen sich dabei als die bedeutendsten Vertreter der europäischen Kurtradition und besitzen als Verbund einen außergewöhnlichen universellen Wert.

Solche sogenannten seriellen Welterbeanträge und im speziellen gemeinsame Anträge von mehreren Ländern haben in jüngerer Zeit zugenommen. Es handelt sich dabei entweder um sich über Ländergrenzen hinweg erstreckende Denkmale oder mehrere abgegrenzte Teile in verschiedenen Vertragsstaaten der Welterbekonvention, die in ihrer Gesamtheit die Welterbestätte bilden. Beispiele solcher internationalen Welterbebewerbungen, an denen Baden-Württemberg beteiligt war, sind die 2005 um den Obergermanischen-Raetischen Limes erweitere Welterbestätte «Grenzen des römischen Reiches» oder die 2016 eingeschriebene Welterbestätte «Das architektonische Werk von Le Corbusier», das die innovative und zukunftsweisende Architektur des schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier in Frankreich, Belgien, Deutschland, Schweiz, Indien, Japan und Argentinien umfasst.

Die besonderen Merkmale der «Great Spas of Europe»

Die globale Bedeutung und der außergewöhnliche universelle Wert begründen sich darin, dass die «Great Spas of Europe» ein repräsentatives Zeugnis des komplexen siedlungsgeschichtlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Phänomens der europäischen Kurtradition darstellen. Die Wurzeln dieser Tradition reichen bis in die Antike zurück, doch erlebte sie ihren Höhepunkt im 18. und langen 19. Jahrhundert.

Traditionelle Badekulturen gibt es in vielen Teilen der Erde; von diesen unterscheidet sich die «europäische» Kurtradition maßgeblich darin, dass die Nutzung von Heilquellen über die Jahrhunderte zur Entwicklung eines besonderen Siedlungstypus führte – die europäische Kurstadt.

Ensemble Kurstadt

Den funktionalen Mittelpunkt der Kurstädte bildet die Nutzung der Quellen – zunächst zum Baden ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert zunehmend auch für die Trinkkur. In diesem Zusammenhang etablierte sich ein Bauprogramm, das bis heute als kennzeichnend für Kurorte gilt und den architektonischen Typus der Kurstadt begründete.

Die großen internationalen Kurstädte, für die die «Great Spas of Europe» stehen, weisen neben den einschlägigen Kureinrichtungen wie Trink- und Wandelhallen, Gesellschaftsbädern, Kurhäusern und Kurparks insbesondere umfangreiche Villengebiete aber auch geschlossen bebaute repräsentative Wohnquartiere auf. Dazu kommen ein den hohen Gästezahlen entsprechend reicher Bestand an Hotels und Pensionen, eine «moderne» technische Infrastruktur sowie vielfältige Freizeiteinrichtungen in Form von Spielcasinos und Sportanlagen. Ein wichtiges Merkmal ist zudem der enge Verbund mit der umgebenden Landschaft.

Die Welt zu Gast

Bis Ende des 19. Jahrhunderts gab es europaweit mehr als 1500 Bade- und Kurorte. Das Spektrum reichte dabei von Bädern mit lediglich regionaler Bedeutung auf der einen, bis zu Kurstädten von internationalem Rang auf der anderen Seite. Letztere besaßen europaweite Anziehungskraft und insbesondere die europäische Oberschicht genoss die Vorzüge der Kurstädte. Der europäische Adel, Politiker, wohlhabende Industrielle und Künstler verbrachten ihre Sommer in den berühmten Kurstädten ihrer Zeit. Namenszusätze, wie «die Sommerhauptstadt Europas» für Baden-Baden lassen die internationale Bedeutung der Städte erahnen.

Die «Great Spas of Europe» wurden so zu Vorreitern in der Entwicklung des modernen Tourismus und standen dabei – aus kultureller Sicht – in Konkurrenz zu den großen Metropolen des 19. Jahrhunderts. Unterschiedlichste Nationalitäten und Konfessionen tauschten ihre Ideen und Gedanken aus und so mancher Gast ließ sich sogar langfristig nieder. Dadurch lieferte diese Gruppe bedeutender Kurstädte einen wesentlichen Beitrag zu Entstehung einer bürgerlichen, multikulturellen Gesellschaft in Europa.

Gesellschaftskur

Prägend für das europäische Kurwesen ist spätestens seit dem 18. Jahrhundert die Kombination aus der therapeutischen Anwendung von Wasser (Bade- und Trinkkuren) und körperlicher Bewegung in der Natur, gepaart mit gesellschaftlichen Aktivitäten, wie Konzerten, Bällen und Kasinobesuchen, die der Zerstreuung der Kurgäste dienten. Das Angebot orientierte sich an großstädtischen Maßstäben und die gesellschaftliche Funktion des Kuraufenthalts erlangte vielerorts eine mindestens ebenso große Bedeutung wie die medizinische. Die «Great Spas of Europe» waren dabei Modebäder nicht nur als Orte der Heilung, sondern wirkten gleichzeitig als Vorbilder und Trendsetter für die Gesellschaftskur bis hin zum beliebten Heiratsmarkt der Oberschicht.

Politik, Wissenschaft und die Künste

Internationale Kurstädte und Modebäder wie die «Great Spas of Europe» fungierten als Experimentierzentren für die Ideen der Aufklärung, wodurch sie im 19. Jahrhundert maßgeblich zum sich wandelnden Verständnis von Natur, Kunst und Wissenschaft und zur Demokratisierung der Gesellschaft beitrugen. Gleichermaßen erlebte die Wissenschaft in den Bereichen der Balneologie und der diagnostischen Medizin enorme Fortschritte.

Schriftsteller, Maler und Musiker ließen sich ebenfalls von der internationalen Atmosphäre der «Great Spas of Europe» für ihre Werke inspirieren und zahlreiche Uraufführungen feierten Premiere in deren Theatern und Konzertsälen. Dabei wurde nicht selten neben dem Unterhaltungsangebot, die Kurstädte und ihr informeller Rahmen als politische Bühne genutzt und die eine oder andere politische Verhandlung geführt.

Der außergewöhnliche universelle Wert der «Great Spas of Europe»

Die «Great Spas of Europe» sind ein repräsentatives materielles Erbe der europäischen Kurtradition, die ihrerseits Einfluss auf die Entwicklung einer transnationalen Kultur in Europa hatte. Dies bildet die Basis für die UNESCO-Welterbenominierung und den dafür erforderlichen außergewöhnlichen universellen Wert. Als Nachweis können neben der authentischen und unversehrten Erhaltung gleich mehrere der von der UNESCO dafür definierten Kriterien geltend gemacht werden. So erfüllen die Great Spas of Europe das:
Kriterium II basierend auf dem Austausch innovativer Ideen und als Experimentierzentren für das Verständnis von Natur, Kunst und Gesellschaft;
Kriterium III als Zeugnis der kulturellen Tradition der Gesundheitspflege bestehend aus der Kur, körperlicher Ertüchtigung und Unterhaltung;
Kriterium IV für ihre eigenständige städtebauliche Typologie und ihre architektonischen Prototypen;
sowie Kriterium VI als Entstehungsorte einer länderübergreifenden Kultur.


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