Gastkommentar

Die Grundsteuererklärung ist ein Lackmustest – In Sachen Digitalisierung versagt die Politik auf allen Ebenen und riskiert die Zukunftsfähigkeit Deutschlands – Gastkommentar von Thomas Bippes

Bild Thomas Bippes Gastkommentar von Thomas Bippes
19.08.2022, 00:00 Uhr



Baden-Baden In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt und Thomas Bippes, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.

Thomas Bippes war in der Zeit von 1998 bis 2006 Pressesprecher von Fraktion und Partei der CDU Rheinland-Pfalz und ist heute Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement an der SRH Fernhochschule – The Mobile University sowie Gesellschafter einer Online Marketing Agentur in Baden-Baden. Das Handwerkszeug für professionelles Online-Marketing lernte der Kommunikationsexperte im Presse- und Informationsstab des Bundesministeriums der Verteidigung, als Referent und Pressesprecher von Landtagsfraktionen sowie als Chefredakteur und Verleger von Mitgliedermagazinen für Institutionen und Verbände.

Kommentar: Thomas Bippes Immobilienbesitzer sehen sich derzeit einem Staat ausgeliefert, der bei der Digitalisierung einmal mehr jämmerlich versagt hat. Sie kämpfen sich durch das Steuerportal Elster von Fehlermeldung zu Fehlermeldung, suchen im System Boris nach Bodenrichtwerten, verbringen ihre Zeit in den Warteschleifen der Finanzamt-Hotlines.

Bürger sollen Formulare elektronisch ausfüllen, Verwaltungen hängen weit hinterher. Ein Witz, dass sie Erfragtes ohnehin schon wissen. Doch keiner weiß offenbar, wo und wie eine integrierte Datenverarbeitung funktionieren könnte. Mit diesem Pfusch verspielt der Staat das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Digitalisierung. Sie wird in weiten Teilen als Ärgernis und nicht als Chance wahrgenommen.

Die komplizierte Grundsteuererklärung zeigt, dass die Politik das Thema Digitalisierung nach wie vor verschläft – angefangen bei den Rathäusern bis hinauf ins Bundeskanzleramt. Die Entwicklung ist nicht ungefährlich. Es geht um nicht weniger als die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Die Grundsteuererklärung – ein Lackmustest.

 

Dreh- und Angelpunkt ist die Kommunalverwaltung, die ganz nah dran sein sollte an den Bürgerinnen und Bürgern. Keine Frage – die Digitalisierung der Stadtverwaltungen ist im Gange. Kleinere Städte sind hier klar im Vorteil. Die eine oder andere gute Anwendung wurde in den Stadtverwaltungen bereits umgesetzt. Digitalisierung ist messbar. Der Bund hat insgesamt 575 Leistungsbereiche im Onlinezugangsgesetz (OZG) ausgemacht, die digitalisiert werden. Wie es in den einzelnen Bereichen aussieht, bleibt ein Geheimnis. Hier würde man sich einen Wettbewerb wünschen. In Stuttgart beispielsweise hat man sich Medienberichten zufolge auf 350 bis 400 Leistungen verständigt. Umgesetzt seien bislang 139. Längst wird auf eine Verlängerung der Umsetzungszeit spekuliert. Das ist Digitalisierung in der kommunalen Warteschleife.

Im internationalen Vergleich liegt die Digitalisierung in Deutschland im hinteren Drittel. Das Land muss insbesondere im Blick auf nordische Länder deutlich aufholen. Die Bundesregierung unter der Kanzlerschaft Angela Merkel hatte noch nicht einmal den Anspruch, die Digitalisierung in Deutschland konzertiert voranzubringen. Jedes Bundesland wurstelt vor sich hin. Bundeseinheitliche Plattformen? Fehlanzeige! Und so ist es kein Wunder, dass sich die Kommunen ausweisliche der Kommunalstudie 2022 «Initiative Stadt. Land. Digital» des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz mehr personelle und inhaltliche Unterstützung wünschen. Rund 80 Prozent hätten gerne auf sie zugeschnittene Angebote wie Checklisten, Leitfäden und konzeptionelle Strategieberatung. Der größte Hemmschuh scheint demnach das fehlende Personal zu sein. Dabei sollten die Maßnahmen nach dem OZG bis Ende 2022 umgesetzt sein. 2017 wurden Bund, Länder und Gemeinden verpflichtet. Fünf Jahre hatte man Zeit. Was für ein Armutszeugnis!

In jedem Unternehmen ist die digitale Transformation Chefsache. Auch in Rathäusern sollte das so sein. Die Zahl der Kommunen, die über eine Digitalisierungsstrategie verfügen, hat sich seit 2019 um acht und seit 2016 sogar um 16 Prozent erhöht. Der Anteil der Kommunen, die eine ausgearbeitete Digitalisierungsstrategie haben, liegt 2022 erstmals über 25 Prozent. Allerdings hat jede fünfte Kommune in Deutschland bisher überhaupt keine Digitalisierungsstrategie. Auch kann man der Studie entnehmen, dass Themen wie Cybersicherheit, Energieerzeugung und -versorgung, Gesundheit, und Umwelt- und Ressourcenschutz bisher keine große Rolle spielen.

Das ist unvorstellbar und unverantwortlich zugleich. Ich wünsche mir hier einen Städte-Wettbewerb. Es muss für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar sein, wie es um die eigene Kommune steht – beispielsweise mit einem landesweiten Online-Ranking, umgesetzte digitale Leistungen als Kriterium. Nur mit einer digitalisierten Verwaltung auf allen Ebenen werden wir wettbewerbsfähig und wappnen uns für den drohenden Wirtschaftsabschwung.


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