12. Pierre Pflimlin Symposium im Brenners Park-Hotel Baden-Baden

Rede zur Demokratie in Baden-Baden – Ehemaliger Mitterand-Berater Cyrille Schott besorgt wegen Straßburg

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goodnews4-VIDEO Rede von Cyrille Schott beim 12. Pierre Pflimlin Symposium

Baden-Baden, 24.04.2019, Bericht: Redaktion Vom Thema des Abends «Was ist Demokratie?» schlug Cyrille Schott während des 12. Pierre Pflimlin Symposiums am 10. April im Brenners Park-Hotel in Baden-Baden − goodnews4.de berichtete − den Bogen zur besorgniserregenden Forderung von Annegret Kramp-Karrenbauer und Wolfgang Schäuble, den Sitz des Europaparlaments in Strasbourg abzuschaffen.

«Wenn Brüssel die einzige Hauptstadt würde, wäre der Verlust immens für die europäische Idee», machte der ehemalige Berater des damaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterand auf eine schwelende Meinungsbildung in Deutschland aufmerksam. Bei dem von goodnews4.de und dem Brenners Park-Hotel veranstalteten 12. Pierre Pflimlin Symposium hatten am 10. April 2019 Gäste aus Deutschland und Frankreich teilgenommen. Erwin Teufel wurde mit dem Goldenen Coeur de l´Europe ausgezeichnet. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident hatte ebenfalls in einer 45 Minuten langen Rede zur Frage «Was ist Demokratie?» Stellung genommen.

In den letzten beiden Jahren hatten die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und danach der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn die Auszeichnung in Baden-Baden entgegengenommen.

«Was ist Demokratie?» Rede von Cyrille Schott am 10. April 2019 beim 12. Pierre Pflimlin Symposium im Brenners Park-Hotel in Baden-Baden:

Was ist Demokratie? Ein gutes Thema, um Bücher zu verkaufen. Wie damals Fukuyama mit seinem Buch «das Ende der Geschichte» oder Huntington mit seinem «Kampf der Kulturen», hat es Yascha Mounk erreicht einen Bestseller, der in der ganzen Welt übersetzt wird, zu schreiben, «The People versus Democracy», den man in Deutschland mit dem Titel «Der Zerfall der Demokratie» verkauft. Und eine Reihe von Büchern aufgreifen jetzt dieses Thema. In einigen Jahren wird wieder ein anderes für Schlagzeilen in den Zeitungen sorgen, aber heute Abend wollen wir uns ihm widmen.

In einem bei den Lesern weniger erfolgreichen Text, Frankreichs Verfassung, steht, dass der Grundsatz der Republik so lautet «Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk». Ist das nicht eine klare Definition der Demokratie? Wo liegt denn das Problem?

Dank der Revolutionen in Amerika und Frankreich hat das Volk allmählich die Macht ergriffen. Anstatt Untertanen sind wir freie Bürger. Auch in England herrscht die gnädige Königin nicht über Untertanen, sondern über «citizens», freie Bürger. Diese Bürger bilden das Volk und wählen ihre Vertreter, die für sie entscheiden sollen, für ihr Wohl. Im der Theorie, verkörpert dieser Bürger eine edle und vernünftige Gestalt, ohne egoistischen Interessen, nur bemüht um das Wohl der Mitbürger. Und das Volk «ist bewundernswert geschickt für die Auswahl derer, denen es einen Teil seiner Macht anvertrauen soll», so Montesquieu im «Geist der Gesetze». Anders gesagt: das Volk wird die Fähigsten wählen, um es zu vertreten und in seinem Namen und reinem Interesse zu entscheiden. Diese Theorie ist schön, aber in der Praxis funktioniert sie nicht mehr so wunderbar. Das Volk besteht aus konkreten Menschen, Männern, Frauen, Reichen, Ärmeren, Arbeitern, Unternehmern, Beamten, was weiß ich noch. Die Interessen dieser konkreten Bürger sind verschieden, so dass Interessenkonflikte die Gesellschaft durchziehen. Und die Gewählten sind auch konkrete Menschen und können als Vertreter ihrer eigenen Interessen eher als Vertreter der Interessen des ganzen Volkes handeln. Was ist Demokratie? Eine einfache Sache in der Theorie, eine komplizierte in der Praxis.

Schnell stößt die Demokratie auf heftige Kritik. Die Kommunisten behaupten, der bürgerliche demokratische Staat sei in letzter Instanz der Verteidiger der Interessen der herrschenden Klasse, die «abscheuliche Maschine der Klassenherrschaft», so Karl Marx. Die Befürworter eines starken Staates, der sein von kosmopolitischen Minderheiten bedrohtes Volk schützen würde, bekämpfen auch diese «moderne Demokratie», «die historische Form vom Verfall des Staates», so Friedrich Nietzsche. Und die Demokratie wird im zwanzigsten Jahrhundert gekippt. In Deutschland und Italien entstehen in der Zwischenkriegszeit starke Staaten. 1917, in Russland und nach dem Krieg in Osteuropa entstehen die sozialistischen Republiken. Die Demokratie, die scheint so schwach zu sein gegenüber diesen so mächtigen Totalitarismen, mit einer soliden Ideologie. Und wie endet das alles? Mit dem Zerfall der so starken Staaten und dem Triumph der so schwachen Demokratien!

Die Demokratie geht nicht unbedingt unter, ganz im Gegenteil. Es ist herausgestellt worden, dass heute 56 Prozent der Weltbevölkerung in einer Demokratie leben gegen 10 % am Ende des Krieges. Was ist Demokratie? Ein bekämpftes System, das sich stärker erwiesen hat als gedacht.

Kommen wir zur heutigen Lage! Ein Freund hat mir vor kurzem gesagt: «Unsere Demokratie ist müde!» Effektiv werden wichtige ihrer Elemente scharf in Frage gestellt. Lasset uns einige dieser Kritiken vorstellen: man kann den Gewählten, die das Volk gar nicht mehr verstehen, kein Vertrauen schenken; die Technokraten haben die Macht übernommen; die Parteien sind unfähig geworden und verdienen nur noch Misstrauen; die Medien widerspiegeln die Wirklichkeit des Lebens des einfachen Bürgers nicht mehr und haben jede Glaubwürdigkeit verloren; die Wahrheit findet man eher auf ähnlich gesinnten Netzwerken; die Brüsseler Technokraten ohne jegliche demokratische Legitimierung, entscheiden alles und wollen die staatlichen Grenzen, die die Völker vor dem Terrorismus und den Migrationswellen schützen, eliminieren. Was ist Demokratie? Ein System, dessen Kernelemente heute bestritten werden.

Da sagen gewisse Bürger: gegen das alles stellen sich Menschen auf. Die geben klare und einfache Antworten. Die verteidigen unsere Identität im Rahmen des Staates. Die wollen eine gute Sozialpolitik für ihre Mitbürger, und nur für sie, führen. Die reden und denken wie wir, das Volk. Und so kommen wir zum Populismus. Dieser hat sich in gewisse Länder von Mitteleuropa durchgesetzt. Dort haben die Regierenden entschieden, den Rechtsstaat so umzubauen, dass er ihre Politik nicht verhindern kann, wenn es auch eine Einschränkung der Gewaltenteilung und der Pressefreiheit bedeutet. Auch in West Europa, wo er es erreicht in Nachbarländern ans Ruder zu kommen, und in der Welt hat sich der Populismus entwickelt.

Eine schlimmere Herausforderung für die Demokratie existiert noch: die Staatliche Organisation, die ich mit diesen Worten zusammenfasse «Hält dein Maul und iss»: der Bürger verzichtet auf seine Freiheit und der Staat holt ihn aus der Armut heraus, schenkt ihm immer mehr Wohlstand und führt seine Nation ruhig auf den Weg zur mächtigsten Weltmacht. Das ist das chinesische Gegenmodell, das mit Interesse in vielen Ländern angesehen wird.

Ich will eine andere Bedrohung erwähnen. Denken wir an diese Bürger, die von den gegenwärtigen Entwicklungen müde sind und nicht mehr wissen, an was sie noch glauben sollen. Oder an diese Bürger, die sich nur um ihr Privatleben bekümmern und entschieden haben, die Welt gehen zulassen so wie sie geht. Die gehen nicht mehr wählen. Im mangelnden Glauben an Demokratie liegt eine echte Gefahr. Was ist Demokratie? Ein System, vom Populismus, von anderen staatlichen Organisationen, vom Zweifel bedroht.

Und welche Antwort soll man diesen Gefahren geben? Als mir die Frage gestellt worden ist, habe ich keine leuchtende Antwort gefunden. Eigentlich bin ich ein Demokrat und, wie wir es wissen, Demokratie ist kompliziert und nicht einfach. Und so muss ich auch sein. Ich weiß, es gibt Ideen. Nur müssen diese jedem Land angepasst sein. Zurzeit wollen manche in Frankreich, die Wahlpflicht einführen. Warum nicht, aber diese Lösung, die in Belgien schon existiert, wird in diesem Land die Probleme der Demokratie nicht helfen zu lösen. In Frankreich, gibt es auch Überlegungen über eine Reduzierung der Anzahl der Abgeordneten oder über mehr Volksabstimmungen; in Deutschland sind Ideen entstanden wie die Einführung der Demokratie als obligatorisches Fach in den Schulen, oder die Gründung in jeder staatlichen Behörde einer Abteilung, die sich ausschließlich um eins kümmert: die Verständlichkeit und Nutzbarkeit aller Produkte, die die Behörde nach außen gibt. Mit all den Ideen könnte man ein Buch schreiben.

Hauptsache bleibt, dass die Regierung immer für das friedliche und gute Leben der Bürger arbeitet. Ein friedliches Leben bedeutet, frei und in Sicherheit zu leben, in einem Land, wo die Gesetze beobachtet werden, auch diese, die die Einreise ins Land betreffen. Ein gutes Leben bedeutet unter anderem, dass jeder seinen Platz in einer solidarischen Gesellschaf findet, wo man die Ungleichheiten reduziert und die Ungerechtigkeiten bekämpft, dass jeder in einer gesunden Umwelt lebt, dass jeder eine Arbeit hat und dass diese gerecht bezahlt wird, dass jeder, wenn er krank ist, von einem guten Pflegesystem aufgenommen wird und wenn er in den Ruhestand tritt, eine gute Rente genießen kann. Diese ziemlich alten Ideen bleiben aktuell. Was ist Demokratie? Eine Staatsform, die immer zu renovieren ist, zwar mit modernen Antworten auf die Herausforderungen, aber grundsätzlich dank einer guten Regierung.

Komplexität, Pluralismus und freie Meinungskonfrontation, die zur Demokratie gehören, werden von dem Populismus nicht beliebt. Dieser beruft sich auf das «Volk» und ruht auf der Idee, dass die Gesellschaft eine homogene politische Einheit bildet, aber das ist eine reine Fiktion. Die Demokratie konfrontiert sich mit der Wahrheit der Gesellschaft und deshalb, die Länge der Verhandlungen und Diskussionen, die zur Entscheidung führen, erlaubt dieser am Ende tiefere Wurzeln im Volk zu finden, so dass was als ihre Schwäche erscheint schließlich die Kraft der Demokratie ist. Und welch ein Glück, sich frei ausdrücken und bewegen zu können, frei und nicht in der Angst der Staatsgewalt. Wie es Churchill gesagt hat: «Wenn es morgens um sechs Uhr an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe». Was ist Demokratie? ein System, das seine Kraft in seiner Schwäche findet und das Glück der Freiheit den Menschen erlaubt.

Noch was! Wir haben eine riesige Chance in der Europäischen Union zu leben, wo die Bürger durch freie Wahlen entscheiden, von wem sie regiert sein wollen. Europa ist eine Sicherheit für die Grundregeln der Demokratie. Wenn auch Populisten hier und dort am Ruder sind, bleiben sie der freien Entscheidung der Wähler unterstellt, sowie der Überwachung ihrer Partner und des Gerichtshofes der Union. Die Wähler, wie sie es vor kurzem in der Slowakei gezeigt haben, sind fähig echte Demokraten und Europa Freunde an den Kopf des Staates zu erheben.

Der europäische Geist ist demokratisch. Die Orte, wo er weht, soll man hochhalten. Ich bin vor kurzem erschüttert worden, als wichtige Stimmen in Deutschland vorgeschlagen haben, den Sitz des Europaparlaments von Straßburg nach Brüssel zu verlegen. Das wäre einen schrecklichen Schlag für Europa. Ich bin von Drusenheim, meinem Heimatsdorf, mit der Fähre über den Rhein gefahren und habe in Steinbach Erwin besucht. Der steht, im gleichen Stein gehauen wie sein Meisterwerk, das Straßburger Münster, auf einem kleinen Hügel und schaut jetzt verzweifelt nach Straßburg. In unserer alemannischen Mundart hat er mir gesagt: «Maniche von mine Landslit, die versteh ich nimm! Ich weiss Stroesbüri steht jetzt uef franzeschem Bode, awer s’Munster und Stadt drumrum, die bliwe min Münster un mini Stadt. Ich weiss, dass sich d‘Franzose un d‘Ditsche waje Strossburi verisse han, awer in Strosbüri han se sich aü wieder gfunde und doe isch, am Rhin entlang, s’Europa vum Wünder vum Friede, wie’s de Pfimlin, der grosse Maire von Strossburi und Europäer, gsait hat, ufgebäut wore.» Ja, Straßburg ist die Stadt des Wunders des Friedens, die Stadt der Menschenrechte, des Gewissens Europas, die Stadt wo sich die Stimmen erheben, die die europäische Idee nähren, die Stadt wo der Geist Europas weht, wo die Seele Europas ruht. Wenn Brüssel die einzige Hauptstadt würde, wäre der Verlust immens für die europäische Idee. Nur eine Stadt von Technikern und Politikern auf der Suche nach Kompromissen würde europäische Hauptstadt bleiben und wenn sie auch eine notwendige Arbeit leistet, die übrigens es verdient, besser begrüßt zu werden, könnte sie den europäischen Traum nicht verkörpern. Das kann nur Straßburg. Also, wen Ihr Europa und die Demokratie liebt, dann müsst Ihr euch einsetzen…für Straßburg!

Cyrille Schott,
Préfet (h.) de région, ancien conseiller maître (SE) à la Cour des comptes, ancien directeur de l’Institut national des hautes études de la sécurité et de la justice (INHESJ).
Baden-Baden, 10. April 2019, 12. Pierre Pflimlin Symposium.

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