Gastkommentar

Die Orientierungslosigkeit ist eine Gefahr – Gastkommentar von Thomas Bippes

Die Orientierungslosigkeit ist eine Gefahr – Gastkommentar von Thomas Bippes
Die Generation, die am Übergang ins Berufsleben steht, droht zu den großen Verlierern der Krise zu werden. Foto: Archiv

Bild Thomas Bippes Gastkommentar von Thomas Bippes
25.06.2020, 00:00 Uhr



Baden-Baden In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt, der Künstler und Aktivist Gerd Weismann und Thomas Bippes, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.

Thomas Bippes ist Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement an der SRH Hochschule Heidelberg und Gesellschafter einer Online Marketing Agentur in Baden-Baden, die gerade eine Ausbildungsstelle zum «Kaufmann/frau für Digitalisierungsmanagement» geschaffen hat.

Kommentar: Thomas Bippes Wie schon in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 / 2009 droht die Generation, die am Übergang ins Berufsleben steht, zu den großen Verlierern der Krise zu werden. Für die Jugendlichen, die im Herbst eine Ausbildung beginnen wollen, haben sich die Bedingungen durch die Corona-Pandemie deutlich verschlechtert. Viele Ausbildungsangebote im Bereich der Gastronomie, in der Hotellerie, im Maschinenbau und der Automobilindustrie fallen weg. Zugleich wurden berufsorientierende Angebote in den Schulen wegen der Corona Kontakt-Beschränkungen abgesagt. Die Verbindung zwischen professioneller Berufsberatung und den Schülern scheint wie gekappt zu sein.

Zwar bemühen sich Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern und Arbeitsagentur, Schüler und Unternehmen über digitale Lösungen zusammenzubringen. Doch gerade in der Berufsorientierung spielt der persönliche Kontakt eine ganz wesentliche Rolle. Das Ausprobieren, das vielzitierte Reinschnuppern, das Kennenlernen von Arbeitsabläufen und Prozessen und das Miteinander mit den Menschen, mit denen Schüler im Betriebspraktikum zusammenkommen – das alles lässt sich nicht digital ersetzen.

Gleichzeitig geht das Ausbildungsangebot aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit in vielen Betrieben zurück. Die Bundesagentur für Arbeit dokumentierte im Mai 2020 noch 463.000 gemeldete Ausbildungsstellen. Das ist ein Rückgang von 46.000 im Vergleich zum Vorjahr. Nach einer Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks plant jeder vierte befragte Betrieb, keine Ausbildung mehr anzubieten. Hinzu kommen Ausbildungsunterbrechungen oder -abbrüche durch Insolvenzen. Nicht wenige Schülerinnen und Schüler entscheiden sich für den Verbleib im Schulsystem. Junge Menschen sind gezwungen, ihre Pläne ändern zu müssen und sehen sich mit Gefühlen wie Orientierungslosigkeit konfrontiert: Wie geht es weiter, wenn meine geplante Ausbildung nicht stattfinden kann? Weiter mit der Schule, obwohl ich eigentlich Talente im handwerklichen Bereich ausleben wollte? Die Situation wird den Fachkräftemangel in den Betrieben weiter verschärfen, wenn die Unternehmen jetzt Zurückhaltung bei der Berufsausbildung zeigen bzw. aus wirtschaftlichen Gründen zeigen müssen.

Die Konsequenzen dieser Orientierungslosigkeit, die Verlängerung der Jugend durch den Verbleib im Schulsystem kann sich in Frustration und Gewalt niederschlagen. Die Geschichte hat dazu schon viele Beispiele gezeigt. Hinzu kommt ein verstärkender Effekt durch die sozialen Medien, ein Wettbewerb um möglichst spektakuläre Bilder und Videos. Eine öffentliche Debatte über Polizeigewalt als verstärkende Katalysatoren und schon zeichnet sich eine Gemengelage ab, wie sie in Stuttgart am Wochenende das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Richten wir also verstärkt den Blick auf die Jugendlichen, die ratlos vor ihrer Zukunft stehen. Nehmen wir die jungen Menschen in den Fokus, die sich Sorgen machen und die derzeit nicht professionell durch Berufsberatung und Ausbildungsmessen Orientierung finden können. Experten des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung warnen explizit davor, aus dieser jungen Generation könnten sich die Haupt-Leidtragenden der Corona Pandemie entwickeln. Es ist Aufgabe der Politik, sie durch Initiativen zur Ausbildungsförderung zu unterstützen. Warum dabei nicht auch einmal unkonventionelle Wege gehen und Unternehmen einladen, ihr Ausbildungsangebot auf dem Schulhof zu präsentieren? Auch hier brauchen wir kreative und zugleich mutige Lösungen.

Wer jetzt aus wirtschaftlichen Gründen auf das Angebot eines Ausbildungsplatzes verzichten muss, sollte durch überbetriebliche Träger in der Qualifizierung von Fachkräften unterstützt werden, damit sich der Fachkräftemangel nach der Pandemie nicht noch weiter verschärft. Orientierungslosigkeit und Perspektivlosigkeit bei jungen Menschen können sich schnell in Gewalt niederschlagen, die wir nicht dulden dürfen. Lassen wir aber unsere Jugendlichen mit ihren Problemen nicht allein!


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